Experten-Interview - So gefährlich ist eine Blutvergiftung (Sepsis)
Eine Blutvergiftung ist ein Notfall und kann zum Tod führen. Gefahren und Hilfe durch eine rechtzeitige Behandlung, erklärt Experte Dr. Thomas Dietz.
Plötzlich hohes Fieber und ein ganz elendiges Krankheitsgefühl – klingt nach einer Grippe. Es könnte aber auch eine Sepsis sein, eine Blutvergiftung. Dann ist schnelles Handeln überlebenswichtig. Experte Dr. Thomas Dietz erklärt im Interview, wie Sie eine Sepsis im Alltag erkennen und was dann zu tun ist.
Herr Dr. Dietz, Sepsis ist noch immer die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Wie kann es zu einer sogenannten Blutvergiftung kommen?
Die häufigste Ursache sind verschleppte Wunden. Und oft haben wir auch einen Fokus, also einen Herd. Das heißt, die Leute haben beispielsweise eine schwere Lungenentzündung und davon wird das ausgeschwemmt.
Was genau passiert bei einer Sepsis im Körper?
Bei einer Sepsis besteht eine komplexe Entzündungsreaktion des gesamten Körpers. Der Körper antwortet damit auf eine kontinuierliche Erregereinschwemmung in die Blutbahn. Dabei werden einzelne Organe schwer beeinträchtigt, bis hin zum Multiorganversagen und Tod. Wichtig ist deshalb, die Sepsis schnell zu erkennen und auch schnell zu handeln. Denn: Je früher die Diagnose gestellt wird, umso höher ist die Überlebensrate.
Wer ist besonders gefährdet, an einer Sepis zu erkranken?
Meist trifft es Patienten mit eingeschränkter Immunabwehr, also Menschen mit chronischen Erkrankungen. Bei Dialyse-Patienten gibt es die Katheter-Sepsis, wenn nicht ausreichend sauber gearbeitet worden ist und durch die Zugänge Erreger in die Blutbahn gelangen. Bei Diabetikern stellen offene Beine eine große Gefahr dar. Aber auch Patienten mit chronischer rheumatischer oder Darmerkrankung sind stark gefährdet, wenn sie Medikamente nehmen müssen, welche die Immunantwort unterdrücken.
Was sind klassische Anzeichen, an denen ich eine Sepsis erkenne?
Wenn jemand schnell hohes Fieber bekommt, verwirrt ist oder ein sehr schweres Krankheitsgefühl hat, ähnlich wie bei einer Grippe. Damit meine ich keinen einfachen Schnupfen, sondern eine echte Grippe: die geht in drei, vier Stunden los und haut Sie aus den Beinen. Bei einer Sepsis ist das ähnlich. Aber es ist leider nicht immer so einfach sie zu erkennen.
Warum ist eine Sepsis auch für Ärzte oft schwer zu diagnostizieren?
Es gibt viele Vorstufen oder Mischbilder. Durch meine Promotion über das Thema habe ich sehr viele dieser Erkrankungen gesehen: Manchmal kommen die Patienten zu uns in die Klinik und sind nur verwirrt – da denken Sie nicht primär an eine Sepsis. Daher bedarf es eines guten klinischen Blicks und einer ausgeprägten differentialdiagnostischen Erwägung, um das zu erfassen.
Wie sollte ich mich bei einem Verdacht auf Sepsis verhalten?
Gehen Sie sofort zum Arzt. Ich rate Ihnen, nicht direkt in eine Klinik zu fahren – nur am Wochenende, wenn andere Praxen geschlossen sind. Ihr Hausarzt oder Ihre Fachärztin kann im Notfall die Klinik vorab anrufen und das beschleunigt die Abläufe im Krankenhaus enorm.
Wie wird ein Sepsis-Patient dann im Krankenhaus untersucht und behandelt?
Man muss unheimlich schnell klären, was die Ursache ist: Ärzte schauen sich verschiedene Blutparameter an, klären ob die Infektion bakteriell oder viral ist und ob es einen Herd gibt. Wird die Sepsis früh erkannt, ist der Patient in dem Moment der Antibiotikagabe gerettet. Aber wenn der Patient bereits den sogenannten "point of no return" überschritten hat, werden Sie ihn nicht mehr retten können. Bei allen medizinischen Fortschritten, die wir in den letzten 25 Jahren erfahren haben, hat sich an der Sterblichkeit bei Sepsis faktisch nichts geändert – die liegt immer noch deutlich über 50 Prozent.
Wie kann ich einer Sepsis vorbeugen?
Das Beste ist immer noch das banale Händewaschen. Auf vielen Dingen, die wir anfassen finden sich Bakterien und Viren, deshalb sollte jeder, wenn er nach Hause kommt, als erstes die Hände waschen. Speziell für Menschen, die immununterdrückende Medikamente nehmen gilt: in der Erkältungszeit große Menschenansammlungen meiden. Für Diabetiker ist eine regelmäßige Fußkontrolle wichtig, um Verletzungen früh zu erkennen. Ansonsten muss man fairerweise sagen: wenn es ein ganz böser Keim ist, hat man kaum Chancen. Da können Sie nur hoffen, dass sie auf einen guten Kollegen oder eine Kollegin treffen, die ihnen das Leben rettet.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Dietz.
Das Interview führte Ariane Böhm am 15.05.2017 (Update am 16.08.2023)