Knieprothese an einem Knochenmodell (Quelle: imago/Jochen Tack)
Bild: imago/Jochen Tack

Interview | Dr. Tobias Winkler - Infizierte Prothesen – Keime im Kunstgelenk

Die Implantation von künstlichen Gelenken ist eine Routine-Operationen und gehört zu den erfolgreichsten Eingriffen in Deutschland. Doch bei Prothesen in der Hüfte oder im Knie kann es zu Keim-Infektionen kommen, die die Knochensubstanz und die Weichteile um das Gelenk schädigen. Die Folge: Schmerzen, Gewebezerstörung und die künstlichen Gelenke können sich lockern. Die Zahlen der Re-Ops - also der Austausch eines infizierten Implantates gegen eine neue Prothese - steigen in den letzten Jahren.

Spezialisierte Experten ermöglichen es Patienten auch nach einer Infektion problemlos wieder zu laufen. Die rbb Praxis hat dazu Dr. Tobias Winkler befragt, Experte für periprothetische Infektionen und Regenerative Orthopädie am Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie der Charité

Guten Tag Herr Dr. Winkler, wie gelangen die Bakterien auf die Implantate?

Die Implantate werden  während der Operation mit Keimen besiedelt. Die Quelle ist hierbei meistens die Haut der Patienten. Dort finden wir die Bakterien als natürliche Flora, die auf der Haut kein Problem darstellen. In ca. 20 Prozent der Infektionen gelangen die Bakterien über einen Herd in die Blutbahn und besiedeln von dort aus die Implantate. Auslösender Herd können Infektionen der Zähne, der Haut, der Lunge und des Urogenitaltraktes sein. Auch besiedelte Herzschrittmacherkabel oder Katheter können Quellen sein. Wie häufig Zahnbehandlungen oder Interventionen wie eine Darmspiegelung zu einer Besiedelung von Implantaten führen wird kontrovers diskutiert. Bei Patienten, die ein erhöhtes Risiko für Infektionen haben, wird eine Antibiotikaprophylaxe empfohlen.

Wie können Sie feststellen, ob und welche Keime die Implantate besiedelt haben?

Es gibt eine Reihe von Tests, um eine Infektion zu diagnostizieren. Einer der wichtigsten ist die Gewinnung von Gelenksflüssigkeit durch eine Gelenkpunktion. Über eine Bestimmung der weißen Blutkörperchen kann man zum Beispiel feststellen, ob eine Infektion vorliegt oder nicht. Wichtig ist auch die mikrobiologische Analyse der Gewebeproben. Auch helfen neue Methoden wie die Sonikation. Dafür werden die Prothesenteile direkt nach ihrer Entfernung in ein Ultraschallbad gegeben, das den abgelagerten Biofilm durch Beschallung von der Oberfläche des Implantats ablöst. Die dabei entstehende Sonikationsflüssigkeit wird im Labor als Kultur angelegt und kann sofort für die nachfolgende Analytik benutzt werden. Eine Resistenzprüfung ermöglicht es, schnell eine gezielte Antibiotikatherapie einzuleiten. Zudem befinden sich verschiedene Infektions-Marker gerade in der Testung. Eine Arbeitsgruppe an der Charité um Dr. Andrej Trampuz beschäftigt sich aktuell damit.  Diese Marker werden in Zukunft die Diagnostik noch präziser machen.

Wie lange können die Keime im Körper schlummern, bevor sie Probleme verursachen?

Die meisten Infektionen treten in den ersten ein bis zwei Jahren nach der Implantation auf. Jedoch ist von den sogenannten Low-Grade Infektionen bekannt, dass Symptome auch bis zu drei Jahren nach der OP auftreten können. Wir haben viele Patienten, welche zwar über Schmerzen klagen, aber wegen fehlender eindeutiger Infektionszeichen, z.B. Entzündungsparameter im Blut, über Jahre fehldiagnostiziert werden. Sie kommen erst sehr spät zu uns in das Centrum für Septische Chirurgie.

Wie hoch ist die Rate der Besiedelung, wie oft kommt es zu einer Infektion?

Ca. 1-2 Prozent der Patienten, welche ein künstliches Hüft- oder Kniegelenk erhalten, haben eine Infektion. So die publizierten Zahlen. Wir gehen jedoch von einer weitaus größeren Zahl aus.

Das Infizierte raus - und das neue rein. Geht das innerhalb einer Wechsel-OP?

Ja, diese Methode wird als einzeitiger Wechsel bezeichnet und kann in bestimmten Fällen angewandt werden. Der Vorteil: die Patienten haben nur einen stationären Aufenthalt. Sinnvoll ist das aber nur bei Infektionen, bei denen die Knochen- und Weichteilbeteiligung nicht zu stark ist und wir keine Problemkeime zu bekämpfen haben. Das ist schwer zu diagnostizieren, und sollte nur durch Schwerpunktzentren mit hohen Fallzahlen durchgeführt werden. Aktuell führen mein Kollegen Dr. Michael Müller und ich eine Studie bei Hüftinfektionspatienten durch.  Hierin werden Patienten nach einzeitigem Wechsel mit einem lokalen Antibiotikaträger behandelt.  Die meisten Patienten sind dafür allerdings nicht geeignet. Hier sind zwei Operationen notwendig, wir nennen das einen zweizeitigen Wechsel. D.h. die infizierte Prothese wird in der ersten Operation entfernt. Im Abstand von 2-8 Wochen wird dann das neue Implantat eingesetzt.

Ist Multiresistenz ein Thema bei Implantat-Infektionen?

Die Multiresistenz ist ein großes Thema und tritt hierzulande vor allem bei fehlerhafter antimikrobieller und chirurgischer Therapie auf. Diese Patienten sind schwierig zu behandeln und verursachen durch die aufwendige Therapie enorme Kosten für das Gesundheitssystem. Diese Patienten benötigen in der Regel teure Reserve-Antibiotikatherapien, aufwendige chirurgische Therapien mit Spezialimplantaten und oft mehrere Eingriffe. Auch die Krankenhausaufenthalte sind länger. Die Schwerpunktzentren bekommen das alles nur unzureichend erstattet.

Wer sollte zum Behandlungsteam gehören?

An der Charité arbeiten wir in einem multidisziplinären Team, welches aus Infektiologen, Orthopäden, Mikrobiologen und einer spezialisierten Physiotherapie und Pflege besteht. Diese Interdisziplinarität ist wichtig, damit wir am Patientenbett und im Austausch untereinander die beste Lösung für jeden Patienten finden können.

Eine Infektion - wie aus heiterem Himmel. Oder gibt es Warnhinweise?

Eine Veränderung der Schmerzqualität nach der Implantation, insbesondere aber Ruheschmerzen und Nachtschmerzen sind ein Warnsignal. Die Infektion kann sich aber auch bereits sehr früh durch Wundheilungsstörungen zeigen. Es kann aber auch sehr schnell und heftig gehen. Hier haben die Patienten dann auch oft schwerwiegende und eindeutige Symptome, welche sich bis zu einer Sepsis zuspitzen können.

Vielen Dank für das Gespräch, Dr. Winkler!
Das Interview führte Pia Busch

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