Kinder- und Jugendreport - Kluge Eltern, gesundes Kind?
Das Wohlergehen der Kinder ist das wichtigste Gut einer Gesellschaft. Mit dem Kinder- und Jugendreport der Krankenkasse DAK ist jetzt eine der größten Studien zum Gesundheitszustand der Jüngsten in Deutschland erschienen. Die Ergebnisse zeigen: Ob ein Kind gesund oder krank ist, hängt stark von den Eltern ab – auch von deren Schulabschluss.
In Deutschland leben etwa 13 Millionen Kinder und Jugendliche. Wie es ihnen geht, ist von enormer Bedeutung, jetzt und für die Zukunft. Schließlich ist das Kindes- und Jugendalter die Zeit, in der die Weichen für das weitere Leben gestellt werden – auch die gesundheitlichen. Vielfach bleiben Einstellungen zu Ernährung und Sport ein Leben lang erhalten. Oft werden Kinder, die von Adipositas, Diabetes oder Depressionen betroffen sind, diese Leiden auch im Erwachsenenalter nicht mehr los.
"Viele versorgungspolitische Herausforderungen des späteren Alters gehen auf Versäumnisse im Jugendalter zurück", sagt Prof. Dr. Wolfgang Greiner. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement an der Universität Bielefeld und Mitautor des neuen Kinder- und Jugendreports, der im Auftrag der Krankenkasse DAK-Gesundheit entstanden ist.
Darin untersuchen die Forscher vor allem den Einfluss der Eltern auf die Gesundheit der Kinder. Anhand einer großen Datenmenge liefert der Bericht Analysen dazu, wie etwa Erkrankungen oder der Bildungsstand der Eltern mit dem Gesundheitszustand ihrer Kinder zusammenhängen.
Die Daten sind ein riesiger Schatz
Für den Bericht werteten die Forscher Krankenkassendaten von fast 600.000 Mädchen und Jungen im Alter von null bis 17 Jahren und etwa 430.000 Eltern aus, die 2016 bei der DAK versichert waren. Diese Daten sind ein riesiger Schatz, denn sie bergen gleich mehrere Vorteile.
Im Gegensatz zu Erhebungen per Fragebogen wird in den Routinedaten der Krankenkassen jeder Arztbesuch und jede Diagnose festgehalten (deshalb Routinedaten). So kommen die Forscher an sehr viele Daten.
Trotzdem haben Routinedaten auch Nachteile. So können die Forscher nur die Daten nutzen, die in Praxen und Krankenhäusern erhoben wurden. Sie konnten deshalb keine Angaben zum Gesundheitsverhalten auswerten (z.B. Rauchen, Bewegung, Ernährung). Deshalb möchte die DAK den Report mit den Ergebnissen des kasseneigenen Präventionsreports ergänzen. Dafür finden seit dem Schuljahr 2016/17 an ausgewählten Schulen Befragungen zum Gesundheitsverhalten statt.
Woran erkranken Kinder und Jugendliche in Deutschland?
Die häufigsten Erkrankungen bei Kindern waren Atemwegskrankheiten wie Erkältung oder Bronchitis. 57 Prozent der Kinder litten 2016 an mindestens einer der beiden Krankheiten. Mit 37 Prozent folgten Infektionskrankheiten, Erkrankungen der Augen (30 Prozent), psychische (26 Prozent) und Hautkrankheiten (25 Prozent).
Etwa jedes vierte Kind hatte eine potenziell chronische körperliche Erkrankung, am häufigsten waren Neurodermitis (acht Prozent) sowie Asthma (sieben Prozent). Etwa jedes zehnte Kind hatte eine potenziell chronisch verlaufende psychische Erkrankung, am häufigsten ADHS.
Kinder bildungsarmer Eltern waren öfter krank
Im Hauptteil des Kinder- und Jugendreports geht es um die “Familiengesundheit”. Die Forscher gehen etwa der Frage nach, ob sich der Bildungsstand der Eltern auf die Gesundheit der Kinder auswirkt.
Dabei kommen sie zu einem überraschend deutlichen Zusammenhang. Kinder von Eltern mit niedrigerem Bildungsstand hatten einen schlechteren Gesundheitszustand als Kinder von Eltern mit hohem Bildungsstatus.
Bei einigen Krankheitsbildern traten die Unterschiede besonders deutlich zutage: Kinder von Eltern ohne Ausbildungsabschluss waren im Alter von fünf bis neun Jahren 2,5-mal häufiger von Fettleibigkeit betroffen als Kinder von Akademikereltern. Ein ähnliches Bild zeigte sich bei Zahnkaries. Auch von Sprachproblemen sowie Verhaltensstörungen (z.B. ADHS) und Allergien waren Kinder bildungsarmer Eltern laut der Studie häufiger betroffen, jedoch waren die Unterschiede hier nicht so groß.
Besonders gefährdet: Kinder suchtkranker Eltern
Kinder von Eltern ohne Bildungsabschluss gingen laut den Daten auch öfter zum Arzt. Sie hatten bis zu 68 Prozent mehr Krankenhausaufenthalte und bekamen etwa 43 Prozent mehr Medikamente verschrieben als Kinder von Eltern mit hohem Bildungsabschluss.
Aber nicht nur die Bildung, auch die Gesundheit der Eltern selbst hatte einen Einfluss auf die Kinder. Neben Infektionskrankheiten fanden die Wissenschaftler einen deutlichen Zusammenhang für Adipositas, Zahnkaries und Diabetes.
Eine weitere besonders gefährdete Gruppe sind nach den Daten der Bielefelder Forscher Kinder suchtkranker Eltern. Nicht nur, dass sie häufiger im Krankenhaus und beim Arzt vorstellig wurden; sie litten auch häufiger an psychischen Erkrankungen, etwa an Depressionen, ADHS oder Schulangst. Immerhin acht Prozent aller bei der DAK versicherten Kinder hatten 2016 mindestens ein Elternteil mit einer ärztlich behandelten Suchterkrankung.
'Das Thema muss in die Schulen getragen werden'
Der direkte Zusammenhang zwischen Bildungsarmut und Krankheit decke sich mit den bisherigen Erkenntnissen des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), der schon länger eine bessere Versorgungsforschung im Bereich der Kinder- und Jugendgesundheit gefordert hatte. "Wir erleben die unselige Allianz zwischen Armut und Krankheitslast täglich in unseren Praxen", sagt BVKJ-Präsident Thomas Fischbach. Dabei sei unter "Armut" vor allem Bildungsferne zu verstehen, die in vielen Fällen auch materielle und psychische Armut bedinge. "Die Studie der DAK-Gesundheit ist in der aktuellen politischen Diskussion sehr wichtig und hilfreich", sagt Fischbach. "Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz, damit die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen geschützt wird."
Ein Weg zu mehr Kindergesundheit könne eine Bildungsoffensive sein. Das Thema müsse in die Schulen getragen werden, so Fischbach. Konkrete Vorschläge, wie die Situation geändert werden könnte, macht der Report nicht.
Die Daten sind da, nun muss gehandelt werden
Trotz einer historisch niedrigen Kinder- und Säuglingssterblichkeit ist in Deutschland jedes fünfte Kind im Alter bis 18 Jahren einem Armutsrisiko ausgesetzt. Das Problem ist seit Langem bekannt und der Kinder- und Jugendreport ist nicht die erste Studie, die einen engen Zusammenhang zwischen der sozialen und gesundheitlichen Lage von Kindern nahelegt.
Die deutschlandweit größte Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist die KiGGS-Studie des Robert Koch-Instituts. Bei dieser Langzeiterhebung werden die Daten hauptsächlich durch Fragebögen gewonnen. Da an solchen Untersuchungen erfahrungsgemäß eher Menschen teilnehmen, die ein gesünderes Verhalten zeigen, könnten die Routinedaten des Kinder- und Jugendreports eine sinnvolle Ergänzung darstellen. Der Kinder- und Jugendreport soll ab jetzt jährlich erscheinen und somit Entwicklungen darstellen. Wir wissen heute besser als je zuvor, wie es unseren Kindern geht. Nun wird es Zeit zu handeln.