"Silver Sex" - Das Liebesleben hat kein Ablaufdatum
Falten, Wechseljahre, Krankheit, aber auch Gelassenheit und Erfahrung: Mit den Jahren verändern sich Psyche und Körper – und mit ihnen oft auch die Bedürfnisse im Bett. Das muss nicht dazu führen, dass man keinen Sex mehr hat. rbb Praxis erklärt, warum Sexualität sich im Alter wandelt – und wie man trotzdem ein erfülltes Liebesleben haben kann.
Sex spielt auch mit zunehmendem Alter bei vielen Menschen eine wichtige Rolle. Das bestätigt auch eine aktuelle Studie, an der Wissenschaftler mehrerer Berliner Forschungseinrichtungen beteiligt waren - unter anderem der Humboldt-Universität, der Charité und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung.
Demnach sind 60- bis 80-jährige zwar im Durchschnitt weniger sexuell aktiv als jüngere Menschen. Ein Drittel der älteren Teilnehmer gab andererseits aber sogar an, häufiger sexuell aktiv zu sein und sexuelle Gedanken zu haben als der Durchschnitt der 20- und 30-Jährigen, also extrem aktiv zu sein. Das zeigt schon: Die eine Sexualität im Alter gibt es nicht. Die Möglichkeiten, auch in der späteren Lebensphase noch sexuell aktiv zu sein, sind so vielfältig wie die Menschen selbst. Wenn man einige Dinge beachtet, stehen die Chancen für ein erfülltes Liebesleben also gut.
Bedürfnisse ändern sich
Im Alter ändern sich häufig die Prioritäten, auch was die Sexualität betrifft. So spielt bei vielen Menschen nicht mehr nur das unmittelbar Körperliche eine Rolle, sondern vielmehr, wie zufrieden sie mit der Partnerschaft an sich sind.
"Die Bedeutung von psychischen und zwischenmenschlichen Faktoren für ein erfülltes Sexualleben im hohen Alter wurde lange unterschätzt", sagt Karolina Kolodziejczak vom Institut für Psychologie der Humboldt-Universität, die Erstautorin der gerade erschienenen Studie ist. Intimität, körperliche Nähe und das Gefühl von Verbundenheit spielen im Alter demnach für viele eine größere Rolle als "nur" der Geschlechtsakt – für Frauen häufig sogar noch mehr als für Männer.
Gerade im Alter Neues wagen
Trotzdem verändert sich mit zunehmendem Alter natürlich auch der Körper. Frauen und Männer sind generell weniger belastbar als noch in jungen Jahren. Die Gelenke werden steifer, dazu kommen manchmal Schmerzen in Rücken oder Hüfte.
Auch das Herz-Kreislauf-System ist weniger leistungsfähig. Oft funktionieren dann manche Praktiken im Bett nicht mehr so wie früher, das ist normal. Man sollte offen darüber sprechen und auch ruhig mal etwas Neues ausprobieren - etwa bislang unbekannte Sexualstellungen, die weniger Anstrengung kosten. Das Ziel sollte - wie auch in jüngeren Jahren - sein, dass beide Partner sich beim Sex wohlfühlen.
Sind die Wechseljahre schuld?
Oft geben Frauen den Wechseljahren die Schuld, wenn sie weniger Lust auf Sex haben. Tatsächlich fährt der Körper in der Menopause die Produktion des Hormons Östrogen herunter. Ob dieser relative Mangel allerdings ursächlich für vermindertes Verlangen ist, ist umstritten. So es denn zu einem Libidoverlust kommt, ist der meist ein schleichender Prozess, der schon mit Mitte Dreißig einsetzen und dann fortschreiten kann.
Allein die Wechseljahre sind also nicht schuld daran. Der Mangel an Östrogen bringt aber auch körperliche Veränderungen mit sich: So wird etwa die Vagina trockener, sie schmerzt beim Sex schneller und kann verletzt werden, da die Hautschichten immer dünner werden. Dagegen kann es helfen, wenn man Feuchtigkeit aus dem Inneren der Vagina Richtung außen verstreicht, auch Massageöl oder Gleitcreme sind Optionen. Wenn das nichts bringt, hilft in vielen Fällen eine Beratung beim Frauenarzt. Manchmal kann eine Lasertherapie helfen oder auch hormonhaltige Cremes oder Zäpfchen.
Die langfristige orale Einnahme von Hormonen ist dagegen bei den meisten Frauen nicht zu empfehlen. Nachdem diese "Hormonersatztherapie" jahrelang propagiert wurde, deuten die Daten nun klar darauf hin, dass der künstliche Ersatz das Risiko für Brustkrebs, Schlaganfälle und Thrombosen erhöht.
Erektionsstörungen abklären lassen
Auch der Körper von Männern verändert sich mit den Jahren. Obwohl Mediziner mittlerweile die Idee der "männlichen Wechseljahre" verworfen haben, produzieren viele Männer mit der Zeit weniger Testosteron. Eine Folge davon können Erektionsstörungen sein und dann dauert es länger, bis der Penis einsatzbereit ist. Ganz praktisch können Medikamente – etwa Testosteronpräparate oder Viagra – oder eine Vakuumpumpe helfen.
Es lohnt sich aber, Erektionsstörungen von einem Arzt abklären zu lassen, denn manchmal steckt auch eine Gefäßverkalkung dahinter, die mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall einhergehen kann. Auch die Ejakulation fällt im fortgeschrittenen Alter oft weniger stark aus. Das hat aber auch Vorteile, denn sie ist dann besser kontrollierbar. Gerade für Männer, die sonst zu früh "kommen", kann das ein angenehmer Nebeneffekt sein.
Hindernisse: Krankheiten und Medikamente
Im Alter spielen immer öfter auch Krankheiten eine Rolle: Nach Herzerkrankungen oder Schlaganfällen können oft keine Höchstleistungen im Bett mehr vollbracht werden. Auch Diabetes kann die Lust dauerhaft verringern. Auch können in manchen Fällen Nebenwirkungen von Medikamenten die Sexualität beeinträchtigen, etwa Blutdrucksenker.
Beim Arzt sollte man prüfen lassen, ob sich Krankheiten oder Medikamente negativ auf die Sexualität auswirken und ob sich Abhilfe schaffen lässt. Auch Operationen oder eine Bestrahlung – etwa nach Gebärmutterhalskrebs oder Gebärmutterkrebs – können dazu führen, dass die Lust am Sex nachlässt oder Sexualität sogar zeitweise unmöglich wird. Schließlich sind auch Inkontinenz und Prostataprobleme häufige Ursachen, dass im Alter der Spaß an der Liebe nachlässt. In all diesen Fällen sollte man nicht aus falscher Scham zögern, einen Arzt einzuweihen.
Das wichtigste: Austausch mit dem Partner
Eine typische Situation bei Paaren, die schon seit Jahrzehnten zusammen sind: Einer der Partner fürchtet, nicht mehr attraktiv genug für den anderen zu sein. Anstatt mit dem Anderen zu sprechen, zieht er oder sie sich zurück. Der Partner geht seinerseits auf Distanz, weil er den Rückzug des anderen nicht versteht.
Das zeigt, wie wichtig es ist, auch im Alter über Sexualität zu sprechen. Auch wenn körperlich nicht mehr alles so klappt wie früher, wenn Falten und Gebrechen vermeintlich die Attraktivität mindern - man sollte versuchen, sich mit der neuen Situation zu arrangieren und offen damit umzugehen.
Gerade das Alter kann eine Zeit sein, in der man seine Liebe und Zärtlichkeit zueinander noch einmal neu entdecken kann – wenn man sich darauf einlässt. Klappt das auf Dauer nicht, kann man sich professionellen Rat suchen, etwa bei Ärzten, Paartherapeuten oder Beratungsstellen, zum Beispiel bei "profamilia". Dieser Schritt kann dazu beitragen, einen gemeinsamen Weg zum Umgang mit Sexualität zu finden. Denn – klar – der Sex ist mit 70 nicht mehr so wie mit 20. Aber das heißt nicht, dass er schlechter sein muss.