Körper & Psyche im Teufelskreis des Stoffwechsels - Gefährliches Zusammenspiel: Diabetes und Depression
In Deutschland leiden laut Deutscher Diabeteshilfe knapp 7 Millionen Menschen unter dieser Störung des Stoffwechsels, über 90 Prozent davon unter dem "Typ 2", der sich erst im Lauf des Lebens entwickelt. Die Erkrankung kann den Körper massiv schädigen, z.B. an den Nieren, Nerven, Augen oder Füßen. Weniger bekannt ist: Diabetiker haben auch ein etwa doppelt so hohes Risiko an Depressionen zu erkranken. Ein massives Problem, denn gerade bei Diabetes hängen Therapieerfolge stark vom aktiven Patienten ab.
Wer unter Diabetes leidet, muss sich ständig um das kümmern, was im Körper gesunder Menschen Zellen durch Insulinausschüttung managen: den Blutzucker. Nicht nur jede Mahlzeit, sondern auch Bewegung oder Stress können den Blutzuckerspiegel verändern. Wie sehr, das müssen Betroffene ständig messen und berechnen, um gegebenenfalls z.B. mit Medikamenten gegenzusteuern. Denn gerät der Blutzuckerspiegel in der einen oder anderen Richtung außer Kontrolle drohen Gefäß- und Organschäden, schlimmstenfalls der Tod. Alltägliche Gefahren für rund sieben Millionen Diabetespatienten in Deutschland. Diese Risiken zu managen und das Leben mit Diabetes durch eine gute Therapie so normal und gesund wie möglich zu leben erfordert von Betroffenen ein hohes Maß an Selbstdisziplin, Wissen und Motivation.
Doch laut Schätzungen von Experten der Deutschen Diabetesgesellschaft (DDG) leiden etwa 800.000 DiabetikerInnen im Land auch an einer behandlungsbedürftigen Depression - der Anteil ist rund doppelt so hoch, wie in der Normalbevölkerung. Dazu kommen weitere 18 Prozent der Patientinnen und Patienten, die an einzelnen depressiven Symptomen wie z.B. Antriebslosigkeit oder Ängsten leiden.
Dass körperliche und seelische Störungen gemeinsam auftreten, sich gegenseitig bedingen und/oder verstärken können, ist lange bekannt: Mediziner sprechen von Komorbidität. Das gefährliche Zusammenspiel zwischen Diabetes und Depression hat sogar tödliche Folgen, erklärt Diplom-Psychologe Prof. Dr. Bernd Kulzer, Sprecher der AG Diabetes und Psychologie der DDG in einer Pressemitteilung: "Fest steht: Depressive Diabetespatienten sind kränker und sterben früher." Neben der sogenannten Compliance, also der aktiven Teilnahme von Patienten an der Therapie liege das auch an höheren Selbstmordraten bei Diabetikern mit Depressionen, besonders bei jüngeren Männern mit einem Typ-1-Diabetes.
Adipositas: Fett als Depressionsrisiko?
Laut Deutscher Diabetes Hilfe sind etwa 90 Prozent der Typ-2-Diabetiker stark übergewichtig (adipös). Übergewicht gilt als einer der Hauptrisikofaktoren für die Erkrankung an Diabetes dieses Typs. Aber inwiefern erhöht ein hohes Maß an Körperfett auch das Depressionsrisiko? Dieser Frage gingen Forscher im dänischen Aarhus in einer besonderen Studie nach, die 2019 im Fachmagazin Translational Psychiatry veröffentlicht wurde. Dazu verwendeten sie Daten von 332.000 Personen aus der UK Biobank und 480.000 Personendatensätze des Psychiatrie Genomic Consortium, in denen jeweils auch genetische Informationen erfasst worden waren.
Die Forscher untersuchten mittels der sogenannten Mendelschen Randomisierung die Verteilung von Depression und Adipositas in den Patientendatensätzen und fanden u.a. heraus, dass eine Zunahme von zehn Kilo überflüssigem Körperfett zu einer Erhöhung des Depressionsrisikos um 17 Prozent führte. Weil das Bauchfett medizinisch als besonders riskant für die Gesundheit bewertet wird, untersuchten sie mit Hilfe des UK Biobank-Datensatzes auch dessen Einfluss auf das Depressionsrisiko - mit negativem Ergebnis: Menschen mit viszeraler Adipositas (von Laien oft als Bauchfett bezeichnet) sind genauso gefährdet wie Menschen mit subkutanen Fettpolstern. Wichtig ist das auch im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Depression und Diabetes Typ-2, denn jenes viszerale Fett steht im Zusammenhang mit der Ausschüttung von Botenstoffen im Körper, die beispielsweise für die Insulinresistenz mit verantwortlich gemacht werden. Laut den Forschern werden also Depressionen nicht durch biochemische Prozesse in Verbindung mit dem manchmal auch als "lipotoxisch" (lipos = griechisch für Fett, toxisch = giftig) bezeichneten Bauchfett ausgelöst.
In einer Gegenprobe wurde bestätigt, das genetische Merkmale, die das Risiko für Depressionen erhöhen, nicht per se mit erhöhtem Körpergewicht der Untersuchungsteilnehmer einher gingen. Die dänischen Forscher vermuten deshalb, dass die psychischen Belastungen, z.B. soziale Ausgrenzung und Einschränkungen in der Lebensqualität durch Übergewicht, den Zusammenhang zwischen Adipositas und einem erhöhten Depressionsrisiko bedingen.
Forscher vermuten andere physische Verbindung
Wenn es um ein Zusammenspiel zwischen Depression und Diabetes geht, ist auch immer wieder die sogenannte Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse, kurz HPA-Achse, in der wissenschaftlichen Diskussion. Depressionen können häufig zu einer Hyperaktivität in diesem Bereich führen, was die Ausschüttung von Hormonen bewirkt, die die Kortisolbildung in der Nebenniere anregen. Kurz zusammengefasst sind die Folgen: u.a. die verminderte Verwendung von Glukose und verminderter Effekt der durch Insulin ausgelösten Hemmung der Glukoseproduktion - der Blutzuckerspiegel erhöht sich und die Insulinresistenz nimmt außerdem zu. Gerade Letzteres kann ein Faktor beim Entstehen und der Verschärfung von Diabetes Typ-2 sein.
Außerdem werden Folgeschäden verschärft, denn die Aktivierung der HPA hat auch eine Erhöhung von Entzündungsprozessen im Körper zur Folge - betroffen sind vor allem Blutgefäße, die bei Diabetes jeder Art ohnehin gefährdet sind. Folgeerkrankungen an Nerven, Füßen oder Augen werden ebenfalls dadurch gefördert. Eine Studie an der University of Washington, veröffentlich in der Fachzeitschrift JAMA Internal Medicine, geht sogar davon aus, dass durch diese verschärfenden Wirkungen der Depression auf Diabetes und die entstehenden Folgeerkrankungen die Behandlungskosten zwischen 50 bis zu 86 Prozent erhöht werden könnten. Natürlich stammt die Studie aus den USA und die Ergebnisse sind in unser System nicht voll übertragbar, trotzdem ist das Ergebnis alarmierend.
Wechselwirkung: Depressionen können Diabetes begünstigen
Viele Studien zeigen den Zusammenhang zwischen Depressionen und Diabetes vor allem insofern, als das Diabetiker im Vergleich zur Normalbevölkerung ein doppelt so hohes Depressionsrisiko haben. Aber auch umgekehrt stehen die beiden Krankheiten in Verbindung, wie z.B. schon 2005 eine große US-Studie zeigte: So hatten von 1.622 neu diagnostizierten Diabetikern 30 Prozent in den letzten 20 Jahren Probleme mit Depressionen. Die Forscher kamen zum Ergebnis, dass junge Erwachsene mit Depressionen ein ca. 23 Prozent höheres Risiko hätten, an Diabetes zu erkranken.
Wer die Depression angeht, verbessert auch die Diabetes-Therapie
Umgekehrt zeigten Studien, dass sich Therapie und diabetische Stoffwechselsituation von depressiven Patienten wesentlich verbessern, wenn die Depression behandelt wird. Dabei können sich Diabeteker mit Depressionen sowohl klassisch von Psychologen und Psychotherapeuten behandeln lassen, wie auch spezielle Fachpsychologen mit Diabeteskenntnissen aufsuchen. Seit 2017 hat die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) ihre Weiterbildungsordnung um "Psychotherapie bei Diabetes" für Psychologische Psychotherapeuten erweitert, eine mindestens 18-monatige Zusatzausbildung. Schon länger war eine ähnliche Form der Weiterbildung zu "Fachpsychologen DDG" möglich. Die Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie der DDG bietet eine Suchfunktion für Anbieter dieser speziellen Form der Psychotherapie hier an.
Wer an sich die Zeichen von Depressionen oder depressiven Verstimmungen erkennt und unter Diabetes leidet, sollte unbedingt fachliche Hilfe suchen - nicht nur, um der eigenen Psyche zu helfen und an Lebensqualität zu gewinnen, sondern auch die Risiken für Folgeerkrankungen der Diabetes zu minimieren - unter Umständen kann das sogar Leben retten.