Interview | Männer in der Midlife-Crisis - Krisengefahr für die Psyche des Mannes?
Welche psychischen Krisen drohen dem Mann in der Mitte des Lebens und wie erkennt man sie? Das haben wir den Berliner Psychologen und Männertherapeuten Uwe Waldmann gefragt.
Statistisch gesehen geht es den deutschen Männern in ihrer zweiten Lebenshälfte so gut, wie noch nie. Doch bei genauerem Hinsehen steht am Anfang dieser guten Lebenszeit ein Tal: das Alter zwischen 40 und 55 Jahren, wie inzwischen Studien belegen. Auch wenn die Midlife- Crisis kein medizinisch definierter Begriff ist - die Mitte des Lebens ist eine Zeit des Wechsels, die Männer in psychische Krisen stürzen kann.
Herr Waldmann, die Midlife-Crisis ist ja vielen Menschen grundsätzlich ein Begriff, aber medizinisch gesehen gilt sie als Mythos. Was ist für Sie aus psychologischer Sicht die Midlife-Crisis und was löst sie aus?
Von einer Midlife-Crisis sprechen wir, wenn es an der Schwelle zur zweiten Lebenshälfte zu Problemen kommt: oft gilt es den Verlust der Eltern zu betrauern oder sie zu pflegen, die eigenen Kinder verlassen das Nest. Der Mann wird aus seiner Rolle als Vater entlassen und wieder mehr zum Mann. Entsprechend wird auch die Partnerschaft noch einmal überprüft. Aber auch im Beruflichen kann resümiert werden und auf der anderen Seite gibt es vielleicht noch viele unerfüllte Wünsche, die die eine oder andere Lebensveränderung mit sich bringen würde - man fragt sich, ob man so einen Schritt gehen möchte. Anlässe für eine Krise gibt es also viele. Viele Männer meistern einzelne Veränderungen auch ganz gut. Kommen allerdings mehrere dieser Punkte zusammen, kann es sein, dass die Probleme überwältigend werden und Rat von Freunden oder dem Partner nicht mehr weiterhelfen.
Wie äußert sich das konkret?
Häufig treten dann Symptome wie Stimmungsschwankungen, vermehrtes Grübeln, innerer Unsicherheit, Gereiztheit und eine allgemeine Unzufriedenheit auf. Von einem Mythos Midlife-Crisis würde ich deshalb auch nicht sprechen. Diese Symptome sind durchaus real und biologisch messbar. Dass die Midlife-Crisis kein anerkanntes Störungsbild ist, hängt eher damit zusammen, dass der Lebenswechsel ja alle Menschen betrifft. Wenn es zu Symptomen kommt, dann lassen sich die eher anderen Krankheiten, wie Depressionen oder Angststörungen, zuordnen. Der Begriff Midlife-Crisis klingt allerdings viel besser, als wenn man sich eingestehen müsste, dass man eine Depression hat. Psychische Erkrankungen sind in unserer Gesellschaft leider immer noch sehr stigmatisiert, auch wenn sich das inzwischen zum Glück ändert.
Natürlich sind gerade psychische Probleme und Krisen immer höchst individuell. Aber gibt es so etwas wie grundsätzliche Tipps, wie Männer mit dem Älter werden und eben auch mit dem Start der zweiten Lebenshälfte umgehen können?
Pauschale Ratschläge sind in der Tat schwer, weil jeder Mann der zu mir kommt ein sehr individuelles Thema hat. Ich würde es trotzdem mal so formulieren: In der Regel hilft es sich mit anderen Männern auszutauschen. So erfährt "Mann", dass es anderen Männern ganz ähnlich geht und das macht es oft leichter die gegenwärtige Situation anzunehmen. Das ist meistens der erste Schritt für Veränderung.
Danach geht es darum zu schauen, wie es weitergehen kann. Es geht dann um Fragen wie: Was möchte ich in meinem Leben verändern? Welche Träume wollen noch gelebt werden? Wer ist von meinen Entscheidungen noch betroffen und sollte entsprechend einbezogen werden? Die von Männern oft missachtete Formel "Reden hilft" kann sich gerade in dieser schweren Zeit als sehr nützlich erweisen.
Gesundheitliche und körperliche Optimierung ist ja gerade ein großer Trend, unabhängig von Alter und Geschlecht. Wie wirkt sich das aus Ihrer Sicht auf Männer im mittleren Alter oder an der Schwelle zum letzten Lebensabschnitt aus?
Im Allgemeinen spielen Gesundheit und Körper für einen Mann erst dann eine Rolle, wenn er die geforderte Leistung nicht mehr erbringt. Vorsorgeuntersuchungen sind für viele Männer ein rotes Tuch und dem Weg zum Arzt oder Therapeuten muss oft ein hoher Leidensdruck zugrunde liegen, bis ein Mann etwas für sich tut. Sich für seine Gesundheit einzusetzen - egal ob durch eine gesunde Ernährung oder Sport -halte ich deshalb erst einmal für sehr empfehlenswert. Das bedeutet aber nicht, dass man sich einen strengen Trainingsplan, am besten noch mit Smartwatch und Kalorienzähl-App unterwerfen muss.
Die Gefahr des Trends liegt also darin es zu übertreiben, Messwerte zu "sammeln", auch einfach um ihrer selbst wegen, wie bei einem Spiel?
Ja, aus psychologischer Sicht finde ich es viel wichtiger, einen natürlichen Zugang zu seinen Grenzen und seiner Komfortzone zu finden. Es geht also vielmehr um die Frage: "Was tut mir gut oder was macht mich vital?"
In meiner Arbeit geht es genau um diese Themen, nämlich individuelle Lösungen für individuelle Problemstellungen zu finden und die können manchmal ganz schön komplex sein. Was ich auch jeden Fall sagen kann ist, dass wir in den Sitzungen nicht nur über Probleme sprechen, sondern auch Stärken nutzen, um eine Veränderung zu erzielen und durch kleine Forschungsaufträge gemeinsam neue Erfahrungen zu sammeln - was gut tut und hilft - um die aktuelle Krise zu überwinden.
Wie sehen solche "Forschungsaufträge" an die Patienten zum Beispiel aus?
Das ist ganz unterschiedlich, je nach Problem. Jemand, der sich nicht vital fühlt, aber auch wenig Bewegung in seinem Leben hat, für den kann eine Aufgabe zum Beispiel sein über eine Woche verschiedene Sportarten zu testen oder mal eine halbe Stunde spazieren zu gehen und dann werten wir das aus. Bei jemandem, der in einer Sinnkrise ist, kann die Forschungsaufgabe sein: Schreiben Sie mal die fünf Werte und die fünf Menschen auf, die Ihnen gerade im Leben am wichtigsten sind. Das kann helfen eine Reflexion, einen Prozess einzuleiten, um zum Beispiel Lebensziele zu justieren.
Einige Studien legen ja nahe, dass Männer besondere Scheu davor haben, psychische Hilfe oder Beratung in Anspruch zu nehmen. Ist das auch Ihre Erfahrung? Und können Sie das auch besonders bei Männern in den mittleren Lebensjahren feststellen?
Leider ist es tatsächlich so: Viele Männer sind eher bereit sich das Leben zu nehmen, anstatt Hilfe anzunehmen. Entsprechend ist die Suizidrate bei Männern dreimal so hoch wie bei Frauen; im zunehmenden Alter steigt der Anteil leider sogar noch mehr an. In den meisten Therapiepraxen sind 2/3 der Klienten Frauen. Auf der anderen Seite sind jedoch auch viele Behandler (zu 90 Prozent Psychologinnen) nicht auf die geschlechtsbezogenen Besonderheiten sensibilisiert, weshalb Depressionen bei Männern oft nicht erkannt und behandelt werden. Genau hier wollte ich mit der Männerpsychotherapie ein Angebot machen.
Sie bieten ausdrücklich Onlinesprechstunden an - auch anonyme Onlinesprechstunden. Aus Ihrer Erfahrung: Erleichtert das gerade Männern sozusagen den Weg zu professioneller Hilfe?
Ja, das ist für viele Männer ein großer Vorteil, denn in vielen Gegenden wartet man auf ein Erstgespräch bis zu sechs Monate. Das ist einerseits wertvolle Lebenszeit und wer zu lange wartet geht das Risiko ein, dass eine psychische Störung chronisch wird.
Dazu kommt, dass durch die Anonymität eine weitere Hürde genommen wird. Nach einem Erstgespräch steht dann zumeist fest, ob eine Therapie sinnvoll ist. Manchmal dauert es länger, aber in der Regel reichen schon wenige Stunden aus, um eine deutliche Verbesserung zu erreichen. Ich denke schon, dass solche niedrigen Hürden vielen Männern helfen, leichter den Weg zu einer adäquaten Unterstützung zu finden. Gerade älteren Männern ist aber der persönliche Kontakt oft wichtig, weshalb ich auch Gespräche vor Ort in einer Praxis in Berlin-Wilmersdorf führe. Welchen Weg ein Mann wählt, ist aber nachrangig. Mir ist vor allem wichtig, dass auch solche marginalisierten Themen wie psychische Probleme von Männern mehr Aufmerksamkeit erhalten.
Vielen Dank für das Gespräch, Uwe Waldmann!
Das Interview führte Lucia Hennerici.