Überblick - Impfen 2019: Deutschland auf dem Weg zu mehr Schutz?
Ein kleiner Pieks verhindert Krankheit und Tod - nicht nur beim Geimpften, sondern auch für andere. Das ist das Prinzip der Impfung. Doch seit es sie gibt, gibt es auch Skeptiker. Insbesondere im Zusammenhang mit der Diskussion um Masernimpfung und -pflicht wurden sie lauter vernehmbar. Trotzdem zeigen neue Zahlen des Deutschen Apothekerverbandes (DAV): Die Bundesbürger lassen sich immer häufiger impfen. Auch Impfraten beim Robert-Koch-Institut zeigen den Trend. Wo läuft’s beim Impfschutz und wo gibt es noch zu tun?
Unser Immunsystem schützt uns im Kampf gegen gefährliche Erreger. Je rascher und besser es sie erkennt, desto effektiver. Das macht sich das Prinzip Impfung zu nutze: Lebende oder tote Erreger werden injiziert, um so zu verhindern, dass eine Krankheit ausbrechen kann, obwohl er oder sie es noch nie mit ihr zu tun hatte. Ein Schutz, der bei vielen Krankheiten sonst erst dann gegeben hätte, wenn der Körper schon einmal eine Infektion überlebte und das Immunsystem daraus lernen konnte. Sind genug Menschen Menschen geimpft, tritt außerdem das Prinzip Herdenschutz ein - weil sie bestimmte Krankheiten nicht bekommen, können sie auch andere nicht anstecken - so auch die Menschen, die sich, wie z.B. Säuglinge, noch nicht selbst schützen können.
Mehr Menschen setzen auf Impfschutz
Gerade im Zusammenhang mit der jüngsten Diskussion um die Masernpflicht wurde erneut medial vernehmbar aber deutlich, dass einige Menschen der Impfung skeptisch gegenüber stehen. Deutschland, ein Land der Impfkritiker? Zahlen des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) zeigen nun aber: dieses Bild stimmt nicht. Während im Gesamtjahr 2018 die Ausgaben der Krankenkassen für Impfstoffe schon um 4,5 Prozent anstiegen (1,284 Mrd. Euro), waren es im ersten Quartal 2019 bereits 13,7 Prozent (292 Mio. Euro). Im Mai 2019 betrug der Anstieg sogar 38,4 Prozent (137 Mio. Euro) gegenüber dem Vorjahresmonat.
Der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) zufolge lag das vor allem am vermehrten Einsatz von Impfungen gegen Humane Papillomaviren (HPV), Varicella Zoster (Gürtelrose) und FSME, der Frühsommer Meningoenzephalitis, die durch Zecken übertragen werden kann. Der Anstieg steht laut den Experten auch in einem Zusammenhang mit den ständigen Impfkommission (STIKO) die HPV-Impfung auch für Jungen zwischen 9 und 14 Jahren zu empfehlen, wie auch die Impfung gegen die Gürtelrose für Personen ab 60 Jahren anzuraten. Sie werden nun von den Krankenkassen bezahlt. Im Fall der Varicella Zoster-Impfung auch schon ab 50 Jahren bei erhöhter Gefährdung.
Impfen in Deutschland hat sich verändert
Seit den 2.000er Jahren hat sich an den Rahmenbedingungen überhaupt einiges verändert in Deutschland: So trat 2007 die Schutzimpfungsrichtline in Kraft der zufolge erstmalig ein Leistungsanspruch für alle gesetzlich Krankenversicherten gilt. 2011 wurde ein Nationaler Impfplan beschlossen, 2015 auch ein Aktionsplan für die Masern- und Rötelneliminierung durch die Gesundheitsministerkonferenz. Sie enthalten nicht nur die 95 Prozent-Ziele bei Masern, Mumps, Röteln, Pertussis (Keuchhusten) und Hepatitis B, sondern auch 90 Prozent-Ziele bei der Auffrischungsimpfung gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis bei Kindern und Jugendlichen.
Für die Durchimpfung von Kindern und Jugendlichen weisen neue Zahlen der Langzeitstudie KiGGS (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland) tatsächlich positive Trends auf: So sind die Impfquoten im Vergleich zur letzten Erhebung (2003 - 2006) inzwischen bei den Grundimpfungen für 3 - 10-jährige Kinder z.B. gegen Tetanus, Pertussis und Hepatitis B sowie der ersten und zweiten Masernimpfung alle gestiegen. Am stärksten ist der Unterschied mit je rund 20 Prozent bei der ersten Auffrischungsimpfung gegen Tetanus (2003/2006: 57 Prozent, 2014/2017: 77,7 Prozent) und bei der zweiten Masernimpfung (2003/2006: 73,7 Prozent, 2014/2017: 93,4 Prozent) sowie mit 16 Prozentpunkten bei der Grundimmunisierung gegen Hepatitis B (2003/2006: 71,8 Prozent, 2014/2017: 87,6 Prozent).
Wandel bei der Masernimpfung
In Sachen Masern-Impfung ist der Wandel besonders deutlich: Schon im Februar setzte ein privater Kita-Träger die Impfpflicht für "gängige Krankheiten" wie Masern, Mumps und Röteln im eigenen Haus durch. Und im April 2019 beschloss der Landtag Brandenburgs mit starker Mehrheit einen Antrag von SPD, Linken und CDU für die Masern-Impfpflicht bei Kita-Kindern. Im Juli brachte, sozusagen auf nächster Ebene, das Bundeskabinett ein entsprechendes Gesetz zur Impflicht auf den Weg. Stimmt der Bundestag zu, könnte sie ab März 2020 gelten. Die Impfpflicht würde demnach auch für Schulkinder und Personal in der Medizin, in Kitas und Schulen und in Gemeinschaftseinrichtungen gelten.
In den letzten Jahren war die Zahl der Masern-Infizierten in Deutschland wieder angestiegen, obwohl das Ziel der WHO sogar vorsah, die hoch ansteckende Erkrankung bis 2020 ausgerottet zu haben. Für die Zielvorgabe müssten 95 Prozent oder mehr der Bevölkerung zweimal geimpft worden sein. Laut Zahlen des RKI von 2017 erreichten aber nur zwei Bundesländer dieses Ziel: Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Berlin zählte mit einer Quote von 92,6 Prozent zu den fünf Ländern mit der schlechtesten Quote bundesweit. Während dem RKI 2018 insgesamt 543 Masernerkrankungen bundesweit gemeldet wurden, waren es im laufenden Jahr 2019 bereits mehr als 300 Fälle. Am häufigsten betroffen: junge Erwachsene. Weil der Trend sich schon etwas länger abzeichnet, wird eine einmalige Masernimpfung für Erwachsene mit mangelndem Impfschutz seit 2010 empfohlen. Und schon seit dem Sommer 2012 empfiehlt die STIKO eine Impfung gegen Mumps für Jugendliche und junge Erwachsene, da die Krankheit sich seit Impfeinführung in höhere Altersklassen verschoben habe.
Sorgenkind Erwachsene?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt in ihrem Bericht zu Gefahren für die globale Gesundheit 2019 die Impfung die kosteneffektivste Methode, um Krankheiten zu verhindern und geht davon aus, dass zwei bis drei Millionen Todesfälle pro Jahr durch Impfungen verhindert werden. Durch Verbesserungen der Impfquoten könnten es weitere 1,5 Millionen im Jahr sein, so der WHO-Bericht. Wie die oben genannten Zahlen der KiGGS-Studie jedoch andeuten, läuft es zumindest zur Zeit ganz gut in Sachen Steigerung der Impfquote, auch wenn z.B. bei den Masern das Ziel der Ausrottung 2020 nicht erreicht werden wird. Wo also liegen Probleme?
Die letzten Zahlen der großen Langzeitstudie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) legen nahe, dass es gerade junge Erwachsene und Erwachsene sind, bei denen dieses Thema eher keine große Aufmerksamkeit bekommt, auch wenn es einen leicht positiven Trend gibt: Die 2013 veröffentlichten Zahlen der DEGS-Untersuchung zeigen beispielsweise, dass 28,6% der Bevölkerung in den letzten zehn Jahren keine Tetanusimpfung und 42,9% keine Diphtherieimpfung erhalten haben. Der Wert ist zwar besser, als in den 90ern, aber Impflücken bestehen vor allem bei den Gruppen: Westdeutsche, ältere Menschen und Erwachsene mit niedrigem sozioökonomischen Status. Beispiel Keuchhusten: Den DEGS-Daten zufolge waren in Westdeutschland nur 11,8 Prozent der Frauen und 9,4 Prozent der Männer in den ersten zehn Jahren der 2000er überhaupt gegen Pertussis geimpft worden - in Ostdeutschland waren die Raten doppelt so hoch.
Auch am Masernbeispiel wird deutlich, wie sehr gerade die Betroffen sind, die keine Kinder mehr sind: So wies auch der Ethikrat in der Diskussion um eine Masern-Impfpflicht darauf hin, dass fast die Hälfte aller in Deutschland an Masern Erkankten Erwachsene seien. Zahlen des RKI bestätigen: Die größte Betroffenengruppe sind Erwachsene und junge Erwachsene.
Hier klafft die Impflücke
Was diese konkreten Impfbeispiele (Keuchhusten,m Tetanus, Diphterie, Masern) zeigen, bestätigt sich dann auch in einer allgemeineren Quote aus der DEGStudie Teil 1: so waren unter den 18 - 29-jährigen 79,8 Prozent und unter den 30 - 39-jährigen nur 46,7 Prozent überhaupt jemals gegen irgendwas geimpft worden. Die Daten der DEGS1 stammen aus dem Erhebungszeitraum 2008 - 2011 - seit 2018 werden neue Daten für eine zweite DEGS-Untersuchung erhoben, die Ergebnisse werden aber vermutlich erst nach 2021 vorliegen.
Apropos Daten: Bei Erwachsenen war die Erhebung von Daten tatsächlich lange auch ein Problem, denn hier gibt es keine zentrale Erfassung, wie beim Schulstart von Kindern beispielsweise. Erst seit 2004 führt das RKI zusammen mit allen Kassenärztlichen Vereinigungen die "KV-Impfsurveillance" durch, um über Abrechnungen die Impfquoten bei Erwachsenen zu erfassen.
Laute Minderheit vs. Vertrauen in die Impfung
Schutz gegen Mumps, Röteln oder auch die Masern, also die klassischen „Kinderkrankheiten“. Dass diese Impfungen wirksam und wichtig sind, glauben nicht nur Experten, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung, wie z.B. Umfragen von YouGov seit Jahren zeigen: 2012 zeigte eine solche, dass 97 Prozent der Eltern es für wichtig halten, dass ihre Kinder die Schutzimpfungen erhalten. 2015 gaben vier Fünftel der Deutschen an, dass sie von der Wirksamkeit von Impfungen überzeugt sind - nur jeder Zehnte sprach Impfungen ihre Wirkung ab. Und eine repräsentative Befragung im Auftrag der Schwenninger Krankenkasse kam 2019 zu dem Ergebnis, das 87 Prozent der Teilnehmer sogar eine Impfpflicht für Krippen- und Kindergartenkinder befürworten, 81 Prozent auch für Schulkinder.