Gesundheit | Beitrag | Lesedauer etwa 5 Minuten - Elektronische Patientenakte: Zuspruch oder Widerspruch?
Die Krankenkassen verschicken zurzeit Infobriefe zur elektronischen Patientenakte, die bald für alle gelten soll. Das Ziel: alle Gesundheitsdaten auf einen Blick. Doch viele Bürger sind skeptisch.
Das volle Programm in einer Akte: Arztbriefe und Befunde, Blutwerte, Medikationspläne, Zahnarztbehandlungen oder auch, wann die letzte Tetanus-Impfung war. Demnächst wird für alle gesetzlich Krankenversicherten automatisch eine elektronische Patientenakte (ePA) angelegt - wenn die nicht aktiv widersprechen. In der ePA können nach und nach solche Daten hinterlegt werden. Was soll das bringen, wer entscheidet darüber, was dort gespeichert wird, und welche Bedenken gibt es?
Was jetzt ansteht
Die Akte und die darin enthaltenen Dokumente und Daten werden nach Angaben der Verbraucherzentralen zentral auf Servern in Deutschland gespeichert und verschlüsselt. Die Anforderungen an die Datensicherheit seien sehr hoch. Technisch läuft das über die sogenannte Telematikinfrastruktur, ein in sich geschlossenes Netzwerk, an das die Akteure des Gesundheitswesens angebunden sind.
Laut Gesundheitsministerium kann niemand außer den Versicherten und denjenigen, die von ihnen zum Zugriff berechtigt wurden, die Inhalte der E-Patientenakte lesen. Was konkret darin abgespeichert wird, entscheiden die Versicherten selbst - auch in Abstimmung mit ihren Ärzten und Ärztinnen.
Die Bürgerinnen und Bürger sind zum Teil aber weiter skeptisch gegenüber der elektronischen Patientenakte. Das zeigt die am 31. Oktober veröffentlichte Umfrage der Beratungsfirma Deloitte. Zugleich sind die Zustimmungswerte weiterhin hoch. So geben 67 Prozent der Befragten an, sie würden der elektronischen Patientenakte (ePA) wahrscheinlich oder bestimmt nicht widersprechen. Ein Drittel der Befragten (33 Prozent) will wahrscheinlich oder bestimmt von seiner Widerspruchsmöglichkeit Gebrauch machen.
Wie läuft das praktisch?
Über eine Smartphone-App der jeweiligen Krankenkasse. Versicherte können darüber selbst Dokumente in der Akte ablegen, zum Beispiel Befunde oder alte Laborergebnisse einscannen und hochladen. Auch selbst geführte Tagebücher mit Blutdruckmessungen können angelegt werden. Beim Arztbesuch befüllt dieser wiederum die Akte über seinen Praxis-Computer mit Befunden zu aktuellen Behandlungen.
Außerdem laden die Krankenkassen in die Akte hoch, welche Leistungen bei ihnen abgerechnet wurden. Nachvollziehbar wird somit noch einmal schwarz auf weiß, wann welcher Arzt besucht, welche Diagnose dort gestellt oder welches Medikament wann verschrieben wurde. Die E-Patientenakte für alle, die nicht widersprechen, startet ab Mitte Januar 2025.
Was soll das bringen?
Ein Beispiel: Rentner Schulze zieht von der Stadt aufs Land, braucht dort eine neue Hausärztin und meldet sich in der neuen Praxis an. Seine Krankenkassenkarte wird ins Lesegerät gesteckt, die Praxis bekommt damit Einsicht in seine elektronische Patientenakte und der neue Arzt oder die Ärztin sehen, welche Behandlungen Schulze schon hatte oder welche Medikamente er nimmt.
Hilfreich könnte das auch bei einem Notfall sein, wenn Schulze ins Krankenhaus müsste. Die Ärzte und Ärztinnen könnten in der E-Patientenakte Vorerkrankungen erkennen oder Wechselwirkungen bei der Verabreichung von Medikamenten besser ausschließen, wenn sie sehen, welche Arzneimittel Schulze sonst regelmäßig nimmt.
Das heißt, sobald meine Krankenkassenkarte in ein Lesegerät eingesteckt wird, bin ich ein offenes Buch ...
Je nach Einstellung in der App. Dort sollen Versicherte selbst festlegen können, welches Dokument für wen sichtbar ist. Das kann zum Beispiel über Vertraulichkeitsstufen laufen: Ein Dokument in der E-Akte wird entweder als freigegeben für alle markiert, die über das Stecken der Chipkarte Zugriff haben, oder es wird nur für bestimmte Ärzte freigegeben oder als gesperrt markiert, so dass nur der Patient selbst es sehen kann. "Sie können jederzeit Inhalte einsehen, einfügen, löschen oder verbergen, Zugriffsrechte erteilen oder beschränken und Widersprüche einlegen", heißt es bei den Verbraucherzentralen.
Welche Vorteile werden noch angeführt für die E-Patientenakte?
Transparenz und eine größere Informiertheit von Patienten, weil sie selbst einen Überblick über die eigenen Gesundheitsdaten bekommen. Mit Hilfe der Daten könnte es auch leichter werden, sich Zweitmeinungen einzuholen oder gezieltere Rückfragen bei Ärzt:innen zu stellen. Angeführt wird zudem, dass Doppeluntersuchungen vermieden werden könnten. Auf Möglichkeiten im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz wird ebenfalls verwiesen.
Aber wenn ich doch lieber beim Aktenordner bleibe und eine E-Akte nicht will?
Wer die E-Akte nicht will, muss bei der Krankenkasse aktiv Widerspruch dagegen einlegen, dann wird sie gar nicht erst eingerichtet. Es soll aber auch später möglich sein, eine einmal angelegte Akte wieder löschen zu lassen.
Kritik gibt es daran, dass die Steuerung der Akte per Smartphone-App ältere oder wenig technikaffine Menschen abschrecken könnte. Betroffene können in einem solchen Fall eine vertrauenswürdige Person festlegen, die sich für sie um die technische Betreuung der Akte kümmert. Unabhängig davon besteht die Akte, wenn ihr nicht widersprochen wurde, auch ohne eigenes Zutun und wird dann hauptsächlich von behandelnden Ärzt:innen befüllt.
Sensible Gesundheitsdaten übers Handy und irgendwo zentral gespeichert - ist das nicht riskant?
Ein Risiko von Datenklau und Hackerangriffen besteht im digitalen Raum immer, somit bleibt die Nutzung solcher Technologien immer auch eine persönliche Abwägung. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) betont, die Datenverarbeitung in der E-Patientenakte erfolge "in einer auf höchstem Niveau sicherheitsgeprüften und vertrauenswürdigen technischen Umgebung". Auch die Apps seien "nach höchsten Standards sicherheitsgeprüft".
Die Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider kritisierte allerdings bei einer Diskussionsveranstaltung ihres Hauses kürzlich die Widerspruchslösung - also, dass alle automatisch eine E-Akte bekommen, sofern sie nicht widersprechen: Dies sei eine politische Entscheidung, aus datenschutzrechtlicher Sicht wäre man glücklicher mit einer Einwilligungslösung gewesen. "Dann hätten wir eine selbstbestimmte Entscheidung der Patienten gehabt und eine datenschutzrechtliche Legitimation, die in der breiten Bevölkerung auch akzeptiert worden wäre."
Ein Beitrag von SUPER.MARKT mit Material von DPA, 31.10.2024.