In einer Sprechblase steht das gestotterte Wort sprechen (Quelle: imago/Steinach)
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Leben mit dem Stottern - Wenn die Worte steckenbleiben

Etwa einer von 100 Erwachsenen stottert. Viele Betroffenen leiden darunter, nicht frei kommunizieren zu können - fühlen sich manchmal ausgeschlossen von der Gesellschaft. Was man über die Ursachen der Redeflussstörung weiß, wie sie behandelt wird und warum manche Betroffene beim Singen und Flüstern flüssig sprechen, darüber sprach rbb Praxis mit Jutta Tepp, Lehr-Logopädin an der Schule für Logopädie der Charité in Berlin.  

Wann spricht man überhaupt davon, dass jemand stottert?

Stottern ist eine Redeflussstörung, die sich dadurch bemerkbar macht, dass einzelne Silben beim Aussprechen blockieren, wiederholt werden oder sehr gedehnt ausgesprochen werden. Bei den meisten Betroffenen ist das Stottern begleitet von psychischen Symptomen wie Angst vor dem Stottern, weshalb viele dann auch vermeiden, überhaupt in der Öffentlichkeit zu sprechen. Wenn sie es dann trotzdem tun, ist ihr Sprechen oft sehr angestrengt, sie müssen regelrecht kämpfen, um Sätze hervorzubringen. Allgemein gilt, dass für die Diagnose Stottern etwa drei Prozent der geäußerten Silben nicht flüssig artikuliert werden können.

Darf man 'Stotterer' sagen oder ist das schon diskriminierend?

Früher hat man Stotterer gesagt, aber davon ist man eigentlich abgekommen. Sinnvoller ist es sicherlich von „Menschen mit Stottern“ zu sprechen. Denn das macht deutlich, dass das Stottern nur ein Teil der Person ist und nicht den ganzen Menschen ausmacht.

Sind es bestimmte Worte, die Menschen mit Stottern schwerfallen?

Stottern ist etwas ganz Individuelles und ist bei jedem Betroffenen unterschiedlich. Viele berichten von bestimmten Lauten, bei denen sie Schwierigkeiten haben. Manchmal betrifft es den Buchstaben, mit dem der eigene Name beginnt, weil der etwas ist, was man häufig nennen muss. Man wird oft in der Kindheit nach dem Namen gefragt und wenn dabei dann das Stottern auftritt, lernt das Kind, dass es in dieser Situation stottert. Durch die Angst, wieder bei der Namensnennung zu stottern, verfestigt sich dieses Verhalten.

Sind Menschen mit Stottern in der Gesellschaft benachteiligt?

Meine Erfahrung ist die, dass viele Menschen wenig über Stottern wissen, sofern sie nicht jemanden kennen, der stottert. Dadurch bestehen Vorurteile, etwa die, dass Menschen, die stottern, besonders schüchtern, zurückhaltend oder unsicher sind. Auch ein Mangel an Intelligenz wird immer noch mit dem Stottern verbunden, was völlig unzutreffend ist. Das spüren natürlich die Menschen, die stottern und diese Vorurteile müssen sie erstmal wiederlegen. Ich kenne viele junge Menschen, die sich im Übergang ins Berufsleben befinden. Bei denen ist es ein großes Thema, dass sie das Gefühl haben, als weniger kompetent eingeschätzt zu werden, als Menschen ohne eine Redeflussstörung. In manchen Fällen wählen sie dann auch Berufe, die unter ihren eigentlichen Fähigkeiten liegen, bei denen sie aber nicht so viel Sprechen müssen. Ein anderes Beispiel: Ich war gerade als Expertin in einer Schulkonferenz, in der es um den Nachteilsausgleich für eine sehr gute Schülerin ging. Sie würde sich eigentlich häufiger im Unterricht melden, aber vermeidet das aufgrund des Stotterns, was dann erstmal gar nicht auffällt. Gerade in der Schule ist es wichtig, dass Lehrer darauf ein gutes Auge haben.

Was sind typische Vermeidungsstrategien von Menschen mit Stottern?

Zum einen das Vermeiden von Sprechen ganz allgemein, aber auch das partielle Vermeiden bestimmter Wörter. Das läuft dann darauf hinaus, dass Menschen mit Stottern sich nicht in der Lage fühlen, das auszusprechen, was sie eigentlich sagen wollen. Dadurch wirkt ihr Sprechen vielleicht unbeholfen und nicht so präzise, wie es eigentlich sein könnte. Hinzu kommen Gesten, wie die Hand vor den Mund nehmen oder sich vorher nochmal zu Räuspern. Aber auch das Einschieben von Floskeln wie „na ja, du weißt schon.“

Was weiß man über die Ursachen des Stotterns?

Die Veranlagung zum Stottern wird vererbt, ist also etwas, wofür man nichts kann. Das ist für mich auch immer eine ganz wichtige Aussage gegenüber den Betroffenen, weil es dadurch müßig ist, nach möglichen Auslösern zu suchen. Hartnäckig halten sich bestimmte Vorurteile, etwa dass das Erziehungsverhalten der Eltern dafür verantwortlich sei. Es gibt inzwischen viele Studien, die zeigen, dass bei Menschen mit Stottern im Gehirn bestimmte Strukturen verändert sind. Das betrifft vor allem die so genannte graue Substanz in der linken Gehirnhälfte. Diese enthält Fasern, die für die Weiterleitung der Sprechplanung bis zur Ausführung zuständig sind. Bei Menschen mit Stottern ist die graue Substanz beschädigt, beziehungsweise reduziert und dadurch funktioniert sie auch nicht so gut. Das führt dazu, dass Regionen in der rechten Gehirnhälfte quasi einspringen, die aber gar nicht dafür vorgesehen sind. Diese Kompensationsleitung der rechten Gehirnhälfte ist aber nicht sehr stabil, weshalb zum Beispiel bei Stress die Betroffenen oft besonders stark stottern.

Welche Therapieansätze gibt es für Menschen mit Stottern?

Bei Kindern ist auf jeden Fall der möglichst frühzeitige Beginn einer Therapie ganz wichtig. Es gibt leider immer noch Kinderärzte, die sagen: "das verwächst sich". Auch aufgrund der Erfahrung, dass es einen hohen Anteil von Kindern gibt, bei denen es zu einem spontanen Verschwinden des Stotterns kommt. Das kann man aber nicht voraussehen und deshalb würde ich allen Eltern raten, sich an eine Logopädin zu wenden, die sich auf Stottern spezialisiert hat. Eine frühzeitige Therapie kann nämlich das Verfestigen von Begleitsymptomen wie Angst vor dem Sprechen verhindern. Das so genannte Lidcombe-Programm ist eine Verhaltenstherapie, die Eltern darin schult, ihre Kinder durch Lob und positive Verstärkung zum flüssigen Sprechen anzuregen. Das Lidcombe-Programm gehört zu den so genannten Fluency Shaping Ansätzen. Dabei wird eine besonders weiche Sprechweise erlernt, bei der vor allem die Wortanfänge betont weich und langgezogen gesprochen werden, was tatsächlich ein Stottern verhindert. Dann gibt es noch den so genannten Modifikationsansatz. Beim Modifikationsansatz, der aus den USA kommt, geht es um eine Veränderung des Sprechens, da wo das Stottern auftritt. Das heißt, immer dann, wenn Betroffene merken, es könnte ein Stottern kommen, lernen sie unterschiedliche Techniken – unter anderen auch den weichen Sprechbeginn – um das Stottern zu überwinden. Diese Techniken werden immer durch ein Akzeptanz-Training unterstützt, bei dem es darum geht, das eigene Stottern zu akzeptieren und gelassener damit umzugehen. Das wirkt sich wiederum positiv auf den Redefluss aus, da weniger Anspannung und Stress auch zu weniger Stottern führen. Trainiert wird die Akzeptanz zum Beispiel durch bewusstes Stottern, aber auch durch das gezielte Sprechen vor einer Gruppe oder in der Öffentlichkeit.
 
Bei Kindern reichen manchmal schon zehn bis zwanzig Therapieeinheiten, um das Stottern deutlich zu vermindern. Bei Erwachsenen ist das häufig ein längerer Lernprozess, der mindestens ein Jahr dauert, je nach Eigenaktivität der Patienten.

Was hat sich in der Behandlung des Stottern in letzter Zeit verändert?

Das Wissen über die Entstehung des Stotterns, ist in den letzten fünf bis zehn Jahren größer geworden, unter anderem durch bessere bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie. Dank der Medien und auch durch die Arbeit von Selbsthilfegruppen sind auch mehr Menschen über diese Redeflussstörung informiert. Hinzu kommt, dass wir heute besser wissen, welche Therapieansätze wirksam sind und in der Regel auch frühzeitiger mit einer Therapie begonnen wird.

Warum Stottern manche Menschen nicht, wenn sie singen oder flüstern?

Gerade das Singen dient wie ein äußerer Taktgeber für das Sprechen. Das hilft anscheinend dem Gehirn, die Aktivierung bestimmter Areale in der linken Gehirnhälfte zu koordinieren, die sonst erst verzögert aktiviert werden und die für die Artikulationsbewegung zuständig sind. Allerdings sind Singen und Flüstern Tätigkeiten, die nur genau dann zu einer Verminderung des Stotterns führen, wenn ich sie tue. Dadurch ist ein Transfer in den Alltag schwierig und deshalb setze ich das in meiner Behandlung auch selten ein.

Wie soll man Menschen, die stottern umgehen?

Möglichst ganz normal, zuhören, anschauen, ausreden lassen und nicht den Satz des Gegenübers vervollständigen. Dafür muss man ein wenig mehr Geduld mitbringen, aber das lohnt sich, weil dadurch der Mensch, der stottert, sich nicht zusätzlich unter Druck gesetzt fühlt. Derjenige, der stottert, sollte wiederum offensiv damit umgehen und ankündigen, dass er stottert. Da habe ich gerade gestern mit einem Patienten drüber gesprochen, der ein Bewerbungsgespräch vor sich hat. Ihn habe ich ermutigt, das gleich zu Beginn offensiv anzusprechen und um ein wenig mehr Geduld zu bitten. Nicht im Sinne einer Entschuldigung, sondern um die Irritation des Gegenübers zu vermeiden. Letztlich ist Stottern eine Kommunikationsstörung, d.h. beide Seiten sind für eine gelungene Kommunikation verantwortlich. Je gelassener und verständnisvoller ein Gegenüber auf das Stottern reagiert, desto einfacher ist es auch für den Menschen mit Stottern, damit umzugehen.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Tepp.
Das Interview führte Ursula Stamm.

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