Interview l Kinderwunsch in Gefahr - Fehlgeburt durch Gerinnungsstörung
Fehlgeburten sind in Deutschland noch immer tabuisiert, nur wenige Frauen reden offen darüber. Dabei sind Fehlgeburten keine Seltenheit und auch Ursachen gibt es viele. Hat eine Frau zwei oder mehr aufeinander folgende "Aborte", könnte eine unerkannte Blutgerinnungsstörung der Grund sein. Was das bedeutet und welche Gefahr davon ausgeht, haben wir den Gerinnungsexperten Dr. Robert Klamroth vom Vivantes-Klinikum Friedrichshain gefragt.
Herr Dr. Klamroth, kurz und einfach erklärt: Was sind Gerinnungsstörungen?
Es kann sein, dass das Blut zu stark gerinnt, dann besteht – insbesondere während einer Schwangerschaft – die Gefahr Thrombosen zu entwickeln. Das nennt man Thrombophilie. Aufgrund der Gewichtszunahme, dem verlangsamten Blutfluss und hormonellen Veränderungen neigt das Blut von Schwangeren generell dazu, schneller zu gerinnen als sonst.
Das Blut kann aber auch zu wenig gerinnen – das wird als Blutungsneigung bezeichnet.
Wann besteht bei Gerinnungsstörungen eine Gefahr für Schwangere und ihr Kind?
Nicht alle Gerinnungsstörungen, die Thrombosen fördern, führen auch zu Schwangerschaftskomplikationen und Fehlgeburten. Auch Gerinnungsstörungen, die das Blut zu dünnflüssig machen, führen nicht zwangsweise zu Fehlgeburten.
Das macht es so schwierig: Nur ganz bestimmte Gerinnungsstörungen gehen mit einem höheren Risiko für Fehlgeburten einher. Gleichzeitig können auch bereits diagnostizierte Gerinnungsstörungen manchmal gar keine Auswirkungen auf die Schwangerschaft haben, so dass eine sorgfältige Labordiagnostik notwendig ist.
Das heißt: Nur einige Gerinnungsstörungen fördern Fehlgeburten. Welche sind das und was passiert da im Körper?
Erst einmal: Alles, was vor der achten Woche passiert, hat mit einer Thrombophilie in der Regel nichts zu tun, weil sich noch keine Plazenta ausgebildet hat. Das sind vor allem sogenannte genetische Aborte: Die Verschmelzung zwischen den mütterlichen und väterlichen Chromosomen funktioniert nicht und die Schwangerschaft wird vom Körper abgebrochen.
Ab etwa der achten Woche kann es – wenn das Blut einer Schwangeren zu stark gerinnt – zu Mikro-Thrombosen in den Plazentagefäßen kommen. Dann wird die Plazenta nicht mehr richtig durchblutet und der Embryo kann nicht ernährt werden. Unter den Störungen, die das Blut zu stark gerinnen lassen, gibt es nur eine, bei der man heute klar sagen kann, dass sie Fehlgeburten verursachen kann: Das ist das Antiphospholipid-Syndrom, kurz APS.
Bei Frauen dagegen mit erhöhter Blutungsneigung – also zu dünnflüssigem Blut – kann es passieren, dass sich die Plazenta nicht richtig festsetzen kann, es zu Blutungen kommt und deshalb zu Fehlgeburten.
Wann und wie kann eine Gerinnungsstörung bei Schwangeren festgestellt werden?
Nach zwei Frühaborten ist es sinnvoll, eine mögliche Gerinnungsstörung als Ursache abzuklären. An sich reicht ein einfacher Bluttest im Labor aus, den Frauenärzte auch selbst machen können – meist schicken die Gynäkologen die Patientinnen dennoch zu Gerinnungsexperten, um die richtige Interpretation der Ergebnisse sicherzustellen.
Welche Medikamente kommen bei Gerinnungsstörungen zur Prävention von Fehlgeburten in Frage?
Das kommt darauf an und ein Allheilmittel gibt es nicht. Bei späten Schwangerschaftskomplikationen, kann - z.B. bei Präeklampsie - Acetysalicylsäure (ASS) eingesetzt werden, um die Blutgerinnung zu hemmen.
Bis vor zehn Jahren dachte man noch, dass alle Gerinnungsstörungen Fehlgeburten verursachen können und das Blutverdünnungsmittel Heparin zuverlässig Fehlgeburten verhindern kann. Durch Studien wissen wir heute: Das ist ein Trugschluss gewesen. Heparin verhindert keine Aborte – außer eben beim Antiphospholipid-Syndrom (APS).
Wir setzen Heparin heute hauptsächlich in der Thromboseprophylaxe ein, bei Frauen, die schon vor ihrer Schwangerschaft eine Thrombose hatten oder stark thrombosegefährdet sind. Das Risiko kann bei diesen Frauen in der Schwangerschaft bis um das Hundertfache erhöht sein.
Warum wird dennoch Frauen, die nachweislich kein APS haben, in einigen Behandlungszentren Heparin zum Schutz vor einer Fehlgeburt verschrieben?
Es gab in der Vergangenheit kleinere Studien, in denen eine Behandlung mit Heparin als relativ erfolgversprechend angesehen worden ist – und einige Ärzte verschreiben es deshalb immer noch.
Der positive Effekt auf den Verlauf von Schwangerschaften, der in alten Studien Heparin zugeschrieben wurde, ging von etwas anderem aus: Wir wissen heute, dass ein Arzt, der davon überzeugt ist, dass ein Medikament wirkt, auf die Patientin einen therapeutischen Effekt haben kann – ohne dass das Medikament selbst einen Effekt hat. Denn die Patientinnen haben das Gefühl, die Ursache sei gefunden und es werde sich gekümmert.
Was hilft wirklich, um das Risiko von Fehlgeburten zu minimieren?
Das Problem ist, dass Fehlgeburten viele, sehr verschiedene Ursachen haben können. Man muss z.B. die Schilddrüse kontrollieren, gynäkologische und genetische Veränderungen – aber die Hauptursache für die frühen Fehlgeburten ist die unvollkommene Verschmelzung der Chromosomen und damit leider häufig auch einfach Pech.
Grundsätzlich ist eine enge und vertrauensvolle Überwachung von Schwangeren immer sehr gut, um bei Komplikationen schnell und individuell zu behandeln.
Bei welchen Symptomen sollte eine Frau abklären, ob sie eine Blutungsneigung oder Gerinnungsstörung hat?
Zur Blutungsneigung: Wenn eine Frau häufiger Blutungen hat, wie z.B. Nasenbluten, Zahnfleischbluten, die Regelblutung verstärkt ist oder sie länger nachblutet, wenn sie sich verletzt, sollte eine Blutgerinnungsstörung in jedem Fall abgeklärt werden, damit sie nicht verblutet – auch ganz unabhängig von einer Schwangerschaft. Das ist aber selten.
Die häufigste Störung der Blutgerinnung ist das Von-Willebrand-Syndrom (VWS), das allerdings nicht mit Fehlgeburten assoziiert ist.
Zu Thrombophilie: Wenn Mutter oder Vater in frühen Jahren schon mal eine Thrombose hatte, besteht für die Frau auch ein erhöhtes Risiko einer Gerinnungsstörung. Dann sollte sie hellhörig werden und das ihrer Gynäkologin mitteilen – nicht erst vor einer Schwangerschaft, sondern auch wenn es darum geht, welche Pille sich eignet, um hormonell zu verhüten.
Sind in solchen Fällen besondere Tests noch vor einer Schwangerschaft sinnvoll?
Wenn eine Frau familiär bedingt schon eine erhöhte Thrombosegefahr hat, sind eine dahingehende Untersuchung und eine Thromboseprophylaxe sinnvoll – denn insbesondere nach einer Geburt ist das Thromboserisiko von Müttern deutlich erhöht.
Was die Fehlgeburten angeht, würde ich sagen: nein. Denn das ASP ist eine erworbene Gerinnungsstörung. D.h. die braucht ein klinisches Ereignis, wie eine späte Fehlgeburt oder mehrere frühe Fehlgeburten oder eine Thrombose, sowie im Abstand von drei Monaten zweimal einen positiven Antikörpernachweis. Das Vorhandensein von Antikörpern allein bedeutet nicht, dass diese einen Effekt auf den Schwangerschaftsverlauf haben. Daher würde so ein Test vorab Frauen unnötig verunsichern.
Gibt es noch etwas, das Sie unseren Leserinnen mitgeben möchten?
Wenn Sie im Internet surfen: Seien Sie kritisch, achten Sie genau auf die Quellen und beschränken Sie sich auf seriöse Informationen.
Wenn zum Beispiel eine Frau in einem Forum schreibt, sie habe drei Fehlgeburten gehabt, bei der dritten Schwangerschaft Heparin gespritzt und dadurch hat alles wunderbar geklappt – das ist unseriös. In der Medizin ist es immer gefährlich, vom Einzelfall auszugehen und gerade in Foren bekommt man als Schwangere schnell Angst oder entwickelt falsche Hoffnungen.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Ariane Böhm