Große Chance: überlastete Kliniken zu entlasten - Mit Antikörper-Therapie gegen Corona
Erinnern Sie sich, wie schnell Donald Trump nach seiner Corona-Infektion im Oktober 2020 wieder auf den Beinen war? Der frühere US-Präsident bekam damals Antikörper. Seit Februar 2021 können auch Menschen in Deutschland von der Therapie profitieren.
Was es genau mit der Behandlung auf sich hat, wer dafür in Frage kommt und wie man sie bekommt, hat die rbb Praxis den Allgemeinmediziner und Infektiologen Axel Baumgarten vom Zentrum für Infektiologie in Berlin Prenzlauer Berg gefragt.
Herr Dr. Baumgarten, was sind die Antikörper-Therapien genau?
Stellen Sie sich das wie eine passive Impfung vor. Wir spritzen einfach die Antikörper, die das Immunsystem normalerweise nach einer Coronaimpfung oder nach einer Infektion mit SARS-Cov2 bildet. Sie wirken sofort; man muss nicht warten, bis der Körper auf die Impfung oder Infektion reagiert. Dadurch sparen wir kostbare Zeit. Bei den Medikamenten handelt es sich um neutralisierende monoklonale Antikörper, die verwendeten Moleküle sind also alle gleich aufgebaut und greifen an einem fest definierten Ziel an.
Sie betonen das so – gibt es noch andere Antikörper?
Das menschliche Immunsystem bildet nach einer Infektion einen Mix an Antikörpern, die das Virus an verschiedenen Stellen binden. Fachleute sprechen von polyklonalen Antikörpern.
Und wirken die besser?
Sie sind auf jeden Fall exakt auf den jeweiligen Erreger zugeschnitten – und damit hundertprozentig wirksam. Monoklonale Antikörper baut man im Labor so auf, dass sie gegen ein bekanntes Virus richtig gut wirken. Mutiert das Virus jedoch an der Stelle, an der sie angreifen, lässt ihre Wirkung möglicherweise nach. In diesem Fall müsste man die Antikörper anpassen.
Wie wirken monoklonale Antikörper?
Sie docken in einer Art Schlüssel-Schloss-Prinzip an das bekannte Spike-oder Stachel-Protein auf der Oberfläche des Coronavirus an. Dadurch verändern die Viren ihre Struktur und können nicht mehr in die menschlichen Zellen eindringen und sich vermehren. Bei vier von fünf Patienten können wir damit schwere Krankheitsverläufe verhindern.
Seit wann wenden Sie die Mittel an?
In Deutschland haben wir seit Februar 2021 zwei Produkte zur Verfügung. Zunächst haben ausschließlich Kliniken die Therapie durchgeführt. Mit Beginn der vierten Welle wurde klar, dass die Patienten oft zu spät für die Behandlung in die Kliniken kommen. Wir brauchten mehr niedrigschwellige Angebote. Deshalb haben wir ein Praxisnetzwerk in Berlin aufgebaut. In unserer Praxis führen wir seit Mitte Oktober Therapien durch.
Wie muss man sich die Behandlung vorstellen?
In der Regel verabreichen wir einmalig eine Infusion. Das dauert eine Stunde. Um sicher zu gehen, dass die Leute das Mittel gut vertragen, bleiben sie danach noch eine Stunde zur Beobachtung in der Praxis.
Welche Rolle spielen die Antikörper-Therapien aus Ihrer Sicht?
Bei der richtigen Auswahl der Patienten sind sie die große Chance, den überlasteten Kliniken eine Atempause zu verschaffen. Sie verhindern schwere Krankheitsverläufe – und damit einen stationären Aufenthalt. Jeder Risikopatient, der nicht ins Krankenhaus muss, hilft uns jetzt weiter! Bislang werden sie noch zu selten angewendet.
Wer bekommt die Infusion?
Die Mittel sind für Menschen, die sich mit Corona infiziert haben und denen wegen ihrer Vorerkrankungen und Risikofaktoren ein schwerer Verlauf droht. Dazu gehören Übergewicht, Diabetes, aber Herz-Kreislauf-Erkrankungen, eine laufende Chemotherapie oder eine HIV-Infektion. Und sie dürfen noch nicht sauerstoffpflichtig sein.
Eignen sich Antikörper auch bei denen, die geimpft sind und trotzdem an Corona erkranken?
Unbedingt. Manche Menschen, vor allem ältere und solche mit einem geschwächten Immunsystem, sprechen nicht gut auf die Impfung an. Sie bilden keine oder nur sehr wenige Antikörper und sind daher nicht vor Corona geschützt. Sie profitieren sehr von der passiven Immunisierung.
Dann muss ich mich also gar nicht impfen lassen.
Antikörper ersetzen keine Impfung! Sie sind eine wertvolle Ergänzung für die Menschen, die aus verschiedenen Gründen keinen wirksamen Impfschutz aufbauen können.
Welche Nebenwirkungen hat die Therapie?
Die meisten Leute vertragen die Infusion sehr gut. In ganz seltenen Fällen kann eine schwere allergische Reaktion auftreten, die wir aber medikamentös gut behandeln können.
Die Infusion sollte innerhalb von drei bis fünf Tagen nach einem positiven Corona-Test oder innerhalb von sieben Tagen nach dem Auftreten der Symptome erfolgen. Warum die Eile?
Wir müssen die Viren erwischen, bevor sie in die Zellen eindringen und ihre zerstörerisches Werk anrichten.
Und wie bekommt man eine Therapie?
Die Patienten können sich nicht selbst für die Therapie anmelden, das kann nur der Arzt machen! Wer also zur Risikogruppe gehört und einen positiven PCR-Test hat, sollte sich rasch bei seinem Hausarzt melden. Der vermittelt dann die Therapie in einer der sieben Praxen und sieben Kliniken in Berlin, die Teil des Netzwerks sind.
Wie viele Therapien führen Sie täglich durch?
Wir behandeln jeden Tag einen Patienten. Weil die meist coronapositiv sind, ist das für uns neben dem normalen Praxisbetrieb ein hoher logistischer Aufwand. Aber wir hätten noch Kapazitäten. Grundsätzlich müssen wir sehen, wie sich die Lage entwickelt – und ob es zukünftig mehr Bedarf gibt.
Kostet das was?
Nein, die Behandlung ist kostenfrei. Sie kann ambulant oder stationär im Krankenhaus oder außerhalb des Krankenhauses, in Praxen, erfolgen.
In Brandenburg wird die Therapie bislang nicht angeboten – darf ich mich als Brandenburger in Berlin behandeln lassen?
Wenn Ihr Arzt oder Ihre Ärztin Sie in einem der Berliner Zentren anmeldet, sollte das kein Problem sein.
Vielen Dank für das Gespräch, Dr. Baumgarten.
Das Interview führte Constanze Löffler.