Grafik eines Herzens vor Herzrhythmuslinie (Quelle: Colourbox)
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Interview l Herzgesundheit - Weniger Herzinfarkte: Können wir den Kampf gewinnen?

In Sachen Herzinfarkt gibt's gute Nachrichten: Laut aktuellem Herzbericht starben daran 2015 fast zwei Drittel weniger als noch Anfang der 90er - ein enormer Erfolg. Erst der zweite Blick zeigt: Berlin hat mit am wenigsten Infarkttote, Brandenburg steht auf dem letzten Platz. Woher kommt der Unterschied? Und was braucht es weiter im Kampf gegen Herzinfarkt? Fragen an den Berliner Internisten und Kardiologen Dr. Christian Barho.

Herr Dr. Barho, laut Herzbericht 2017 gibt es immer weniger Herzinfarkttote – fast 68 Prozent weniger Männer und 57 Prozent weniger Frauen im Vergleich zum Beginn der 1990er. Wie sieht es nach Ihren Erfahrungen in Berlin aus und was ist Ihrer Meinung nach das Erfolgsrezept?
 
Naja, ich sehe das natürlich aus Sicht des behandelnden Kardiologen. Ich habe eine kardiologische Praxis und arbeite auch im Krankenhaus, ich behandle auch akute Herzinfarkte. Ich kenne die ganzen Statistiken, aber uns fällt schon seit vielen Jahren auf, dass wir z.B. in der 24h-Bereitschaft - sozusagen der Dienst, der die akuten Infarkte behandelt - dass da für uns weniger zu tun ist. Es gibt andere Fälle, das verlagert sich, aber die akuten Infarkte nehmen tatsächlich ab und das deckt sich mit allen Statistiken. Beim Berliner Herzinfarktregister sind die Zahlen von 2017 noch nicht veröffentlicht, da warte ich noch. Aber es ist ganz klar: Der Herzinfarkt ist eine Erkrankung, die aus verschiedenen Gründen abnimmt und ein Hauptgrund ist vor allen Dingen, dass die Leute weniger Rauchen.

Wie stark ist die Wirkung dieses Faktors? Haben Sie da ein Beispiel?
 
Es gibt eine ganz interessante Studie aus Italien - das war das erste europäische Land, was Rauchen in öffentlichen Gebäuden verboten hat und die hatten im Jahr danach - ich weiß die Zahl nicht genau - aber rund 20 Prozent weniger Herzinfarkte. So einen konkreten Zeitpunkt gibt es bei uns nicht, aber es gibt den eindeutigen Trend über die Jahre auch hier.
 
In Berlin gibt es Zahlen von 2016, die das bestätigen, also alle Krankenhäuser haben weniger akute Herzinfarkte außer einem Haus. Das ist das Klinikum Neukölln. Das ist das größte Klinikum in Berlin, hat als einziges mehr Betten, als die Charité in Mitte zum Beispiel. Aber sie haben gleiche Patientenzahlen, was die akuten Herzkatheter und die akuten Infarkte angeht. Dass die Zahlen in diesem Klinikum so anders sind liegt vielleicht einfach daran, dass in der Umgebung des Krankenhauses eine sozial eher schwache Bevölkerung wohnt, die im Schnitt kränker ist. Denn wir wissen heute, dass sozial schwache Menschen im Schnitt kränker sind, als sozial besser gestellte Menschen.

Natürlich hat sich die Medizin seit den frühen 90ern auch stark weiterentwickelt. Wie stark ist dieser Faktor beim positiven Infarkttrend aus Ihrer Sicht?
 
Es liegt auch daran, dass die Grunderkrankungen intensiver behandelt werden und wir wissen eigentlich seit langem schon, was die Grunderkrankungen sind: Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck, Diabetes - diese Dinge werden in den letzten 20-30 Jahren eindeutig besser behandelt. Das ist natürlich nichts, was einen akuten Effekt wie in Italien zeigt, aber über die Jahre ganz eindeutig eine Besserung dieser Zahlen der Infarkte und Infarkttoten bringt. Wobei es wenig Beweise gibt, dass die Behandlung eines einzelnen Faktors alleine das bringt - also des Bluthochdrucks oder des Diabetes. Aber wenn man sich Studien anguckt, ist der Trend gerade in diesen Patientengruppen besonders deutlich. Die Leute werden also besser behandelt und sie wissen auch selber mehr über ihre Erkrankung.

Was meinen Sie damit genau?
 
Also wir sind in der Praxis 14 Kardiologen und haben im Jahr so etwa 25.000 Patienten und die Leute sind viel besser informiert, als vor zehn Jahren. Zum Teil auch unsinnig informiert - die meisten googeln ihre Krankheit gleich und kommen dann mit 150 Fragen, von denen die wenigsten sinnvoll sind. Aber im Schnitt sind sie doch besser informiert und wissen auch eher, was schlechter und was gut ist für ihre Gesundheit.
 
Zum Beispiel beim Thema Herzinfarkt: Die Patienten wissen allgemein schon, dass Cholesterin schädlich ist, hoher Blutdruck schädlich ist und Rauchen schädlich ist - auch wenn sie das selber konkret gar nicht haben, gibt es da eine höhere "awareness" - also mehr Menschen wissen, dass das ein Problem ist.

Bei den Frauen ist laut Deutschem Herzbericht das Todesrisiko durch Herzinfarkt bei weitem nicht so stark gesunken, wie bei den Männern. Was gibt es für Gründe für diesen Unterschied?
 
Ja, es gibt kleine Unterschiede: Bei Frauen nimmt die Zahl der Herzinfarkte deutlich weniger stark ab, was auch daran liegt, dass Frauen relativ gesehen eher mehr Rauchen. Da nimmt insgesamt die Zahl bei den Frauen eher zu und bei den Männern eher ab - gerade die jungen Frauen fangen durchschnittlich häufiger mit dem Rauchen überhaupt an, als die Männer. 
 
Dazu kommt: Frauen haben andere Herzinfarkte. Die Beschwerdesymptomatik ist bei Frauen oft so, dass Herzinfarkte schwerer erkannt werden. Männer haben zum Beispiel Schmerzen und Frauen haben weniger Schmerzen - sie sind generell nicht so schmerzempfindlich wie Männer, das sehe ich auch täglich in der Praxis. Die sind wirklich im Schnitt unempfindlicher und das führt dazu, dass das Erkennen eines Herzinfarktes bei Frauen schwieriger ist. Dadurch werden sie oftmals schlechter behandelt. Da gibt es sicher noch viel zu tun - da muss man auch in den Kliniken z.B. den Fokus stärker auf untypische Beschwerden richten.
 
Das ist sicher der Grund, warum bei Frauen grundsätzlich die Sterberate am Herzinfarkt nicht so stark gesunken ist - man erkennt sie einfach etwas schlechter. Aber wenn man sie bei Frauen erkennt, ist die Prognose besser und auch die Lebenserwartung ist ja höher, als bei den Männern. Also wenn ein Mann und eine Frau mit 65 einen Infarkt bekommen, dann ist der Mann statistisch natürlich an einem schlechteren Punkt in seiner Lebenserwartung als die Frau.

Nun zeigt der aktuelle Herzbericht ja auch: In Brandenburg sterben so viele Menschen an einem Herzinfarkt, wie in keinem anderen Bundesland – obwohl ja durchaus auch andere Bundesländer große Flächen und ländliche Räume haben. Wie erklären Sie sich das? Und warum geht es in Sachen Herzinfarkt Berlin so "gut" und Brandenburg so schlecht?
 
Naja, die medizinische Versorgung in Berlin ist schon sehr gut - aber die ist auch in Hamburg oder München oder Frankfurt a.M. gut. Also da gibt es einfach sehr viele Kliniken, die geradezu einen Wettbewerb um die Patienten haben. Und eine Ursache ist natürlich: Brandenburg ist ein Flächenland.
 
Und ich wohne in Brandenburg - das Dorf in dem ich lebe hat rund 400 Einwohner. Und da sind zumindest die meisten Männer auch bei mir Patienten. Ich sehe, dass in der Fläche wahnsinnig viele ungesünder leben: Sie rauchen viel, essen viel Schweinefleisch, trinken tendenziell mehr Alkohol - also da hat sich das noch nicht so richtig durchgesetzt, was gesunde Ernährung und gesunde Lebensumstände sind. Meine direkte persönliche Erfahrung bestätigt das leider total, dass es zwischen Brandenburg und Berlin da riesige Unterschiede gibt. 

Verraten Sie uns ein paar persönliche Beobachtungen?
 
Also auf dem Dorf ist es meiner Erfahrung nach so, dass da z.B. noch mehr Leute rauchen, gerade bei den Männern - aber da habe ich durch meine männlichen Patienten einfach mehr Einblick, als bei den Frauen. Es gibt relativ viele Bluthochdruckkranke, die auch zum Teil nicht gut behandelt sind, das kommt auch noch dazu - also die Versorgung ist schon tendenziell schlechter, aber die ist in anderen Flächenländern auch schlechter.
 
Warum zum Beispiel Brandenburg da noch schlechter da steht, als Mecklenburg-Vorpommern verstehe ich auch nur bedingt, aber ich glaube, dass da vielleicht die Ernährungsgewohnheiten in Brandenburg besonders schlecht sind. Zum Beispiel in unserem Dorf: Da gibt es ein einziges Geschäft, keinen Arzt. Und was ist das Geschäft? Eine Fleischerei und da gibt es wirklich vor allem Schweinefleisch, mageres Geflügel oder Rind geht da nicht gut weg. Das ist typisch. Und Sport ist auch ein Thema: Viele arbeiten hart auf dem Land und das kann sicherlich auch manchmal den Sport ersetzen. Aber Sport als etwas, was man der Gesundheit wegen macht - das ist da noch nicht bei so vielen Menschen angekommen, wie z.B. in Berlin.

Was wünschen Sie sich für Berlin & Brandenburg besonders, so aus Kardiologensicht?
 
Erstmal finde ich das wirklich eine tolle Nachricht, dass die Zahl der Infarkte und der Toten durch Infarkte so massiv gesunken ist in den letzten Jahren - das sollte man auch einfach mal laut sagen, denn das könnte ein Ansporn sein zu fragen: Warum ist das so? Ah, deshalb! Und das könnte helfen, den positiven Effekt auszubreiten. Überhaupt zu wissen: Ja, es wirkt, es gibt einen echten positiven Effekt auf die Herzgesundheit!  
 
Und dann gibt es da eine schwedische Studie, an die ich immer denke: Da wurde der Einfluss von fünf Faktoren untersucht über lange Zeit - z.B. Sport/Bewegung, Ernährung, Alkoholkonsum usw. und die Gruppe, die sozusagen bei diesen fünf Faktoren am besten abgeschnitten hat, die hatte rund 80 Prozent weniger Herzinfarkte, als die, die bei den fünf Punkten die schlechtesten Werte hatte.
 
Also es ist ganz einfach: Wir könnten 80 Prozent der Herzinfarkte verhindern und wir sind schon relativ gut dabei. Aber das geht noch besser und am besten sollte man dieses Wissen schon früh, in den Schulen, vermitteln.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Barho!
Das Interview führte Lucia Hennerici