Interview l Tabakentwöhnung - Chance & Risiko E-Zigarette
Was oft als lässiges Laster gilt, bringt jährlich Zehntausende um: Rauchen. Problem: Vom Glimmstängel loszukommen ist extrem schwer - biochemisch und psychisch. Viele greifen zur E-Zigarette. Grundidee: Wo keine Verbrennung, da kein Rauch und weniger Schaden. Aber stimmt das? Und warum sind auch viele Experten weiter skeptisch? "Jeder Weg zum Ende des Rauchens ist richtig", sagt der Berliner Lungenfacharzt Dr. Thomas Hering - und setzt auch auf die "E-Zig".
Herr Dr. Hering, der Einsatz der E-Zigarette zur Tabakentwöhnung ist in medizinischen Fachkreisen seit langem umstritten, die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), lehnt E-Zigaretten bis jetzt zur Rauchentwöhnung offiziell ab. Wie sehen Sie das - als Teil dieser Fachgesellschaft und jemand der viel zum Einsatz der E-Zigarette bei Tabakentwöhnung analysiert hat?
Zuerst zur wissenschaftlichen Kontroverse: In der Tat gibt es die Position der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und auch der Europäischen Gesellschaft für Pneumologie, die sich auch im Wesentlichen deckt mit der Haltung der WHO. Und selbst wenn Ihnen das jetzt alles als große Gesellschaften im Ohr klingt, stehen die aber zunehmend alleine. Und zwar, weil sich der Wissensstand zugunsten der Applikationssysteme, also der E-Zigarette, doch erheblich vermehrt. Beim Tabakerhitzer wissen wir noch weniger, weil es den noch nicht so lange gibt.
Aber in Sachen E-Zigarette gibt es eine öffentliche, auch scharfe Kontroverse, die manchmal … sagen wir mal nicht strikt wissenschaftlich geführt wird, sondern auch so ein bisschen - ich hätte fast gesagt: wie eine religiöse Auseinandersetzung. Also da wird mehr nach dem "Ich glaube", als nach dem "Ich weiß" gehandelt.
Ich bin ja Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und dort auch Mitglied der Taskforce Tabak. Und dennoch stehe ich diesbezüglich eindeutig auf der anderen Seite. Also ich vertrete ganz klar eine Position, die die erleichternden Potenziale der E-Zigarette (und vielleicht zunehmend dann auch der Tabakerhitzer) unterstützt. Dazu habe ich auch viel publiziert. Und ich bin auch jederzeit bereit, diese Kontroversen immer nach bestem Wissen und Gewissen zu führen.
Beim Begriff "E-Zigarette" werden ja oft Verdampfer und Tabakerhitzer in einen Topf geworfen. Wie fassen Sie den Begriff? Und steht der Tabakerhitzer, was die Gesundheit angeht, näher an der klassischen Zigarette oder am Verdampfer?
Naja, Sie können bei den E-Zigaretten auch nochmal unterscheiden in nikotinhaltige und nicht nikotinhaltige. Es gibt welche, die tatsächlich nur sozusagen den Akt des Inhalierens beinhalten, in denen der Suchtstoff Nikotin aber nicht enthalten ist. Natürlich haben die klassischen E-Zigaretten, also Verdampfer, dann nochmal die tausenderlei Aromastoffe - die sind aber vielleicht jetzt hier nicht so spannend.
Also: Es wird eine Flüssigkeit, ein Liquid, verdampft - mit Aromastoffen, mit oder ohne Nikotin. Dazu nutzt man Energie aus einem Akku, mit der sozusagen eine Mini-Heizspirale angetrieben wird. Ergebnis ist klassischer Dampf - häufig sieht der deutlich weißer und dichter aus als der Rauch aus einer Tabakverbrennung bei der klassischen "Kippe".
Und dann gibt es daneben die Tabakerhitzer. Die sind schon etwas anderes - und zwar wird da nicht Propylenglykol mit Nikotin und Duftstoffen verdampft, sondern es wird Tabak auf ungefähr 300 Grad erhitzt und dabei natürlich auch Bestandteile des Tabaks verdampft - aber eben auch nicht verbrannt.
Aber so ganz trennscharf scheint das wohl nicht zu sein: Also es finden schon Prozesse statt - chemisch nennt man das Pyrolyseprozesse -, die der Verbrennung ein bisschen näher kommen.
Was dann das Gefährdungspotenzial angeht, scheint der Tabakerhitzer aber dann doch sehr viel näher an der E-Zigarette zu sein. Also geringes Schädigungspotenzial im Vergleich zur Verbrennung bei der klassischen Zigarette – die hat extrem hohes Schädigungspotenzial.
Aber wenn Sie hier von E-Zigarette sprechen, meinen Sie in der Regel das Gerät, bei dem ein Liquid verdampft wird, den Tabakerhitzer würden Sie sozusagen als eigene Gruppe nennen, richtig? Auch wenn in beiden Fällen ein Produkt so erhitzt wird, bis eine Verdampfung eintritt?
Ja, genau.
Wenn wir schon bei den Zahlen und der Forschung sind: Was weiß man denn heute über die Schädlichkeit der E-Zigarette im Vergleich zum klassischen "Verbrenner"?
Also man kann sagen, dass bei der Tabakzigarette etwa 4.000 Substanzen identifiziert sind, von denen etwas mehr als zehn Prozent in ihrem toxischen und karzinogenen [Anm. d. Red.: krebserregenden] Potenzial identifiziert sind. Das wissen wir.
Und wir wissen, dass in der E-Zigarette nur ein Bruchteil von Substanzen enthalten ist - allenfalls eine zweistellige Anzahl von Substanzen -, die nach bisherigem Wissen nicht geeignet sind, in gleicher Weise Schaden hervorzurufen.
Da geht es im Wesentlichen um den "Disconebel", also das Propylenglykol, und es geht natürlich um Nikotin, das aber hier wie dort nur die Rolle der suchterhaltenden Substanz mit sehr begrenztem Organschädigungspotenzial hat. Es geht um Metalldämpfe, die eventuell frei werden, weil die Erhitzerspiralen in geringer Menge eben tatsächlich Nickeldämpfe oder und ähnliches abgeben.
Aber es geht eben um eine sehr viel kleinerer Menge an Substanzen, die - jedenfalls bei der E-Zigarette, noch nicht beim Erhitzer - inzwischen auch gut untersucht sind. So dass die Aussage "Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt" nicht mehr zu stimmen beginnt.
Wir wissen über den Tabak natürlich sehr viel mehr, weil da die Forschung inzwischen 50-60 Jahre alt ist und die für die E-Zigarette eben jünger. Und Sie finden auch weniger Sponsoren, die solche Forschungen unterstützen.
Da gibt es natürlich auch eine große weltweite Tabaklobby, die vielfach ergebnisoffene Forschung jedenfalls nicht unterstützen, ja. Welche Stimmen haben für Sie dann besonderes Zuhören verdient?
Es gibt in Deutschland dankenswerterweise das Bundesinstitut für Risikobewertung, das diese Forschung zusammenfasst und bewertet. Und die bewerten sie eindeutig zugunsten der E-Zigarette. Etwas Gleiches tut die englische Gesundheitsbehörde Public Health, die regelmäßig und kontinuierlich in den letzten Jahren immer wieder updaten und sagen: die E-Zigarette empfehlen wir für die Entwöhnung, auch zur Schadensminderung, sogar im NHS, also im englischen Gesundheitsversicherungssystem.
Und es gibt jetzt ganz aktuell - das ist wirklich nagelneu - eine Publikation von einer Gruppe von 15 ehemaligen SRNT-Präsidenten. Die Society for Research on Nicotine & Tobacco (SRNT) ist die weltweit einzige Fachgesellschaft, die sich ausschließlich Tabak und den Risiken des Rauchens widmet. Und das sind die, die weltweit die entscheidenden Autoritäten versammeln.
In der Stellungnahme steht im August 2021 sinngemäß: "Achtung - wir brauchen eine vorsichtige Bewertung", aber es sieht doch alles danach aus, als dürften wir den Rauchern das entlastende Potenzial, was E-Zigaretten gegenüber Tabakzigaretten bieten, nicht weiter vorenthalten.
Wie ist es bei Ihnen persönlich, welche Erfahrungen machen Sie in der Praxis?
Ich bin ja Lungenarzt, behandle lungenkranke Menschen und natürlich unter denen auch welche, die weiterhin rauchen. Das ist bei uns am schmerzhaftesten bei den sogenannten COPD-Patienten. Das sind Patienten, die zu 90 Prozent durch das Rauchen bedingt einen vorzeitigen Abbau ihrer Lungenkapazität mit Gefährdung ihres Lebens haben. Das ist die Raucherlunge schlechthin. Das hat jetzt primär mit dem Lungenkrebs nichts zu tun, ich rede jetzt nur von dieser Erkrankung.
Und da können wir als Lungenärzte Raucher schnell und regelmäßig identifizieren. Einfach über die Laborwerte - wir sehen in der Blutgasanalyse, dass das CO-Hb oder CO-Hämoglobin erhöht ist, also das Kohlenmonoxid, was an den roten Blutkörperchen gebunden ist. Und dann habe ich auch ein leichtes Gespräch zum Faktor Rauchen mit dem Patienten und frage nur noch: Wieviel rauchen Sie? Der kommt gar nicht erst in Versuchung zu lügen und das Rauchen zu leugnen.
Und so ein Patient bekommt von mir zunächst einmal ganz klar den strikten Rat: "Wenn du deine Erkrankung aufhalten willst, dann musst du aufhören zu rauchen." Und wir versuchen ihm dann entweder eine Beratung zu vermitteln oder, wenn über den hohen Suchtgrad erkennbar ist, dass es mehr als nur Beratung braucht, dann bieten wir ihm entsprechende Unterstützungsmöglichkeiten an.
Wobei da das effektivste eine Gruppenbehandlung auf verhaltenstherapeutischer Basis ist, die man medikamentös unterstützt. Es gibt hierfür Nikotinersatz als Pflaster, Kaugummi, Mundspray etc. und dann noch zwei hierzulande zugelassene Medikamente, eins davon - Vareniclin - besonders erfolgversprechend.
Welche sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Stolpersteine beim Rauchstopp? Und wo setzt dann die E-Zigarette an?
Die wichtigste Barriere ist zunächst mal die eigene Sucht. Aber die nächste Barriere ist oft eine finanzielle. Denn diese Entwöhnungsmaßnahmen sind derzeit noch "Privatvergnügen" der Patienten. Ja: Die müssen die Entwöhnung weitestgehend selbst bezahlen. Und das ist in der Größenordnung von ca. 500 - 600 Euro. Da kann man natürlich sagen: "Ja, komm, hast du schnell zusammen gebracht, wenn du nicht mehr rauchst." Aber: Das sind oft arme Leute. Für die sind solche Beträge eine meist nicht machbare Hürde.
Rauchen ist ein soziales Problem - je ärmer, desto mehr wird geraucht. Das sind gut gesicherte, etablierte Zahlen, die zeigen, dass die Raucherquote unter den ökonomisch Schlechtgestellten wesentlich höher ist. Tatsächlich ist sie etwa doppelt so hoch gegenüber den bildungsnahen und besser gestellten Schichten.
Gegenüber 500 Euro ist eine E-Zigarette erstmal schnell angeschafft – wie geht es weiter? Auf was müssen die "Umsteigenden" achten?
Diese Patienten sagen also: "Nein, das kann ich nicht und ich bin auch zu süchtig. Ich bringe es einfach nicht hin." Es ist ja auch eine Frage der inneren Kapazität. Was kann der Kopf? Also Selbstwirksamkeit: Es gibt eben Patienten, bei denen ist eine Entwöhnung dringend - und dennoch nicht realistisch machbar. Und wenn Sie solche Patienten regelmäßig sehen und gleichzeitig sehen, wie mit einem Affentempo die Lungenkapazität sinkt, in einer Größenordnung, wo ich sage: "Das überlebt der nicht" -, dann bringe ich die E-Zigarette ins Spiel. Und dann frage ich: "Wenn du es sonst nicht schaffst, könntest du dir vorstellen, die Tabakzigarette durch die E-Zigarette zu ersetzen?"
Ja, und da gibt es in der Tat Patienten, die das als Lösung versuchen. Und dann kommt es für uns darauf an, zunächst mal zu sagen: Gut, wenn du das tust, dann musst du es aber zu 100 Prozent tun. Das heißt: keine einzige "klassische" Tabakzigarette "dazwischen". Du musst tatsächlich auf das Rauchen komplett verzichten.
Unsere Aufgabe ist es immer zu sagen: Dann verschenkst du all deine Liebesmühe, denn auch ein geringer Zigaretten-Konsum lässt dein Risiko in nahezu gleicher Größenordnung weiterbestehen.
Sie fragten mich nach meinem Alltag - das ist mein Alltag. Und wenn es klappt beim Patienten, dann fragen wir: Und? Wann geht die E-Zigarette auch noch über Bord? Und auch das gelingt. Insgesamt sind das keine großen Zahlen an Patienten. Es sind eher die verzweifelten Fälle, in denen ich sehe: Junge, du hast noch 600 Milliliter Atemkapazität. Du verlierst pro Jahr 200, das heißt du überlebst noch ein Jahr, denn mit 400 kannst du eigentlich nicht mehr leben. Versetzen Sie sich mal in die Lage des Arztes. Wir sehen die Leute ja "verglimmen" - im doppelten Sinne. Das ist ja auch für uns Ärzte emotional schwer auszuhalten.
Viele Raucher sagen: Bei der Sucht nach Zigaretten geht’s nicht nur um das Nikotin, sondern auch das "Ritual Rauchen". Kann das die E-Zigarette anders bzw. besser ersetzen, als Pflaster?
Das kommt drauf an, der Katalog der Entzugserscheinungen ist groß und die regelrechte Drogensucht auf Nikotin, das ist das eine. Das zweite ist die habituelle Komponente, also die Gewöhnung. Und Tabakabhängigkeit hat praktisch immer beide Komponenten, aber in unterschiedlicher Ausprägung. Es gibt sogar solche, bei denen die Gewöhnungskomponente im Vordergrund steht. Das sind die, die sagen: Ich muss am Nachmittag eine rauchen oder am Abend. Aber die haben keine grobe Sucht. Das kann ich schon daran ablesen, dass sie morgens nicht rauchen müssen.
Unsere Aufgabe ist es, wenn einem der Tabakabhängige gegenübersitzt, diese beiden Komponenten zu erfassen und zu schauen: Welche Komponente ist wie stark? Und wenn jemand schon ganz früh gleich rauchen muss, dann rate ich dem zu einem hohen Nikotingehalt, einfach um ihm den Impuls zu nehmen, zur Tabakzigarette zu greifen.
Ja, und wenn ich auf der anderen Seite jemanden sehe, bei dem diese Konditionierungskomponente im Vordergrund steht, dann rate ich zu einer E-Zigarette, die ihm gefällt und schmeckt - dann ist das Nikotin mir eigentlich nicht so wichtig. Da geht es mehr darum, dass dieses "Was in der Hand halten", das Ritual, abgedeckt wird mit einem nahezu unschädlichen Produkt, statt mit einer Zigarette.
Sie sagten ja, dass bei Ihnen die Zahl der Umsteiger auf E-Zigarette in der Praxis nicht so groß wäre. Aber die Dimension deutschlandweit, von Menschen, die an Folgen des Rauchens sterben - die ist ja groß. Können Sie unsere Leser da mal mit in die Welt der großen Zahlen nehmen?
Ja, also die englische Gesundheitsbehörde, schätzt, und zwar über die Jahre konstant, das Risiko des Rauchens 20 Mal höher ein, als das Risiko der E-Zigaretten-Nutzung. 20 Mal höher! Ich übersetze Ihnen das jetzt mal in einem vielleicht etwas vergröbernden Szenario:
Wir haben pro Jahr in Deutschland etwa 120.000 - 130.000 vorzeitige Todesfälle durchs Rauchen, das publiziert das Gesundheitsministerium jedes Jahr. Wenn sie die durch 20 teilen, dann sind sie plötzlich bei 6.000. Das heißt, sie hätten jährlich über 100.000 Leben gerettet auf die Dauer, wenn die E-Zigarette tatsächlich nur dieses geringere Schädlichkeitspotenzial hat.
Sie sprechen das schlimmste Risiko an: den vorzeitigen Tod. Und sicher kommen auch bei Ihren Patientinnen und Patienten schnell die Fragen in Richtung: "Lohnt sich das denn noch für mich? Wie schnell sinkt denn dann welches Risiko?" Was antworten Sie da?
Da sind wir wieder beim Patientengespräch, genau. In meinem Alltag benutze ich ein Bild, das nach meinem Erleben ganz gut funktioniert und sage: Pass auf, wenn du regelmäßig rauchst, dann lädst du quasi drei Mörder ein, dich auf deinem Lebensweg zu begleiten und zunehmend zu bedrohen. Die sind erst nicht so wirklich sichtbar. Aber langsam kommen sie näher. Nach fünf Jahren, nach zehn Jahren kommen sie irgendwann ganz nah. Diese drei Mörder sind: Herzinfarkt, Lungenkrebs und COPD. Diese drei Erkrankung sind die, die die Mehrheit der 120.000 Toten pro Jahr verursachen, von denen wir eben sprachen.
Im Patientengespräch erkläre ich mit dem Bild von den Mördern: Wenn du aufhörst zu rauchen, dann machen die sich wieder aus dem Staub. Der eine nicht ganz so schnell, der Lungenkrebs. Das Lungenkrebsrisiko sinkt langsam. Am schnellsten verschwindet der Mörder Herzinfarkt - der verschwindet. Innerhalb von drei Jahren sind Sie beim Risiko eines niemals Rauchers sogar. Und dazwischen ist die COPD. Da kann man den Schaden, der angerichtet ist, nahezu nicht mehr beseitigen. Aber man kann das Fortschreiten bremsen - und das ist das Entscheidende.
Dann habe ich wirklich die Chance, statt zehn-elf Jahre eben nur fünf Jahre vorzeitig zu versterben - statistisch gesehen. Und wenn man schon mit 40 aufhört zu rauchen, dann bekommt man alle seine zehn bis elf Jahre vollständig wieder zurück.
Herr Dr. Hering, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lucia Hennerici