Interview l Ängste & psychischer Druck - Wenn die Angst zu mächtig wird
Angst ist erst mal ein gesundes Gefühl. Sie schützt uns z.B. vor Gefahr. Es gibt aber Menschen, bei denen wird die Angst so mächtig, dass sie einfache Dinge in ihrem Alltag nicht mehr bewältigen können. Was dann zu tun ist, erklärt der Facharzt für Psychatrie und Psychotherapie, PD Dr. Jens Plag.
Herr Dr. Plag, Angst ist nicht per se negativ - wo ziehen Sie als Psychiater die Grenze und sagen, dass die Angst nicht mehr in einem gesunden Bereich liegt?
Da orientieren wir uns an den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation. Diese besagen, dass eine psychische Symptomatik dann Krankheitswert hat, wenn sie zu einer psychischen Belastung oder einer Beeinträchtigung der Betroffenen führt.
Das bedeutet, das Menschen emotional sehr belastet sind oder aufgrund der Angst nicht mehr Dinge in ihrem Alltag tun können, die sie eigentlich möchten oder diese nur noch erschwert möglich sind. In diesem Fall hat die Angst einen Krankheitswert.
Eine Angststörung ist nicht gleich Angststörung. Welche Unterschiede gibt es?
Es gibt unterschiedliche Angststörungen, die sich dadurch unterscheiden, ob es einen Auslöser für die krankhafte Angstreaktion gibt oder ob kein offensichtlicher Auslöser vorhanden ist.
Wenn ein Auslöser da ist, also eine konkrete Situation oder ein Objekt, zum Beispiel die Enge, die Höhe oder die Spinne, spricht man von phobischen Erkrankungen.
Eine Angsterkrankung, die keinen konkreten gegenständlichen oder situativen Auslöser hat, ist zum Beispiel die Panikstörung, das heißt, hier gibt es keinen offensichtlichen Grund für wiederholt auftretende Panikattacken. Die zweite, nichtphobische Angsterkrankung ist die generalisierte Angststörung, die sich durch ganz starkes Sorgen oder Befürchtungen bei den Patienten auszeichnet.
Wenn es bei den generalisierten Angststörungen keinen Auslöser gibt - was sind die Ursachen?
Die Patienten sorgen sich, dass ihnen oder den ihnen nahestehenden Angehörigen etwas passiert. Das betrifft vor allem auch gesundheitliche Belange, das heißt die Patienten befürchten, dass sie erkranken könnten. Dementsprechend werden auch Körpersymptome, die eigentlich normal sind, als Krankheit bewertet.
Außerdem haben Betroffene häufig Angst, dass sie oder Angehörige einen Unfall haben oder sie eine sozial schwierige berufliche Situation geraten.
Ganz wichtig ist, dass dem kein adäquates Korrelat gegenübersteht. Die Patienten sind gesund und es gibt keinen Hinweis, dass sie ein Risiko tragen, zu erkranken oder sie haben einen guten Job und fürchten trotzdem, arbeitslos zu werden. Daraus entwickeln sich Sorgen und Gedankenschleifen und dadurch wiederum regelmäßig auch Schlafstörungen.
Auf was lässt sich das zurückführen?
Man geht davon aus, dass das Risiko, eine Angsterkrankung zu entwickeln durch biologische als auch psychische Faktoren beeinflusst wird, aber auch entwicklungspsychologische Faktoren spielen eine Rolle. Diese drei Komponenten liegen häufig gemeinsam vor.
Bei den biologischen Faktoren wissen wir zum Beispiel, dass Menschen mit einer Angsterkrankung eine Überaktivität im sogenannten Angstnetzwerk haben. Das Angstnetzwerk ist ein Verbund verschiedener Gehirnregionen, das an der Wahrnehmung, Verarbeitung und Reaktion auf bedrohliche Stimuli beteiligt ist.
Wenn wir zum Beispiel Wärme spüren, was mit Feuer assoziiert ist, dann verarbeiten diese Hirnregionen diese Information und wenn diese als relevant in Bezug auf die Gefahr beurteilt wird, führt die Aktivierung dieses Angstnetzwerks dazu, dass bestimmte Körperreaktionen ausgelöst werden, die zur Angst passen. Dazu gehören zum Beispiel Muskelanspannung, Schwitzen, Zittern oder ein Tunnelblick. Das sind Reaktionen, die evolutionär dazu gemacht sind, um adäquat auf Bedrohung zu reagieren, also im Prinzip: Ich flüchte oder kämpfe.
Wird das allerdings durch ein genetisch überaktives Angstnetzwerk ausgelöst, ohne dass eine konkrete Gefahr besteht, dann triggern diese evolutionär sinnvollen Mechanismen eine Angstreaktion.
Bei den entwicklungspsychologischen Faktoren geht es beispielsweise um einen sogenannten unsicheren Bindungsstil, das heißt die Eltern-Kind-Interaktion war so stark verändert, dass eine ängstliche Prägung entsteht. Die kann sich in der Persönlichkeit verankern und ein Risikofaktor für eine Angsterkrankung darstellen.
Wie sehen die Behandlungsmöglichkeiten aus?
Wir haben zwei primäre Behandlungsmethoden. Zum einen die Psychotherapie und zum anderen die medikamentöse Therapie mit Antidepressiva.
Durch letzte wird auf Basis aktueller Erkenntnisse direkt die Aktivität des Angstnetzwerks reduziert. Die Studienlage weist klar darauf hin, dass die Therapiemethode der Wahl jedoch die kognitive Verhaltenstherapie ist.
Dabei geht es einerseits darum, Bewertungen und Wahrnehmungen von konkreten Situationen, die so verändert sind, dass sie Ängste begünstigen, so zu verändern, dass der Kurzschluss nicht mehr die Angst ist, sondern dass die Bedrohlichkeit dieser Wahrnehmungen durch Umbewertungen reduziert wird, damit der Stress abnimmt.
Neben dieser kognitiven Arbeit spielt in der Verhaltenstherapie auch noch die Expositionstherapie eine große Rolle. Das bedeutet, der Therapeut geht mit dem Patienten in konkret angstauslösende Situationen oder Gedanken oder löst, z.B. bei der Panikstörung, direkt panikassoziierte Körpersymptome aus und lässt die Angst ansteigen. Patienten vermeiden eigentlich solche Situationen, weil sie keine Angst bekommen wollen oder sie haben bestimmte Sicherheitsmechanismen entwickelt, die die Angst künstlich runterdrücken - viele lenken sich zum Beispiel mit Musik ab oder trinken kaltes Wasser.
In der Exposition müssen die Patienten konkret in die Situation reingehen oder die Körpersymptome oder sorgenbesetzten Gedanken bewusst auslösen und unter Ausschaltung aller Sicherheitsmechanismen die Angst bewusst wahrnehmen, um dann zu bemerken, dass die Angst ab einem gewissen Punkt plötzlich von ganz alleine sinkt.
Das ist für Patienten eine sogenannt korrigierende Erfahrung, die sie vorher noch nicht gemacht haben.
Gehen sie zu einem anderen Zeitpunkt wieder so vor, fällt nach dem gleichen Prinzip die Angst schon viel früher ab. So flacht die Angstkurve immer weiter ab, bis die Patienten idealerweise auf der Nulllinie sind. Das schlägt sich auch biologisch in der Deaktivierung des Angstnetzwerkes nieder.
Wie groß ist die Chance für Betroffene, wieder angstfrei leben zu können?
Bei der Mehrheit der Patienten erreicht man durch eine Therapie und/oder medikamentöse Therapie in Form von Antidepressiva deutliche Verbesserungen der Angstproblematik.
Das heißt: Die Angst ist nicht mehr auf einem Niveau, wo sie belastend oder beeinträchtigend ist.
Sehr viele Patienten haben überhaupt keine Probleme mehr, da gelingt es, die Angst komplett zurück zu entwickeln. In Zahlen bedeutet das, dass bei ca. 70 Prozent der Patienten die Angst nur noch in einem geringen Maß vorhanden oder ganz weg ist.
Herr Dr. Plag, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Laura Will