Hilfreich oder schädlich? - Die Vermessung des Schlafes
Schlaf beeinflusst wie wir lernen, uns konzentrieren, das Herz-Kreislauf-System, wie fit wir sind und hat sogar Einfluss auf das Immunsystem. Wo guter Schlaf fehlt, kann das Zeichen für Krankheiten wie Parkinson sein oder die Wahrscheinlichkeit für Demenz erhöhen. Gesundheit und Leistungsfähigkeit - gute Gründe, sich für den eigenen guten Schlaf zu interessieren. Das hat auch die Tech-Industrie erkannt und verkauft jede Menge smarter Helfer, die den Schlaf optimieren sollen. Aber was können sie? Und wann wird die eigene Vermessung zum Problem?
Schlechter Schlaf ist nicht nur unangenehm, sondern gefährdet auf Dauer erheblich die Gesundheit. Herz & Hirn, aber auch das Immunsystem - jeder Teil des Körper braucht Schlaf zur Regeneration. Doch der Anteil der Menschen, die schlecht schlafen, ist in den vergangenen Jahren massiv gestiegen - fast ein Drittel der Deutschen leidet unter Einschlaf- und Durchschlafproblemen. Gerade Berlin ist deutschlandweit führend bei Schlafproblemen, wie z.B. Zahlen des Barmer-Gesundheitsreports 2019 zuletzt gezeigt haben: Von 1.000 Personen sind 44,4 Prozent Beschäftigte im Schnitt von Schlafstörungen betroffen. Im Bundesdurchschnitt sind es nur 38,2 Prozent. Im Land Brandenburg sind es nur 34,7 Prozent - der Brandenburger schläft also besser.
Technische Gadgets versprechen schon lange Hilfe - nicht nur für Menschen mit Schlafproblemen, sondern auch für die, die auf der Suche nach der Möglichkeit sind, ihre Leistungsfähigkeit durch besseren Schlaf auf ein "Optimum" zu verbessern. Schlafanalyse und Schlafoptimierung sind ein großer Trend, auch für die Wirtschaft: einem McKinsey-Bericht von 2017 zufolge werden in der "Sleeponomics"-Sparte mittlerweile jährlich weltweit 30 - 40 Milliarden Euro umgesetzt. Ringe, Armbänder und smarte Uhren sollen den Schlaf vermessen und beurteilen (oft in einem Punktesystem). Die dazugehörigen Apps geben darüber hinaus Empfehlungen zur Optimierung - und wo die nicht helfen, könnten es vielleicht andere technische Helfer tun, so die Idee vieler Unternehmen. Aber können und sollten die digitalen Vermesser als "Schlaflabor fürs eigene Bett" eingesetzt werden?
'Du hast besser geschlafen als 40 Prozent der Nutzer'
Lagesensoren und Pulsmesser sind die Hauptmesstechniken, mit denen Fitnessarmbänder, Smartwatches oder Ringe Rückschlüsse auf den Schlaf des Nutzers ziehen. Die sind aber nicht ohne Fehleranfälligkeit, sagt Dr. Dr. Steffen Richter, ärztlicher Mitarbeiter des Kompetenzzentrums Schlafmedizin der Berliner Charité am Campus Benjamin Franklin: "Fitnesstracker geben ja halbwegs zuverlässig Zeiten wieder, in denen der Arm in Ruhe war. Das kann aber auch die Zeit gewesen sein, in der ich mein Kind ins Bett gebracht und eine Stunde gewartet habe, bis es eingeschlafen ist. Trotzdem denkt der Fitnesstracker, dass ich in der Zeit im Bett geschlafen habe, was ja nicht stimmt. Dementsprechend kriegt man die ganz exakte Diagnostik nur im Schlaflabor mit einer Polysomnographie hin. Aber natürlich kann ich einen Hinweis kriegen: Wenn ich mir zum Beispiel vornehme, zeitig ins Bett zu gehen und mir jedes Mal einfällt, dass die Steuererklärung anfällt, morgen doch noch Gäste kommen usw. - also jeden Tag eine Ausnahme von der Regel ist, dann kann man das auf die Weise natürlich nachvollziehen. Dann sollte ich vielleicht meinen Tagesplan mal ändern und dafür kann es sinnvoll sein."
Sensoren vs. Schlaflabor
Zur echten Überwachung des Schlafes braucht es aber eigentlich mehr Daten, die schwer zu erheben sind: Muskelbewegungen, Augenbewegungen oder Hirnströme. Diese Informationen werten Schlafforscher bei der Analyse auch aus, aber Smart Devices z.B. am Arm, können sie nicht erheben. So können sie Schlafzeiten nur grob erfassen und einen Hinweis auf Durchschlafprobleme, z.B. deren Häufigkeit, geben - ähnlich wie ein Schlaftagebuch, das schon lange von Medizinern bei Menschen mit Problemen eingesetzt wird. Eine genaue Analyse liefern sie nicht - trotzdem suggerieren viele Apps, die die Daten der Devices auswerten mit grafischen Darstellungen eine echte Erfassung von Leicht- und Tiefschlafphasen und bewerten diese mit Punkten, die dann auch gern in Relation zu anderen "Nutzern" der Herstellerapp gesetzt werden. Nach welchen Kriterien diese Bewertung erfolgt, ist für den Nutzer dabei in vielen Fällen undurchsichtig: Wie wird die Gesamtdauer von Tiefschlaf im Vergleich zu der von Leichtschlafphasen bewertet? Was bewerten Apps als "langsames und entspanntes Aufwachen"?
Wann Neugierde schädlich werden kann
Wer lediglich neugierig auf den eigenen Schlaf ist, kann trotzdem ein paar Infos zu seinem Schlaf kriegen - z.B. vielleicht erkennen, dass er oder sie tatsächlich häufiger zu spät ins Bett geht, als gedacht oder in einem Monat öfter nachts wach wird und aufsteht, als die Erinnerung vermuten ließ. Wer weiß schon am Freitag noch, wie er am Montag geschlafen hat? Wer die Analyse allerdings zu ernst nimmt und sie sogar als "Selbsttherapie" einsetzt, dem können die lückenhaften Infos von Smart Devices zum eigenen Schlaf sogar schaden, weil sie psychischen Druck aufbauen, sagt Dr. Dr. Steffen Richter: "Die Frage ist ein bisschen, was man damit macht, was die Konsequenz sein soll. Wenn ich das therapeutisch einsetzen will und sage: Ich leite jetzt Verhaltensmaßregeln davon ab, betreibe die mit Nachdruck und merke dann, dass sie nicht den gewünschten Erfolg haben und werde dann unruhig und nervös, dann habe ich mir eher geschadet."
Im Zweifel kann dann ein Fitnesstracker den gleichen schädlichen Effekt auf die Psyche - und damit den Schlaf - haben, wie der Wecker, der immer wieder angestarrt wird, wenn man nicht einschlafen kann. Das Wissen kann Druck aufbauen und schlimmstenfalls Probleme verschärfen, gerade bei den Menschen, die wirklich einen Leidensdruck durch Schlafprobleme verspüren und selbst diese Probleme unbedingt ohne ärztliche Hilfe lösen möchten. Schlafmediziner sind jedoch davon überzeugt: Wem Tipps aus der Schlafhygiene nicht helfen können und wer mindestens über 3 - 4 Wochen am Stück oder immer wieder über Wochen Ein- oder Durchschlafprobleme hat, sollte sich nicht einem Fitnesstracker, sondern seinem Arzt oder nach Rücksprache mit ihr oder ihm einem Facharzt anvertrauen.
Was können Smart Devices, was nicht?
Bewegungen vermessen, Puls checken, im Grunde sind es vor allem diese Fähigkeiten, die die Schlaftracker am Handgelenk oder als Ring haben. Ja, es wird registriert, ob jemand sich viel im Schlaf bewegt, dreht oder wach wird und aufsteht. Dazu gibt's den Ruhepuls, der auf Tief- oder Leichtschlafphasen Hinweise gibt. Und zu allem ein smartes Programm, dass nach Wahrscheinlichkeiten zu Uhrzeit, Bewegung und Puls auswertet. Dazu können mit einberechnet werden: 1. Geschlecht, Gewicht und Alter des Nutzers, dass in der App bei Registrierung hinterlegt wurde und 2. die Tagesaktivität, die ja schon durch Bewegungstracking erfasst wurde (ist der Nutzer sportlich aktiv). Bei der Smartwatch können noch Daten zur letzten Mahlzeit und anderen Gesundheitsbereichen (durch App-Verbindungen) hinzu kommen. Zu Grunde liegen dann noch Expertenempfehlungen für die Schlafmenge, die ein Mensch im Schnitt braucht, also zwischen sechs und acht Stunden pro Nacht.
Fazit: Nein, eine echte Schlafanalyse gibt's nicht, aber eine Einschätzung, die einen groben Überblick erlaubt.
Und was passiert mit den ganzen getrackten Daten? Das wissen die meisten User auch nicht - und nicht jeder Anbieter liefert darauf handfeste Antworten. Es lohnt sich darüber nachzudenken - und wenn auch nur für die Zukunft. Denn auch wenn die Daten nicht perfekt sind, bilden sie doch viele Informationen über den persönlichen Lebensstil ab, zum Beispiel über Stress, eventuell Arbeits- und Ruhezeiten. Gerade weil der Schlaf gesundheitlich so relevant ist, könnten diese Daten auch einmal die Gesundheitsbranche oder Versicherer interessieren - das ist allerdings noch Zukunftsmusik.
Nützliche Tipps (nicht nur von der App)
Rund ein Drittel seines Lebens verbringt der Mensch im Schlaf - hoffentlich. Damit das besser gelingt, gibt es eine Menge, was der Schlafsuchende selber tun kann. Viel hat damit zu tun Rituale und ein entspanntes Schlafumfeld zu schaffen, Mediziner sprechen oft von Schlafhygiene. Solche Tipps und Verhaltensrgeln finden sich auch als Empfehlungen in zahlreichen Apps wieder - das macht sie nicht besser oder schlechter, klingt nur einfach irgendwie persönlicher, wenn auf dem Display steht: "Nina, versuche heute einmal gegen 22 Uhr ins Bett zu gehen. Lange wach zu bleiben ist nicht gut für dein Immunsystem und beschleunigt den Alterungsprozess", wie es eine bekannte asiatische App formuliert.
Zur Schlafhygiene gehört vor allem:
- Möglichst kein blaues LED-Licht durch Displays in Bettnähe - also auch kein Handy oder nur im blaulichtarmen Nachtmodus (einfach Dimmen hilft nicht)
- Kein fettiges oder schweres Essen drei Stunden vor dem zu Bett gehen, aber auch nicht hungrig schlafen gehen
- Schlafzimmer gut durchlüften und eher leicht kühl temperieren
- Ins Bett gehen ritualisieren durch z.B. feste Zeiten, feste Abläufe, gleiche Schlafkleidung, Lieblingshörbuch etc.
- 2-3 Stunden vor dem Schlafen gehen nicht mehr rauchen oder trainieren (kann wach machen)
- zeitliche Pufferzone zwischen Alltag und "Bettzeit" schaffen, auch wenn es bei der Arbeit mal lang gedauert hat und der Tag lang wurde
- Und vor allem: Das Schlafzimmer nicht zum Feind werden lassen, zum Raum, in dem man ewig "versagt" und wach liegt - wer aufwacht sollte raus gehen, etwas beruhigendes tun (lesen oder so) und dann erst einen zweiten Versuch wagen.
Erforschung der inneren Uhr
Grundsätzlich gibt es fünf Schlafphasen beim Gesunden (zwei Leichtschlaf, zwei Tiefschlaf und die REM-Phase, in der wir träumen). Im Wechsel ergeben sie einen 90-minütigen Zyklus, der sich in einer normal langen Nacht etwa vier bis sechs Mal wiederholt. Ein spannendes Feld für Forscher und Schlafanalyse ist prinzipiell nichts Neues: Wissenschaft erforscht und therapiert schon lange auf Basis von Daten, die sie Schlafenden entlockt. Spätestens seit den 1960er Jahren beschäftigen sich Chronomediziner mit dem Einfluss der inneren Uhr auf unseren Körper. Erste Studien zeigten damals nicht nur, wie individuell Schlaf ist, sondern auch, dass der Mensch eigentlich einen 25-Stunden-Tagesrhythmus hatte. Heute weiß man auch, dass der innere Rhythmus von Genen, Proteinen und Molekülen gesteuert wird. An der Charité wurde beispielsweise ein Bluttest entwickelt, der den Stand der inneren Uhr objektiv bestimmen kann und mit dem sich z.B. Medikamententherapien zielgenauer anpassen lassen.
Neue Studien am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam und am Helmholtz Zentrum in München (Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt) gehen auch der Frage nach, wie Stoffwechselzyklen im Zusammenhang mit der inneren Uhr die Aufnahme von Fett, Zucker und Kohlenhydraten beeinflusst. Z.B. wird am DIfE gerade daran geforscht, wie sich eine tageszeitabhängige Ernährung auf die Blutfette auswirkt. Dazu wurden in einer ersten Studie 29 männliche Probanden mit speziell fettreicher oder kohlenhydratreicher Kost im Wechsel zu verschiedenen Tageszeiten "gefüttert". In einem aufwändigen neuen Verfahren wurden dann Blutfettwerte und Gewebeproben aus dem Bauchfett analysiert - auch im Hinblick darauf, welche Gene wann aktiv waren. Und die Gene - und damit die Verarbeitung von verschiedenen Lebensmitteln - war zu unterschiedlichen Tageszeiten in der Tat verschieden. "Für ein Drittel aller Lipide waren die Änderungen nach der Mahlzeit davon abhängig, ob dieselbe Mahlzeit morgens oder nachmittags gegessen wurde"n, sagt die Leiterin der Forschungsgruppe Molekulare Ernährungsmedizin, PD Dr. Olga Ramich, in einer Presseerklärung.
Um sagen zu können, wann man am besten Fett und wann Zucker bzw. Kohlenhydrate am Tag zu sich nehmen solle, sei es noch zu früh, so die Forscher. Aber erste Ergebnisse zeigten z.B., dass Glukose nachmittags schlechter "verstoffwechselt" wird, als morgens.