Hilfe im Todesfall: "Unsicherheit ist ein großes Thema"

Interview mit Martina Gripp, Koordinatorin Trauernde Kinder Schleswig-Holstein e.V.


Wie ist Ihre Erfahrung: Taugt das Thema Tod und Sterben für den Grundschulunterricht?

Unserer Ansicht nach ja, auf jeden Fall. Es steht sogar für den Religionsunterricht auf dem Lehrplan. Oft sind es die Eltern, die Bedenken haben, dass die Kinder mit dem Thema Tod und Abschied überfordert sind und dass es sie zur sehr belasten könnte. Auch Lehrer sind oftmals unsicher im Umgang mit dieser Thematik. Sehr gut kann der Tod in Verbindung mit der Natur (Kreislauf des Lebens) behandelt werden.

Sie gehen in Schulen: Wie ist Ihre Erfahrung - wie stellen sich die Kinder dem Thema? Offen, neugierig oder eher verhalten, ablehnend?

Wir bieten unsere Unterstützung für Lehrer und Schüler nach einem akuten Todesfall in Schule an. Die Verhaltensweisen sind sehr unterschiedlich, sie sind abhängig von der Todesursache, der jeweiligen Beziehung zu der verstorbenen Person und der inneren Haltung der Erwachsenen im Umgang mit der Situation. Unsicherheit ist ein großes Thema. Wir haben sehr positive Erfahrungen gemacht und unsere Unterstützung wurde bisher als sehr hilfreich angenommen; auf Ablehnung sind wir nie gestoßen. Die Schüler sind meist neugierig, wollen alles wissen, z. B. die Unfallstelle besichtigen. Oftmals haben sie kreative Ideen, um ihrer Betroffenheit Ausdruck zu geben (Bilder malen, Holzkreuz für den Unfallort gestalten).

 

 

Was empfehlen Sie Lehrerinnen und Lehrern, die selbst eine gewisse Scheu vor dem Thema und möglichen Reaktionen der Kinder haben?

Wichtig ist zunächst die Bereitschaft für eine offene Kommunikation im Team zu diesem Thema, insbesondere in einer Akutsituation. Der eigene Standort und die innere Haltung geben den Kindern eine entscheidende Richtung. Die Bereitschaft, eigene Erfahrungen mit Abschied und Tod zu reflektieren, ist die Voraussetzung, um angemessen auf mögliche Reaktionen von Kindern zu reagieren. Sollte die Situation (z. B. in der Klasse) für einen Lehrer zu belastend sein, ist es sehr wichtig, dass aus dem Lehrerteam Unterstützung angeboten wird.

Wie geht man als Lehrer damit um, wenn ein Kind sich dem Thema im Unterricht verschließt?

Das Kind im Unterricht in Ruhe lassen. Wichtig ist auch hier, die Grenzen des Kindes wahr und ernst zu nehmen. Möglicherweise rührt das Thema in dem Kind etwas an. Sollte das Kind lange Zeit schweigen oder eventuell mit Aggressionen auf das Thema reagieren, wäre ein Gespräch mit den Eltern/mit dem Kind hilfreich. Ein Elternabend sollte auf jeden Fall zur Vorbereitung auf das Thema für die Eltern organisiert werden.

Das Angebot "Aktion Schulstunde" geht davon aus, dass man ohne konkreten Anlass über das Thema ins Gespräch kommt. Trotzdem können durch das Thematisieren plötzlich Erfahrungen der Kinder aufbrechen. Wie reagiert man als Lehrer, wenn ein Kind emotional stark betroffen ist, weint, eine große Trauer da ist, weil ein Ereignis plötzlich wieder ganz präsent ist?

Man könnte das Kind fragen, was es sich wünscht bzw. was es jetzt braucht. Vielleicht möchte es aus der Situation gehen, aus dem Raum gehen, eine Freundin mitnehmen. Es wäre eine Situation, in der man z. B. eine Kerze anzünden könnte mit der Aufforderung, eine Schweigeminute einzulegen, in der jeder an einen Verstorbenen oder eine andere traurige Situation denken kann.

Unabhängig vom Unterricht passiert es, dass ein Kind in die Schule kommt und von einem Trauerfall berichtet. Der Opa ist gestorben, oder auch - nur - das Haustier. Wie kann ein Lehrer mit der Situation umgehen? Was kann er tun?

Die Trauer benennen: ... ist jetzt sehr traurig, weil ... verstorben ist. Lasst uns alle ein Bild malen für ... . Danach könnte ein Stuhlkreis folgen, in der Mitte brennt eine Kerze, die Bilder liegen im Kreis um die Kerze herum und ein "Erzählstein" könnte von Hand zu Hand wandern …

Kann man etwas falsch machen?

Ja. Zu viel reden, zu viel fragen, zu wenig Ruhe oder Zeit geben. Und natürlich das Übergehen und Verdrängen der Thematik.

Sicherlich die schwierigste Situation: ein Kind der Klasse, der Schule oder auch ein Lehrer stirbt. Wie kann eine Klasse damit umgehen?

Wichtig ist, dass die Klasse zeitnah und in Abstimmung mit der Schulleitung, konkrete Informationen erhält. Der Trauer sollte jetzt Raum und Zei" gegeben werden! Rituale könnten in Abstimmung mit den Kinder gemeinsam gestalten werden (Kerzen, Schweigen, Gedenktisch, Bilder, Briefe, Texte schreiben etc.).

Sie arbeiten sehr viel mit trauernden Kindern. Was haben Sie aus dieser Arbeit gelernt? Mitgenommen?

Jede Trauer ist anders. Kinder brauchen Zeit und Begleitung und das Gefühl, ich bin nicht allein, ich bin ok, so wie ich bin! Oftmals sind es die Erwachsenen, die Berührungsängste mit dem Thema Sterben, Tod und Abschied haben und ihre Unsicherheit im Umgang auf die Kinder übertragen. Kinder gehen meist sehr natürlich mit dem Tod um. Sie agieren ihre Trauer auf spontane Weise aus, weil sie noch in einer ganzheitlichen, gefühlsbetonten Welt leben. In meiner Arbeit ist besonders dieser Blick mir noch einmal sehr deutlich geworden. Empathie spielt in der Begleitung von trauernden Kindern eine zentrale Rolle. Zuhören, wahrnehmen und einfach da sein, wenn Kinder trauern. Das ist wichtig!

Martina Gripp ist Sozialpädagogin, Kunsttherapeutin und die Koordinatorin und pädagogische Leitung des Vereins Trauernde Kinder Schleswig-Holstein.

 

Kontakte

Schleswig-Holstein:
Trauernde Kinder Schleswig-Holstein
www.trauernde-kinder-sh.de

Niedersachsen:
Löwenzahn - Zentrum für trauernde Kinder und Jugendliche e.V.
www.loewenzahn-trauerzentrum.de

Bremen:
Trauerland - Zentrum für trauernde Kinder und Jugendliche e.V.
www.trauerland.org

Hamburg:
Hamburger Zentrum für Kinder und Jugendliche in Trauer e.V.
www.kinder-in-trauer.de

Berlin und Brandenburg:
Kinderhilfe e.V.
www.kinderhilfe-ev.de

Hessen:
Trauernde Eltern und Kinder e.V.
www.trauernde-eltern-mkk.de

Baden-Württemberg:
Hospiz St. Martin - Begleitung für trauernde Kinder und Jugendliche
www.hospiz-st-martin.de

Bayern:
Lacrima - Zentrum für trauernde Kinder der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.
www.lacrima-muenchen.de

Nordrhein-Westfalen:
Domino - Zentrum für trauernde Kinder
www.domino-trauerndekinder.de

Rheinland-Pfalz:
Trauernde Eltern und Kinder Rhein-Main e.V.
www.eltern-kinder-trauer.de

Saarland:
Trauernde Eltern und Kinder im Saarland e.V.
www.tek-saarland.de

Sachsen:
Christlicher Hospizdienst Dresden e.V.
www.hospizdienst-dresden.de/kinder.html