Handydaumen: Gelenkverschleiß durch smartes Wischen - Daumenarthrose
Ständige kleine, schnelle Drehbewegungen, Druck auf Bänder und Sehnen - nein, das beschreibt keinen Sport, sondern die eintönigen Bewegungen, die jeder Smartphonenutzer täglich unzählige Male auf seinem Display vollführt. So vielfältig das ist, was man mit dem Daumen da "ertasten" kann, so einseitig und gleichzeitig anspruchsvoll sind Wischbewegungen und Touchen für das Daumensattelgelenk - mit schmerzhaften Folgen durch Entzündungen und Verschleiß. Und dann? So lange wie möglich OP vermeiden.
Früher waren die Patienten um die 65 Jahre alt, oft mit handwerklicher Berufsvergangenheit, heute sind sie immer öfter zwischen 15 und 25 Jahren und einfach "mobil sehr aktiv". Gemeint sind Menschen mit Schmerzen bei Bewegungen des Daumens. Einige Mediziner sprechen von "WhatsAppitis" oder Handydaumen. Orthopäden und Ergotherapeuten am Universitätsklinikum Leipzig beispielsweise sprechen von einer "neuen orthopädischen Zivilisationskrankheit".
Die bekannten Krankheitsbilder von Verschleiß und Überbeanspruchung des Daumens bei einer neuen - einer jungen - Patientengruppe zu sehen, besorgt Mediziner und Wissenschaftler. Auch deshalb, weil die Therapien bei dieser Patientengruppe berücksichtigen müssen, dass diese noch den größten Teil ihres Lebens und Arbeitslebens vor sich hat und somit viel länger und intensiver auf die (schmerzfreie) Funktionsfähigkeit ihrer Daumen angewiesen ist, als das bei den früher typischen Patienten ab Mitte 60 und älter der Fall war.
Handydaumen - ein Begriff, keine Diagnose
So "kopfbildstark" Begriffe wie WhatsAppitis oder Handydaumen auch sind, so wenig medizinisch präzise sind sie, denn sie beschreiben nur die Ursache von Schmerzen - die intensive Nutzung des Daumens für Bewegungen, für die er nur am Rande gedacht ist. Der stärkste Finger der Hand dient beim Menschen, wie z.B. auch beim Affen vor allem der Absicherung beim Greifen. Er soll gegendrücken, Dinge nicht aus der Hand rutschen lassen - sein normales Bewegungsmuster richtet sich daher Richtung Handinnenfläche. So bildet er quasi eine Seite einer Zange - Finger und Handinnenfläche bilden die andere zum Greifen von Gegenständen.
An Wischen und Drücken auf dem Glasdisplay hatte die Evolution bei der Konstruktion des Daumens dabei dummerweise weniger gedacht. Dafür braucht es vor allem Drehbewegungen des Daumens am und aus dem Daumensattelgelenk - eines der kleinsten, aber in einem Menschenleben ohnehin am meisten beanspruchten Gelenke des Körpers. Es liegt da, wo der Daumen von der Hand "abzweigt", umgeben von mehreren Sehnen, Muskeln und natürlich Nerven. Je nach "Übernutzung" per Smartphone können an diesen verschiedenen Teilen des Daumens Reibungen, Entzündungen, Nervenreizungen und -schäden oder gar Arthrose auftreten.
Wenn Sehne auf Sehen schabt
Vor allem Sportler kennen sie (leider): Bei der Sehnenscheidenentzündung schwellen Sehnen durch zu starke Beanspruchung an und können aneinander reiben und/oder an ihrer Sehnenscheide. Die Folgen sind Schmerzen bei jeder Bewegung. Genau das passiert auch bei der Sehnenscheidenentzündung im Daumen. Früher nannte man das Phänomen auch "Hausfrauendaumen", weil Frauen klassischerweise (im Alter von 65+) so viel häufiger betroffen sind - acht Mal so oft, wie Männer.
Betroffen sind die Strecksehnen und im schlimmsten Fall auch deren Sehnenfach, die Sehnenscheide des Daumens, die vom Handgelenk oben seitlich auf dem Daumen verlaufen. Normalerweise werden diese beiden Sehnen des kurzen Daumenstreckmuskels und des langen Daumenabspreizmuskels sozusagen gut geölt - in der Sehnenscheide wird Gleitflüssigkeit produziert, die alles schön geschmeidig hält. Doch durch zu starke Nutzung schwellen die Sehnen und auch ihr Fach so sehr an, dass das nichts mehr hilft. In extremen Fällen können die Sehnen auch so dick werden, dass sie im Fach stecken bleiben. Jede Form der Sehnenscheidenentzündung ist vor allem sehr schmerzhaft und extrem einschränkend für die Bewegung.
Bloß die OP vermeiden
Gängige Therapiemethoden sind z.B. die Stilllegung mit Verbänden oder Tapes auf bestimmte Zeit, entzündungshemmende Medikamente oder Übungen zur Entlastung der Sehnen- und Muskelstrukturen. In schwierigen Fällen kann es zum Einsatz von Kortisonspritzen oder sogar OPs kommen - zumindest war das bei der früheren Patientengruppe in fortgeschrittenem Alter so. Bei der neuen, wachsenden Gruppe der Menschen, deren Daumenprobleme aus der Smartphonenutzung rühren, also aus einem absichtlichen Bewegungsmuster, dass den Händen nicht gut tut, warnen Ärzte wie die Orthopäden des Uniklinikums Leipzig dringend vor Übertherapie oder gar einer OP - und raten schlicht zum Einschränken der Handynutzung.
Kein Spaß fürs Daumensattelgelenk
Für das Daumensattelgelenk, das den Daumen mit der Hand verbindet, bedeuten die ständigen Wischbewegungen de facto ständige Drehbewegungen. Relativ gesehen sind die sonst im Leben eines Daumens eher seltener, gerade verglichen mit den klassischen Greifbewegungen. Besonders beim Gaming auf dem kleinen Display müssen sich die Daumen aber schnell und kraftvoll in verschiedene Richtungen wenden. Auch beim Tippen von Nachrichten kreisen die Daumen vor allem über die gesuchten Buchstaben und Symbole - das sorgt für mehr Stress im Gelenk und kann auch zu vorzeitigem Verschleiß führen. Mögliche Folge: Degenerative (verschleißbedingte) Entzündungen und instabile Gelenke. Vor allem warnen Orthopäden und Chirurgen: Aus genau solchen Entzündungen des Daumensattelgelenkes können sich auch unumkehrbare Daumenarthrosen entwickeln, medizinisch Rhizarthrose genannt.
Unter anderem zeigte eine kanadische Studie außerdem, dass es vor allem durch das Spielen mit Smart Devices auch zu Belastungen des Daumenmittelgelenkes kommen kann. Browsen dagegen führe eher zu Druck im Daumensattelgelenk, gerade beim Scrollen.
Mehr Smartphone - mehr Nervenschäden
Wie sehr die Dauernutzung des Smartphones nicht nur Sehnen und Gelenke, sondern auch die Nerven schädigt, konnte vor kurzem eine US-amerikanische Studie am Wiley College zeigen: Von 500 untersuchten Studenten zeigten 54 Prozent der intensiven Smartphone Nutzer, also "Heavy Users", Veränderungen des Muskelskelett-Apparates. Der Mittelarmnerv und das durch das Handgelenk führende Karpalband der Intensivnutzer waren häufiger stark abgenutzt, was zum sogenannten Karpaltunnelsyndrom führen kann: Der Mittelnerv steuert Fingermuskeln sowie die Haut von Daumen, Zeige-, Mittel und Ringfinger, bzw. sendet deren Sinneseindrücke ins Gehirn. Entzünden sich die Sehnen oder schwillt das Gewebe aus anderen Gründen an, quetscht das kleine Gefäße, die diesen Nerven mit Blut versorgen. Er kriegt nicht mehr genug Sauerstoff und Nährstoffe und kann dauerhaft Schaden nehmen. Die Betroffenen leiden beim Karpaltunnensyndrom unter Kribbeln und Schmerzen oder Taubheitsgefühlen in den Fingern.
Smartphone Nutzung per Daumen verändert auch das Hirn
Wie wir unsere Daumen nutzen, beeinflusst aber nicht nur unsere Hände, sondern übrigens auch unsere Gehirnstruktur. Das haben Forscher aus der Schweiz in einer Studie zeigen können: Sie untersuchten die kortikale Hirnaktivität von 37 Rechtshändern mittels Elektroenzephalografie (EEG). Eine Gruppe verwendete Smartphones mit Touchscreen, die andere ältere Handymodelle. Ergebnis: Die Hirnaktivität der Smartphone Nutzer im gemessenen Bereich war umso höher, je häufiger sie in den zehn Tagen des Experiments ihr Gerät genutzt hatten - das Hirn wurde mit steigender Nutzung messbar sensibler für die Reize - und das am stärksten in einem Areal, das die Daumenbewegungen repräsentiert. Das Hirn passt seine Verarbeitungsprozesse in ähnlicher Weise an die Nutzung eines Smartphones an, wie man es bei einem Musiker und seinem Instrument schon zeigen konnte - nur viel schneller, ohne jahrelanges Training.
Alltagstipp: Merkelraute
Um die Daumen geschmeidig zu halten, ohne ganz auf das Smartphone zu verzichten kann man was tun - Dehnen zum Beispiel. Das geht zum Beispiel, indem man Daumenspitze auf Daumenspitze und Fingerspitze auf Fingerspitze legt - eben die Merkelraute macht - und immer wieder kurz etwas Druck ausübt.
Ähnlich gut funktioniert eine Dehnübung, bei der man mit dem Zeigefinger einer Hand den Daumen der anderen Hand leicht nach hinten drückt.
Wer seine Daumen auch bei der Smartphone Nutzung entlasten will, sollte hektische Spiele vermeiden - sie belasten die Daumen besonders, auch weil im Eifer des Gefechtes gern besonders viel Druck aufs Display gebracht wird. Für das Browsen, Tippen & Co. sollte man lieber beide Daumen verwenden, um maximale Streckungen zu vermeiden. Oder: Einfach mal mit den Fingern tippen, auch wenn es nicht so bequem ist.