Computerartwork: Menschliches Immunsystem (Quelle: imago/Science Photo Library)
Bild: imago stock&people

Autoimmunerkrankungen: Warum spielt das Immunsystem verrückt? - Wenn der Körper sich selbst bekämpft

Unsere Immunabwehr ist ein ausgeklügeltes System, das uns vor Viren, Bakterien, Pilzen und Parasiten schützt. Bei manchen Menschen gerät es jedoch außer Kontrolle und richtet sich gegen körpereigene Zellen und Strukturen - eine Autoimmunkrankheit entsteht. Oder Stoffe werden als "feindlich" erkannt, die zu unserer ganz normalen Umwelt gehören.

Wie das Immunsystem funktioniert: humorale Immunantwort

Viren, Bakterien & Co. gelangen auf verschiedenen Wegen in den Körper. Erste Barrieren bilden die Haut, aber auch die feinen Nasenhaare, die schädliche Partikel aus der Atemluft filtern. Der Nies- und Hustenreflex hilft ebenfalls, Fremdstoffe wieder aus dem Körper heraus zu befördern. Gelangen  dann doch Krankheitserreger in den Körper, beginnt eine ganze Kaskade von Immunreaktionen im Blut. An erster Stelle durch die Abwehrzellen des  unspezifischen Immunsystems, die Makrophagen. Sie erkennen die Erreger, nehmen sie auf und transportieren sie zum Lymphgewebe. Dort "stellen" die Makrophagen die artfremden Eiweiße (Antigene)  den B-Lymphozyten "vor".  Die B-Lymphozyten bilden Abwehrstoffe (Antikörper=Immunglobuline) gegen die Antigene und ein so genannter Antigen-Antikörper-Komplex entsteht. Dadurch werden die Krankheitserreger, die Antigene, im wahrsten Sinne des Wortes unschädlich gemacht. Die Fresszellen (Phagozyten) des unspezifischen Immunsystems nehmen die Antigen-Antikörper-Komplexe dann auf und entfernen sie so aus dem Blut. Diese Form von Immunreaktion nennt man "humorale" Immunantwort.

Zelluläre Immunantwort

Neben den B-Lymphozyten gibt es noch eine  andere wichtige Gruppe von Immunzellen, die T-Lymphozyten. Diese auch "Killerzellen" genannten Immunzellen sind in der Lage, Krankheitserreger direkt zu zerstören und sind damit Teil der so genannten zellulären Immunantwort. Die T-Lymphozyten beeinflussen aber auch den Ablauf der Immunreaktion selbst.  So werden Stoffe freigesetzt die die  Blutgefäße erweitern oder die Gefäßwand durchlässiger machen. Dadurch kommt es zu einer Entzündungsreaktion in dem infizierten Gewebe, mit den typischen Entzündungszeichen wie Rötung, Schwellung, Erwärmung, aber auch Schmerz. Häufig sind auch Lymphknoten und Milz geschwollen als Zeichen vermehrter Aktivität der Lymphozyten. Im Rahmen der Abwehrreaktion werden auch Gedächtniszellen gebildet. Sie verbleiben oft jahrelang nach der Infektion im Organismus und werden aktiviert, wenn der Körper zum zweiten Mal mit einem Krankheitserreger in Kontakt kommt. Dadurch können die Erreger schneller ausgeschaltet werden, als bei der ersten Infektion.

Immunsystem außer Kontrolle

So wichtig, wie das Immunsystem für unsere Krankheitsabwehr ist: wenn es überreagiert und körpereigenes Gewebe angreift, kann es mitunter sogar gefährlich werden. Eine wichtige Rolle bei dieser überschießenden Reaktion spielen die T-Lymphozyten. In der Kindheit werden diese speziellen weißen Blutkörperchen in der Thymusdrüse quasi "geschult". Sie lernen zwischen körpereigenen und körperfremden Gewebe zu unterscheiden und diejenigen T-Lymphozyten, die das nicht können, werden "aussortiert". Das Ergebnis dieser "Schulung" wird auch Selbst- oder Immuntoleranz genannt. Bei Autoimmunkrankheiten ist diese Immuntoleranz fehlerhaft. Körpereigene Strukturen werden dann wie Antigene fremder Zellen behandelt und es entsteht -  ähnlich wie bei der gesunden Immunantwort -  ein Antigen-Antikörper-Komplex. Nur mit dem Unterschied, dass das Antigen aus körpereigenem Gewebe besteht. Man spricht dann von einem Autoantikörper. Diese werden zum Beispiel im Blut bestimmt, um einen Autoimmunkrankheit zu diagnostizieren. Eine Folge der fehlgeleiteten Immunabwehr ist auch, dass das Immunsystem für seine eigentliche Aufgabe – die Abwehr echter Krankheitserreger – nicht mehr genügend Kapazitäten hat. Mögliche Folgen sind eine Immunmangelkrankheit, aber auch die Entstehung von Krebs.

Autoimmunkrankheiten

Die fehlgeleitete Immunantwort  kann sich gegen verschiedene Strukturen im Körper richten. Etwa gegen Organe wie die Bauchspeicheldrüse (Diabetes Typ 1), Schilddrüse (Hashimoto-Thyroiditis), Dickdarm (Colitis ulcerosa) oder Nervenzellen (Multiple Sklerose). Oder sie betrifft bestimmte Strukturen, die im ganzen Körper vorkommen (systemische Autoimmunkrankheit) wie Bindegewebe (Kollagenosen), Bindegewebe von Gelenken und Sehnen (Rheumatoide Arthritis) und bestimmte Hautzellen (Schuppenflechte).  Derzeit sind rund 60 Autoimmunkrankheiten bekannt; die meisten von ihnen treten zwischen dem 20. Und 50. Lebensjahr auf. Als mögliche Ursachen für die Entstehung einer Autoimmunkrankheit werden verschiedene Faktoren gesehen. Neben genetischer Veranlagung spielen auch Infektionen, Schutzimpfungen, Giftstoffe und Schwangerschaft eine Rolle. Bei einer Infektion mit Streptokokken (z.B. Scharlacherreger)  können sich die durch die gesunde Immunantwort gebildeten Antikörper später gegen Gelenk- Nieren- oder Herzmuskelgewebe richten.  Auch eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus gilt als möglicher Risikofaktor. Während einer Schwangerschaft werden ständig Zellen zwischen Mutter und Embryo ausgetauscht. Manche von ihnen überleben im jeweils anderen Organismus und können so die Entwicklung von Autoimmunkrankheiten beeinflussen. Die Rolle von Impfungen bei der Entstehung von Autoimmunkrankheiten wird widersprüchlich beurteilt. In manchen Studien wird Impfungen eine verstärkende, in anderen eine abschwächende Wirkung auf die Krankheitsentstehung nachgesagt. Sicher ist, dass  Impfungen sich die Wirkungsweise des Immunsystems zu Nutze machen und dadurch theoretisch auch Fehlsteuerungen ausgelöst werden können. Stress, aber auch Giftstoffe wie Nikotin sind Umweltfaktoren, die die Entstehung einer Autoimmunerkrankung fördern können.

Allergien: wenn Nahrung und Natur zum Feind werden

Eine besondere Art der fehlgeleiteten oder überschießenden Immunantwort ist die Allergie. Dabei werden an sich harmlose Substanzen wie Eiweiße aus Kuhmilch oder auch Pollen irrtümlich als gefährlich eingestuft. Der Körper antwortet mit der Bildung von Antikörpern (Immunglobulin E), die eigentlich nur dann auf den Plan gerufen werden, wenn Krankheitserreger im Körper sind. Nach einer Art "Ruhephase" nach dem ersten Kontakt mit der an sich harmlosen Substanz (Allergen) wird die allergische Reaktion beim zweiten Kontakt dann ausgelöst. Während der Körper Krankheitserreger mit Hilfe der Immunglobuline beseitigen kann, gelingt das bei den Allergenen nicht, weil sie ja durch Nahrung oder Blütenstaub immer wieder in den Organismus gelangen. Betroffene können dann nur versuchen, das Allergen zu meiden oder eine Hyposensibilisierung durchführen lassen, die den Körper unempfindlicher für den Allergie auslösenden Stoff machen soll.

Beitrag von Ursula Stamm