Krankenschwester am Patientenbett auf Intensivstation (Bild: imago/Reichwein)
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Interview l So helfen Besuche der Liebsten Intensivpatienten - Intensivstation: "Hand halten und Mozart hören."

Medizinische Geräte piepen, Pflegende eilen vorbei, ein geliebter Mensch liegt hilflos im Bett - der Besuch auf einer Intensivstation kann Angst machen. Vermeiden sollte man ihn trotzdem nicht, denn für Intensivpatienten ist Kontakt zu Nahstehenden enorm wichtig - auch bei Bewusstlosigkeit - sagen Intensivmediziner wie Prof. Dr. Frank Wappler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin.

Herr Prof. Dr. Wappler, weshalb ist es für Intensiv-Patientinnen und -Patienten gut, Besuch zu bekommen?
 
Die Angehörigen sind der unmittelbare Kontakt zur Außenwelt, zur Familie, zu Freunden. Sie bilden den Rahmen, in dem die Patienten gelebt haben. Das können wir als Ärzte und Pflegekräfte gar nicht bieten.
 
Und insofern haben die Angehörigen auch auf der Intensivstation eine ganz wichtige Funktion in der Betreuung ihrer Angehörigen: Indem sie den Kranken von bestimmten Geschehnissen aus der Familie oder über andere Personen berichten können. Und das ist eine ganz wesentliche Stimulation und Motivation für die Patienten, wieder gesund werden zu wollen!

Aber wenn die nahestehende Person gar nicht bei Bewusstsein ist - was hat sie dann von meinem Besuch?
 
Zuerst mal: Es ist ein Klischee, dass auf einer Intensivstation die Patienten alle nur bewusstlos daliegen. Das ist vor allem bei schweren neurologischen Verletzungen so, wo wir die Patienten durch Medikamente schlafen lassen, damit sich ihr Gehirn erholen kann, etwa bei einem Schädel-Hirn-Trauma.
 
In der heutigen modernen Intensivmedizin versuchen wir, die Patienten nicht so tief in das so genannte künstliche Koma zu versetzen. Also nicht viele Schlaf-Medikamente zu geben, damit die Patienten sich mit uns verständigen und wir zusammenarbeiten. Sie sollen entspannt sein und keine Schmerzen haben und möglichst wach sein, um mitwirken zu können. Auf diese Weise können wir sie auffordern, bestimmte Tätigkeiten auszuüben, wie zum Beispiel, sich mit Hilfestellung auf die Seite zu drehen oder vielleicht sogar selber die Zähne zu putzen. Und das, obwohl sie noch beatmet sind und Medikamente bekommen. Das hilft den Patienten und hilft auch, Komplikationen zu vermeiden.
 
Und dann wissen wir, und es haben auch Studien gezeigt, dass auch Patienten, die nicht bei Bewusstsein sind, vom Besuch profitieren. Im Kontakt mit Angehörigen sank ihr Herzschlag, ihr Blutdruck. Das bedeutet, dass sie sich durch die Anwesenheit vertrauter Menschen wohler fühlen und entspannen. Und das ist gut für ihren Heilungsprozess.

Wie lange bleiben Patienten in der Regel auf einer Intensivstation?
 
Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Patienten, die nur zur Überwachung für eine Nacht bei uns sind, etwa nach einem operativen Eingriff. Wir haben Patienten, die Wochen oder Monate auf der Intensivstation liegen.
 
Gerade Corona-Patienten müssen oft sehr lange dableiben. Und wir haben ganz selten auch Patienten, die weit über ein halbes Jahr auf den Intensivstationen behandelt werden müssen.

Sind Besuche von Angehörigen für das Personal auf Intensivstationen nicht manchmal störend?
 
Natürlich können die Angehörigen für das Personal schon mal eine Belastung sein. Gerade dann, wenn sehr intensiv und engmaschig mit und an einem Patienten gearbeitet werden muss.
Auch gibt es akute Situationen - wenn es beispielsweise nach einem Verkehrsunfall plötzlich zu einer Blutung kommt - da sind Angehörige mit der Situation überfordert und sind dann weder für den Patienten noch für das Personal eine Hilfe. Aber das sind eigentlich Ausnahmesituationen.
 
Grundsätzlich gilt: Wir wollen die Angehörigen mit im Boot haben. Wir wollen mit ihnen zusammen einen Beitrag zur Gesundung des Patienten leisten. Dazu gehört der unmittelbare Kontakt.
Es hilft uns unheimlich, wenn wir auch etwas über den Hintergrund des Patienten wissen, das wir nur über die Angehörigen erfahren können. So können wir sehr individuell auf die einzelnen Patienten eingehen und auch besser verstehen, was der eine oder die andere mag oder nicht mag.

Über welche Themen redet man am besten, wenn die nahestehende Person ansprechbar ist?
 
Man sollte sich überlegen: Wie kann ich sie in einer so schweren Lebensphase motivieren und gut auffangen? Wenn ich hinkomme und erzähle, wie sich die Enkel entwickeln oder dass es im Kindergarten gut läuft, dann ist das natürlich hilfreich.
 
Und weniger hilfreich ist, wenn ich erzähle: Ich habe einen Kratzer im Auto oder die Zeitung ist wieder nicht geliefert worden. Es geht darum, möglichst positive Botschaften zuzusenden. Und vielleicht auch über die Dinge zu reden, für die sich die Person immer interessiert hat, seine Hobbys oder über Geschehnisse im Freundeskreis.

Sollte man über die Krankheit reden, auch wenn es keine gute Prognose gibt?
 
Das kann man nicht pauschal sagen. Es hängt sehr davon ab, welche Informationen der Patient schon vor seinem Intensiv-Aufenthalt hatte. Es macht keinen Sinn, einen Patienten zu belügen oder irgendetwas über die Maßen zu beschönigen. Sondern da braucht es Authentizität und Korrektheit.
 
Wir wissen aber auch von Patienten, die von einer schlechten Prognose so stark in Mitleidenschaft gezogen worden sind, dass man eine Katastrophe auslösen würde, wenn man ihnen sofort nach dem Aufwachen sagen würde: 'Die Operation ist nicht erfolgreich verlaufen'. Da muss man als Arzt Strategien finden, wie man ein solches Gespräch vielleicht mit den Angehörigen gemeinsam führen kann.

Bekommen Angehörige auch Unterstützung durch Psychologen?
 
Psychologische Hilfe ist leider kein Standard-Angebot auf den Intensivstationen in Deutschland. Es gibt in vielen Kliniken mindestens einen seelsorgerischen Dienst, auch für unterschiedliche Konfessionen. Das ist sehr hilfreich und den binden wir auch regelmäßig mit ein. Gerade dann, wenn die Prognosen sehr ungünstig sind.
 
Psychologen auf Intensivstationen sollte es geben. Für die Patienten, für die Angehörigen und auch für das Personal wäre das eine echte Hilfe.

Und wie verhalte ich mich nun, wenn die nahestehende Person nicht ansprechbar ist? Wie kann ich Kontakt aufnehmen?
 
Jeden Tag erleben wir, wie gut es Patienten tut, wenn ein Familienmitglied kommt und einfach die Hand hält oder über die Wange streicht. Es ist dieser unmittelbare Hautkontakt oder die vertraute Stimme - im Gegensatz zur Klinik, wo alles fremd ist.
 
Man kann mit dem Patienten sprechen oder ihm aus einem Buch vorlesen, das hat einen positiven Effekt. Dann gibt es Untersuchungen zum Thema Aromatherapie. Oder man kann auch Musik mitbringen. Wir wissen, dass Musik hören oder Musik vorgespielt bekommen auf Intensivpatienten einen positiven Einfluss hat. Besonders Mozart soll laut Studien gut wirken.

Werden Sie auch demnächst die Intensivstation in Ihrer Klinik öffnen, damit wieder mehr Besuche stattfinden können?
 
Derzeit gibt es hier an den Kliniken der Stadt Köln noch Beschränkungen, was die Angehörigenbesuche auf den Intensivstationen angeht. Wir haben noch das klassische Management, wie in den vergangenen Monaten, wegen der Pandemie. Wir akzeptieren nur wenige und nahestehende Angehörige derzeit, da wir eben auch Patienten mit COVID-19 auf der Station haben und vermeiden wollen, dass es da zu unmittelbaren Kontakten und zu Infektionen kommt.
Dieses Vorgehen entspricht auch den aktuellen Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften.
 
Vor dem Hintergund der stetig sinkenden Patientenzahlen mit COVID-19-Infektion ist jedoch zu erwarten, dass dieses Konzept in den kommenden Monaten verändert wird.

Herr Prof. Dr. Wappler, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Carola Welt

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