Gestresste Frau sitzt vor Laptop und hält sich Kopf (Bild: Colourbox)
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Interview l Burnout-Syndrom bei Menschen Ü50 - Arbeiten bis der Arzt kommt

Ein gutes Verhältnis von Arbeit und Freizeit ist wichtig für unsere körperliche und seelische Gesundheit. Obwohl viel von der Work-Life-Balance die Rede ist, steigen die Zahlen von Menschen, die an einem Burnout leiden. Vor allem unter Arbeitnehmern ab dem 50. Lebensjahr - das zeigen aktuelle Zahlen der Kaufmännischen Krankenkasse. Warum das so ist, wie man die Gefahr erkennt und was hilft, darüber sprach die rbb Praxis mit dem Psychiater und Stressforscher Priv.-Doz. Dr. Mazda Adli.

Herr Dr. Adli, können Sie bestätigen, dass es mehr Burnout-Fälle bei älteren Arbeitnehmern gibt?
 
Wir sehen in der täglichen Praxis und in der Versorgung der Patienten, dass stressabhängige psychische Erkrankungen bei den älteren Arbeitnehmern zunehmen. Deshalb haben wir hier in der Fliedner Klinik mittlerweile einen Schwerpunktbereich eingerichtet, der sich vor allem an Arbeitnehmer rund um das Ruhestandsalter wendet.

Generell sehen wir eine Zunahme von psychiatrischen Diagnosen überhaupt, insbesondere von Depressionen, der häufigsten Stressfolgeerkrankung überhaupt. Das hat auch sehr viel damit zu tun, dass diese Erkrankungen aus der Tabuzone herauskommen, was gut ist, weil das die Voraussetzung schafft, sich wirksame Hilfe zu holen. Auch die Hausärzte sind sehr viel aufmerksamer geworden, was die Diagnose von psychischen Erkrankungen angeht.

Was sind die Gründe dafür, dass Burnout-Erkrankungen bei Älteren zugenommen haben?
 
Wir haben lange angenommen, dass es diejenigen sind, die in der "Rush-Hour" des Lebens stehen, die am häufigsten betroffen sind - also die Mitte 30 bis Mitte 40-jährigen. Dass die Schere jetzt in die andere Richtung aufgeht, kann man gut verstehen, wenn man sich die Veränderungen der Arbeitsumstände vor Augen führt. Damit meine ich vor allem die fehlende Grenze zwischen Arbeit und Privatleben, wo wir rund um die Uhr erreichbar sind und wo Kommunikation durch die digitale Arbeitsumwelt sehr viel schneller von statten geht. Gerade diejenigen, die heute zwischen 50 und 60 Jahre alt sind, haben noch in einer Zeit ihren Beruf gelernt, wo man einmal am Tag Post bekam.

Die jüngere Generation geht damit ganz anders um, weil sie damit aufgewachsen ist und mit einer digitalen Welt vertraut ist. Bei den älteren Arbeitnehmern kommt dann noch hinzu, dass die Erholungsbedürftigkeit mit dem Alter zunimmt. Man braucht mit zunehmendem Alter einfach mehr Regenerationszeit. Mit Ende 50 merken wir natürlich viel eher, wenn wir mal eine Nacht nicht gut geschlafen haben als mit Ende 20. Das steht einer schneller werdenden Arbeitsrealität entgegen.
 
Am Ende ist es jedoch nur selten die Menge an Arbeit allein, die uns psychisch belastet, sondern es sind die Umstände von Arbeit. Wenn die Wertschätzung fehlt oder wenn der Einzelne wenig Einfluss auf das Geschehen um sich herum hat, dann sind das die Krankmacher Nummer eins.

Vor allem Männer sind betroffen, gibt es auch dafür eine Erklärung?
 
Die Mitte 50 bis Mitte 60-jährigen Männer sind noch so groß geworden, dass es ihnen schwerer fällt, auch mal Schwäche zu zeigen und Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Und auch über private Probleme oder Schwierigkeiten am Arbeitsplatz zu sprechen, fällt ihnen nicht so leicht wie Frauen oder Jüngeren. Und je schwerer es fällt, das eigene Befinden in passende Worte zu fassen, desto eher ist man auch gefährdet von Dauerstress überwältigt zu werden.

Das Selbstbild des Mannes scheint also eine Rolle zu spielen. Ändert sich da gerade etwas in der jüngeren Generation?
 
In den jüngeren Generationen finden wir einen Wertewandel, der beeindruckend ist. Jüngere – Männer wie Frauen - legen nicht mehr so viel Wert auf "glatte" Karrieren, wie es noch in der Elterngeneration der Fall war. Sondern es steht sehr viel häufiger die Selbstfürsorge im Alltag im Vordergrund und demnach eine gute Balance zwischen Arbeits- und Privatleben.
 
Dahinter steckt sehr wahrscheinlich eine Reaktion auf eine entgrenztere Arbeitszeitverteilung: Je schwammiger formal die Grenze zwischen Arbeits- und Privatleben verläuft, desto mehr ist man als Einzelner aufgefordert, diese Grenze selbst zu ziehen und darauf zu achten, dass man genügend Erholungszeit findet.

Was ist der Unterscheid zwischen einem Burnout und einer Depression?
 
Burnout beschreibt einen Krankheitsentstehungsprozess, der stressabhängig ist und der zu verschiedenen psychischen Erkrankungen führen kann, aber nicht notwendigerweise muss - sofern der Prozess rechtzeitig gestoppt wird. Aus meiner Erfahrung entsteht am Ende eines solchen Prozesses zu etwa 85 Prozent eine Depression und die restlichen 15 Prozent verteilen sich auf Angsterkrankungen und andere Stressfolgeerkrankungen wie etwa eine Anpassungsstörung.

Woran kann ich selbst erkennen, dass ich einen Burnout-Prozess gerate?
 
Typische Frühwarnzeichen sind zum Beispiel, wenn man reizbarer ist, als sonst. Wenn man merkt, dass man sich nicht mehr richtig erholen kann, dass man gedanklich nicht mehr abschalten kann, sondern ständig bei der Arbeit ist und in negativen Sorgenschleifen kreist. Wenn man nicht mehr gut schlafen kann und dann auch die Konzentration schlechter wird.
 
Das Problematische ist, dass diese Veränderungen recht schnell dazu führen, dass die eigene Leistungsfähigkeit abnimmt. Was man dann häufig macht, ist noch mehr Gas zu geben und noch länger am Schreibtisch zu sitzen. Dadurch erreicht man genau das Gegenteil, dass nämlich die Burnout-Spirale sich weiter zudreht und es einem immer schlechter geht.

An wen sollte man sich dann wenden?
 
Viele Krankenkassen bieten gute Informationen an, häufig sind die auch online im Internet gut zu finden. Ich persönlich finde es eine sehr gute Idee, mit dem Hausarzt zu sprechen. Die Hausärzte sind heute gut geschult, was dieses Thema anbelangt.
 
Eine andere gute Möglichkeit ist, sich mit Freunden und Familienangehörigen darüber auszutauschen. Es ist wichtig, sich nicht zu schämen und darüber zu sprechen. In den seltensten Fällen wird es jemandem als Schwäche ausgelegt, sondern im Gegenteil: Es ist ein Zeichen von persönlicher Stärke, wenn man über solche Probleme spricht.

Welche Möglichkeiten, kann ich selbst ergreifen, wenn ich betroffen bin?
 
Es gibt verschiedene Ansätze, um die eigene Regenerationsfähigkeit wieder zu verbessern: Dazu gehören Entspannungsübungen, Autogenes Training und achtsamkeitsbasierte Ansätze. Das sind alles Verfahren, die die Erholungsfähigkeit verbessern und die dafür sorgen, dass man das körpereigene Stresssystem zwischendurch mal runterfährt. Dazu gehört auch Sport. Gerade von Ausdauersportarten wissen wir, dass sie chronischer Stressbelastung entgegenwirken und sich das Stresshormonsystem dadurch wieder regulieren kann.

Wie können Sie als Psychiater helfen?
 
Wir als Psychiater und Psychotherapeuten kommen dann zum Einsatz, wenn die Symptome so weit fortgeschritten sind, dass sie krankheitswertig sind. Die Psychotherapie richtet sich sehr auf das Thema "Umgang mit Stress". Dazu schauen wir uns genau an, wie der Alltag einer Person verläuft, wo so genannte Stresstreiber sind und wie man einen guten Umgang damit erlernen kann. Meistens ist es so, dass nicht nur ein Lebensbereich das Problem ist, sondern häufig mehrere.
 
Wenn man zum Beispiel die eigenen Eltern pflegt und dann im Beruf noch eine Belastung dazu kommt, dann wird die gesamte Mischung problematisch. Häufig gibt es auch Persönlichkeitseigenschaften, die zu einer Art Stresstreiber werden können. Wir finden bei sehr vielen Burnout-Betroffenen zum Beispiel eine perfektionistische Grundhaltung. Dann widmen wir uns auch solchen "inneren Stresstreibern" und können sie mittels psychotherapeutischer Verfahren "besänftigen".

PD Dr. Mazda Adli

Am Ende ist es jedoch nur selten die Menge an Arbeit allein, die uns psychisch belastet, sondern es sind die Umstände von Arbeit.

Passiert inzwischen auch in den Betrieben selbst etwas?
 
Ja, ich stelle fest, dass sich inzwischen auch immer mehr Betriebsärzte an uns wenden und erkrankten Beschäftigten den Weg zu uns bahnen. Psychische Gesundheit hat im betrieblichen Gesundheitsmanagement eine wachsende Bedeutung.
 
Aber, ich weiß auch, dass der Gang zum Betriebsarzt leider vielen Arbeitsnehmern noch schwerfällt. Insgesamt ist das Thema "psychische Gesundheit"zwar längst nicht mehr so tabuisiert wie noch vor zehn Jahren. Aber es muss sowohl von Seiten der Ärzte, der Arbeitgeber und auch der Politik noch mehr getan werden. Es braucht einen gesellschaftlichen Wandel, der weit über das hinaus geht, was wir bisher erreicht haben.

Was kann ich selbst tun, damit es gar nicht erst zu einem Burnout kommt?
 
Ich rate, gut auf das eigene seelische Befinden zu achten. Wenn ich es mir morgens und abends zur Angewohnheit mache, für eine Minute den Blick nach innen zu wenden und mir die Frage stelle: Wie geht es mir eigentlich? Bin ich angespannt? Und wenn ja, warum? Gibt es etwas, das ich selbst für mich tun kann und das mir heute guttun könnte?
 
Dann sollte man regelmäßig für wirksame Pausen sorgen, in denen man sich mit den Gedanken bewusst für eine kurze Weile von der Arbeit entfernt. Auch Sport - zwei- bis dreimal pro Woche 30 Minuten - hilft enorm, Stress abzubauen Und: das tun, was man gern macht und einem gut tut.  Ich persönlich singe zum Beispiel in einem Chor.

Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ursula Stamm

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