EKG und Herzschrittmacherkontrolle eines Patienten (Bild: imago images/Rupert Oberhäuser)
Bild: imago images/Rupert Oberhäuser

Interview l Rechtzeitig vorsorgen - Sterben können trotz Herzschrittmacher

"Ehrlich und empathisch kann man überraschend gut über den Tod reden", sagt Internist und Leiter der Palliativmedizin am Vivantes Klinikum Friedrichshain, Dr. Matthias Gockel. Er hat jeden Tag mit Menschen zu tun, die am Lebensende darüber entscheiden müssen, welche medizinische Behandlung sie noch wollen und welche nicht. Ein Herzschrittmacher mit Defibrillator-Funktion (ICD) könnte im Sterbeprozess einen Schock auslösen und somit ein friedliches Sterben verhindern. Wer das nicht will, sollte rechtzeitig vorsorgen.

Ist das Thema "Herzschrittmacher am Lebensende" ein Thema, das Ihnen häufig begegnet?
 
Die meisten Patienten, die wir betreuen, sind onkologische Patienten. Da spielt das Thema Herzschrittmacher, beziehungsweise implantierbarer Defibrillator eher am Rande eine Rolle. Das ist aber anders in Einrichtungen, wo mehr Patienten mit kardiologischen Problemen betreut werden. Ich persönlich habe relativ wenig Menschen erlebt, die das von sich aus angesprochen haben, vielleicht eine Handvoll. Es ist eher so, dass wir das bei Patienten in der letzten Lebensphase aktiv ansprechen, wenn wir wissen, derjenige hat so einen ICD-Schrittmacher. Oder wir schauen in den Unterlagen nach, ob das jemand ist, für den das relevant ist.

Wo sehen Sie in diesem Prozess Ihre Aufgabe als Palliativmediziner?
 
Die Haupterfahrung ist, dass man so einen Bruch hat zu der bisherigen Erfahrung. Das sind ja Geräte, die meist über Jahre von den Betreffenden getragen wurden, die Lebenszeit geschenkt haben, weil sie eine tödliche Herzrhythmusstörung verhindert haben.
 
Wenn die Menschen schwer erkrankt sind oder im Sterben liegen, gilt es den Blickwinkel umzudrehen. Und zwar in die Richtung, dass, wenn es an das Sterben geht, dieses Gerät auch eine potenzielle Quelle von zusätzlicher Belastung sein kann. Da muss man teilweise Menschen auch helfen, diesen Wechsel kognitiv und vor allem emotional hinzukriegen.

Wie reagieren die Patienten auf diese Informationen?
 
Was es für mich als Palliativmediziner leicht macht ist, dass ein Defibrillator-Schrittmacher ja eine tödliche Herzrhythmusstörung verhindern soll. Das heißt, wenn es zu einer tödlichen Herzrhythmusstörung ohne so einen Schrittmacher kommt, verlieren die Betroffenen meist innerhalb von wenigen Sekunden das Bewusstsein und versterben, ohne jemals das Bewusstsein wiederzuerlangen.
Das ist eigentlich dass, was sich die allermeisten Menschen für ihren Tod wünschen: kein Leiden, keine Luftnot, ich bin plötzlich einfach weg. Von daher versuche ich diese Assoziation zu wecken: wenn wir das Gerät ausmachen, hast du mit deiner schweren Herz-Lungenerkrankung eine deutlich höhere Chance, diesen eigentlich gewünschten Tod zu erleben. Damit kann man den Menschen dann auch klarmachen: Mensch stimmt, das ist genau das was ich will. Und wenn ich den Tod schon nicht verhindern kann, dann kann ich wenigstens dafür sorgen, dass er sanft wird.

Sie müssen aber auch ergebnissoffen bleiben, oder?
 
Das ist ja sowieso bei jeder palliativmedizinischen Beratung der Punkt: Sie muss ergebnissoffen sein. Ich kann der Patientin oder dem Patienten erklären, was bei dieser Erkrankung zu erwarten ist und was wir für Möglichkeiten haben. Aber die Entscheidung, wieviel Chance auf mehr Lebenszeit im Verhältnis zu welchen Risiken einer Behandlung ich persönlich bereit bin einzugehen, diese Entscheidung kann nur jeder Mensch für sich treffen. Und dann ist es auch meine Aufgabe, diese Entscheidung zu akzeptieren. Und wenn jemand sagt, ich riskiere die Mehrbelastung, ich riskiere Leiden für die Chance, vielleicht noch ein paar Monate zu haben, dann akzeptiere ich das natürlich.

Was raten Sie Menschen, die rechtzeitig entscheiden und festlegen wollen, welche medizinischen Maßnahmen sie am Lebensende wollen und welche nicht?
 
Ich kann nur jedem raten, sich zu diesem Punkt beizeiten beraten lassen, entweder durch den eigenen Hausarzt bzw. Kardiologen oder durch eine unabhängige Patientenberatung, deren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in diesen Fragen geschult sind. Das sollte dann in eine Form gebracht werden, sprich in eine Patientenverfügung.
 
Außerdem ist eine Vollsorgevollmacht wichtig, in der festgelegt wird, wer für mich entscheiden soll, wenn ich dazu nicht mehr in der Lage bin. Wenn ich das zu so einem frühen Zeitpunkt mache, kann ich schauen, wie nah geht mir das Thema, wie gut kann ich mit der Familie oder Freunden darüber reden und wer ist auch bereit, die Verantwortung einer Vorsorgevollmacht zu übernehmen.

Was halt häufig passiert im Krankenhaus: es ist samstagfrüh, vier Uhr, ein Patient wird vom Rettungsdienst in die Notaufnahme gebracht - was der denkbar ungünstigste Zeitpunkt ist, um in Ruhe darüber zu sprechen, was mir im Leben eigentlich wichtig ist und wie ich über das Sterben denke.
 
Ist der Patient nicht mehr in der Lage, selbst zu entscheiden und liegt keine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht vor, bleibt oftmals nichts anderes übrig, als zum Betreuungsgericht zu gehen und eine Eilbetreuung einzuleiten, was ein großer administrativer Aufwand ist. Abgesehen davon, dass der persönliche Wille des Schwerkranken dabei viel schwerer berücksichtigt werden kann.

Kann ich als Träger eines ICD sicher sein, dass ich nicht gegen meinen Willen ständig wiederbelebt werde? Sprich, dass ich ein Recht darauf habe, dass er abgeschaltet wird, wenn ich das will?
 
Grundsätzlich braucht jede Behandlung - sowohl die Einleitung einer Behandlung als auch die Fortführung einer Behandlung - die Zustimmung des Patienten/der Patientin. Das heißt, es ist nicht nur so, dass ich ein Recht habe, dass mein ICD-Schrittmacher ausgestellt wird, sondern dass eigentlich niemand das Recht hat, ihn gegen meinen Willen weiter zu betreiben; außer er legt es darauf an, eine Körperverletzung zu begehen.
 
Man muss natürlich immer auch konkret besprechen, was bedeutet das, wo stehst du gerade in deiner Lebensgeschichte, in deinem Lebenslauf? Was sind die positiven, wie negativen Begleiteffekte, wenn wir ihn anlassen oder wenn wir ihn ausschalten? Von daher ist die Beratung mit dem medizinischen Wissen ein ganz wichtiger Teil.

Wird der Wille der Patienten und Patientinnen von den Ärzten und Ärztinnen auch umgesetzt?
 
In dem Moment, wo es klar entschieden ist, ist es erfahrungsgemäß immer einfacher. Schwierig ist es, wenn ich keinerlei Informationen habe, nicht weiß, ob der Betroffene jetzt Lebenszeit über Lebensqualität oder umgekehrt setzt. Von daher denke ich auch, dass bei Patientenverfügungen, diese Beratung wichtig ist, um immer wieder zu sagen, was sind deine Werte, was ist dir wichtiger, Zeit oder Lebensqualität? Und, ist es für dich okay, wenn du morgen sterben würdest?
 
Und dann ist es auch wichtig, einen Facharzt, also einen Kardiologen, zu finden, der diesen Willen umsetzt. Es gibt natürlich in der Medizin, wie auch im restlichen Leben, Menschen, denen fällt es leicht, über den Tod zu reden, auch über den eigenen Tod nachzudenken. Und es gibt, Menschen, denen fällt das schwer - da sind Ärzte nicht anders, als andere Menschen. Das gibt es und die Kunst ist es, sich den richtigen Ansprechpartner beizeiten zu suchen.

Wie geschieht das Abschalten des ICD-Schrittmachers konkret?
 
Der ICD- Schrittmacher kann im akuten Notfall ganz einfach von außen mit einem Magneten ausgeschaltet werden. Dieser Magnet wird auf den Brustkorb aufgelegt, dort, wo der ICD implantiert wurde. Das muss dann auch nicht unbedingt ein Kardiologe machen. Mit dieser Maßnahme deaktiviert sich die Defibrillator-Funktion, solange der Magnet sich dort befindet, die reine Schrittmacherfunktion bleibt aber erhalten.
 
Oder aber, das Gerät wird umprogrammiert und die Defibrillator-Funktion ausgeschaltet, wenn der Patient zur Routinekontrolle beim Kardiologen ist. Da die Geräte extern ausgelesen werden können, kann man sie auf diese Weise auch umprogrammieren.

Was würden Sie sich im Umgang mit dem Thema wünschen?
 
Wir müssten in einer Gesellschaft leben, in der es völlig selbstverständlich ist, dass jeder zur Kenntnis nimmt, dass er nur eine bestimmte Zeit lebt. Und dass er mit jedem anderen darüber reden kann, dass er endlich ist und was er für Wünsche, Ängste und Sorgen für seinen Tod hat. Ich gehe mal davon aus, in 50 oder 100 Jahren haben wir das auch. Bis dahin müssen wir halt mit der Welt leben, wie sie ist.
 
Herr Dr. Gockel, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ursula Stamm

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