Thyroxin-Tabletten auf schwarzem Grund (Bild: imago images/M. Zettler)
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Die Kraft der Schilddrüsenhormone - Schilddrüse: Mehr Hirn durch Jod?

Die nur 25 Gramm schwere Schilddrüse liegt wie ein Schmetterling an der Vorderseite des Halses - und sie ist eine richtige Hormonfabrik. Sie beeinflusst Stoffwechsel und Wachstum, stärkt die Knochen und reguliert das seelische Wohlbefinden. Und: Sie ist ein zentraler Faktor für die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns.

Mit Jod als Baustein produziert die Schilddrüse zwei lebenswichtige Hormone: T3 (Trijodthyronin) und T4 (Tetrajodthyronin oder Thyroxin). Diese wirken auf nahezu alle Organe: Sie Körperwachstum und Energiehaushalt, regulieren Körperwärme und Knochenbildung.

Die Wirkung der Schilddrüsenhormone reicht selbst bis ins Gehirn: Der Biochemiker Steffen Mayerl von der Universität Duisburg-Essen hat kürzlich entdeckt, dass sie sogar Gehirnzellen wachsen lassen. "Die Hormone fördern die Bildung von Nervenzellen im Lern- und Gedächtniszentrum des Gehirns", so Mayerl. Seine Ergebnisse publizierte der Hormonspezialist 2020 im renommierten Fachmagazin Stem Cell Reports.

Schilddrüse und Gehirn hängen eng zusammen
 
Etwa seit Mitte des letzten Jahrhunderts ist klar, dass Nervenzellen nachwachsen können. Zugleich weiß man, dass ein Mangel an Schilddrüsenhormonen die Hirnleistung einschränkt. "Wir waren neugierig zu erfahren, wie T3 und T4 mit der Bildung neuer Nervenzellen zusammenhängen", sagt Mayerl.
 
Schnell war klar: Dreh- und Angelpunkt des Geschehens ist der Hippocampus. Das Gehirnareal, das sich mit "Seepferdchen" übersetzen lässt, ist ein daumengroßes Gebiet unterhalb des Schläfenlappens. Der Hippocampus ist eine von zwei Quellen im Gehirn, die den Nachschub für frische Neuronen liefern. Aus Stammzellen entstehen hier sogenannte Vorläuferzellen. Daraus bilden sich neue Neurone.
"Wir wollten wissen: Steuern die Hormone der Schilddrüse die Neubildung auf direktem Weg oder läuft das über indirekte Verbindungen? Und an welchen Zellen greifen sie genau an?", sagt Steffen Mayerl.

Behandlung von Schilddrüsen-Erkrankungen

  • ... mit natürlichen Maßnahmen

  • ... mit medizinischen Maßnahmen

Wie sind Schilddrüsenhormone und Neuronen-Neubildung verbunden?
 
Bald war klar, dass Schilddrüsenhormone vor allem für die Vorläuferzellen eine wichtige Rolle spielen. Daraufhin begannen der Neurowissenschaftler und seine Kolleg*innen, nach dem Verbindungsstück zwischen Schilddrüsenhormone und neuen Nervenzellen zu suchen.
 
Damit die Hormone in Zellen aufgenommen werden, brauchen sie sogenannte Transportproteine. Diese Eiweiße helfen den Hormonen dabei, in die Zelle zu gelangen. Um im Zellinnern ihre Wirkung zu entfalten, müssen sie wiederum an Rezeptoren andocken. Ähnlich wie ein Schlüssel ins Schloss passen die Hormone nur zu einem bestimmten, zugehörigen Rezeptor. "In unseren Experimenten konnten wir zeigen, dass die Vorläuferzellen verstärkt einen Transporter bilden, der die Aufnahme von Schilddrüsenhormonen vorantreibt", erläutert Mayerl.
 
Ist der Transporter mit dem komplizierten Namen Monocarboxylattransporter 8 (MCT 8) sehr aktiv, gelangen entsprechend mehr Hormone in die Zellen und docken an den entsprechenden Rezeptoren an. Damit lösen sie in der Zelle eine Reihe biochemischer Vorgänge aus. "Die Schilddrüsenhormone stoppen zunächst die Zellteilung und leiten dann die Differenzierung der Vorläuferzellen aus dem Hippocampus ein. Sprich: Sie sorgen dafür, dass aus den Vorläuferzellen neue Nervenzellen werden", so Mayerl.

Mangel an Schilddrüsenhormonen mit gravierenden Folgen
 
Ein Mangel an Hormonen hat weitreichende Folgen: Neben vielen anderen Funktionsstörungen klagen Betroffene über Müdigkeit, Leistungs- und Konzentrationsschwäche oder Störungen von Bewusstsein und Orientierungssinn. Vor allem der Verlust des Kurzeitgedächtnisses macht ihnen zu schaffen.
 
Noch gravierender sind die Folgen, wenn Schilddrüsenhormone bereits während der embryonalen oder frühkindlichen Entwicklung fehlen: Unbehandelt führt dies zu einer schweren körperlichen und geistigen Retardierung (Entwicklungsverzögerung).
 
Auch jener MCT8-Transporter, dessen Funktion Mayerl mit seinen Forschungen untersucht, spielt hier eine zentrale Rolle: Im Jahr 2004 hat man erkannt, dass Defekte im MCT8-Protein dem sogenannten Allan-Herndon-Dudley-Syndrom zugrunde liegen. "Die betroffenen Kinder haben irreversible Hirnschäden und sind mental retardiert", so Mayerl. Weil bei ihnen der Transporter fehlt, dringen die Schilddrüsenhormone wahrscheinlich nicht bis zum Gehirn vor und können dort ihre Wirkung nicht entfalten. Ein Forschungsverbund (SFB/TR296 "locotact"), in dem auch Steffen Mayerl mitarbeitet, hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, neue Therapieansätze für MCT8-Patient*innen zu entwickeln.

Bei Mangel: Schilddrüsenhormone ersetzen
 
Die kognitive Leistungsfähigkeit des Menschen hängt also stark davon ab, dass im Hippocampus, unserem Lern- und Gedächtniszentrum, neue Nervenzellen gebildet werden. Daher ist die Behandlung einer Schilddrüsenunterfunktion unerlässlich. "Durch die Gabe von Schilddrüsenhormonen verbessert sich - neben zahlreichen anderen Funktionen - auch wieder die Gedächtnisleistung", bestätigt Mayerl.

Niedrige Werte im Alter - ein "Plan" der Natur?
 
Offen ist noch der Umgang mit einem sogenannten subklinischen Mangel im Alter. Die Patient*innen zeigen (noch) keine Symptome, ihre Werte liegen aber knapp unterhalb der Norm. Möglicherweise hat die Natur das genau so eingerichtet. Denn: Schilddrüsenhormone beschleunigen den Herzschlag und begünstigen Herzrhythmusstörungen.
 
Sind die niedrigen Werte also vorteilhaft, weil sie die negativen Effekte auf das Herz-Kreislauf-System verhindern - leider mit dem Effekt, dass das Gedächtnis nachlässt? Steffen Mayerls Forschungen beantworten nicht nur Fragen, sie werfen auch neue auf. Undliefern, neben wichtigen Grundlagenerkenntnissen, neue Ansatzpunkte, wie sich die geistige Leistungsfähigkeit eines Tages mithilfe der Medizin verbessern lässt.

Beitrag von Constanze Löffler

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