Tatort: Das Leben nach dem Tod - Buch: Interview mit Drehbuchautorin Sarah Schnier
Drehbuchautorin Sarah Schnier
Sarah Schnier, 1967 in Hamburg geboren, schloss ihr Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaften mit einem Master of Arts an der University of Sussex in England ab. Nach Lektoratstätigkeiten für verschiedene Verlage begann sie als Autorin für tägliche Serien wie "Marienhof" und "Die Wagenfelds" zu schreiben. Es folgte eine mehrjährige Tätigkeit als Redakteurin für Serien und Fernsehfilme bei Sat.1, u. a. betreute sie die Serien "SK Kölsch", "Die Neue" und "Kommissar Rex". Wieder als Autorin tätig, schrieb sie die Drehbücher u.a. zu "Liebe in anderen Umständen" (2009), "Barfuß bis zum Hals" (2009), "Mona kriegt ein Baby" (2013), "Zu mir oder zu dir?" (2013), "Zwischen den Zeiten" (2014, mit C. Demke), "Mein Sohn Helen" (2014) und "Für meine Tochter" (2017, mit M. Helfrich).
Das Leben nach dem Tod vereint zwei Themen: die Einsamkeit innerhalb der Großstadt und die Todesstrafe in der DDR. Wie kamen sie auf Ihre Geschichte und wie sahen Ihre Recherchen aus?
Berlin als Stadt zeichnet die Vielfalt aus – hier kann jeder seine Nische und seine Szene finden – aber es gibt eben auch wenig Verbindendes. Nicht zuletzt wegen der früheren Teilung in Ost und West, die immer noch spürbar ist. Nirgendwo in Deutschland leben und sterben so viele Menschen alleine wie in Berlin. Das hat mich beschäftigt. Was passiert, wenn ein Mensch inmitten dieser Millionenstadt verstirbt, so einsam, dass er nicht einmal als vermisst gemeldet und erst nach Wochen aufgefunden wird? Das wollte ich gerne erzählen.
Plötzlich werden Menschen, die den Verstorbenen zu Lebzeiten gar nicht kannten, mit den intimsten Aufgaben betraut: seinen Körper zu untersuchen, seinen Haushalt aufzulösen. Ärzte, Bestatter, Nachlassverwalter, oder Kommissare. Als ich für den Tatort angefragt wurde, war klar, dass ich das Thema als Ermittlungskrimi erzählen würde. Dabei wäre es für mich auch als Drama denkbar gewesen. Wahrscheinlich nicht als Komödie, wobei ich auch das nicht ausschließe, ich fasse das Genre sehr weit!
In meiner Geschichte wohnt einer der Kommissare nebenan, ohne zu merken, dass sein Nachbar schon vor Wochen verstorben ist. Er hat sich zwar nie im mindesten für ihn interessiert, reagiert jetzt aber doch betroffen, weil er die Einsamkeit des, wie sich herausstellt, Mordopfers, teilt.
Heinrich Heine hat geschrieben, dass sich unter jedem Grabstein eine Weltgeschichte befindet. Mit dem Gedanken wollte ich mich befassen, dass sich hinter dem Tod – hinter dem Mord – nicht nur ein Mordmotiv offenbart, sondern ein ganzes Leben. Ein gänzlich unbekanntes Leben. Ein Stück Geschichte. Weltgeschichte.
Da lag es nahe, tatsächlich auf Historisches zurückzugreifen. Etwas, das nicht vielen bekannt ist aber viel erzählt über Berlin und über den verschwundenen Staat, dessen Hauptstadt es mal war.
Im Zuge eines anderen Projekts hatte ich mich mit der DDR und ihrem Justizsystem befasst und dabei erfahren, dass es bis 1987 die Todesstrafe gab. Aus dieser Tatsache habe ich eine Geschichte für das Mordopfer entwickelt. Und am Ende ist das größere Rätsel womöglich nicht, wie er zu Tode gekommen ist, sondern wie und warum er gelebt hat.
"Das Leben nach dem Tod" ist ihr erstes Krimidrehbuch und das erste für die renommierte "Tatort" -Reihe. Welche Herausforderungen kamen auf Sie zu?
Ich schreibe gerne die unterschiedlichsten Genres – wenn auch mit einem Schwerpunkt auf Komödien – ich lege mich nicht so gerne fest. Entscheidend ist die Geschichte, für die muss dann das passende Genre gefunden werden – nicht umgekehrt. Die größte Herausforderung beim Krimi ist für mich, mit welcher Ökonomie die Figuren erzählt werden müssen. Sie müssen letztlich in den Dienst der Spannung und der ermittlungstechnischen Schritte und der Logik gestellt werden.
Ich habe gerne Raum für die Figuren und den historischen Hintergrund, aber da sind einem klar Grenzen gesetzt. In der Komödie ist es anders, da ist der Charakter die Geschichte, er gibt sie vor.
Ich hatte mit Dorothea Seeger und Ernst Ganzert von der Eikon Media und unserem Regisseur Florian Baxmeyer tolle, Tatort-erfahrene Partner, von der Redakteurin Josephine Schröder-Zebralla ganz zu schweigen. Sie haben mir vermittelt, was bei dieser Reihe und diesem Team zu beachten ist. Und dass ein Sendeplatz Anforderungen an die Bucharbeit mit sich bringt, ist mir nicht neu.
Wie bereiten Sie sich vor, um die Vorgeschichte von Rubin und Karow so gut zu kennen, dass der nun zehnte Fall nahtlos anschließt? Was ist für Sie das Alleinstellungsmerkmal der Berliner Kommissare?
Ich habe mir natürlich alle vorherigen Filme angesehen. Das Berliner Team ist im Tatort-Kosmos ein frisches, mein Fall ist erst der zehnte. Das ist ein wenig bestelltes Geschichtenfeld, was befreiend ist. Dazu noch Berlin als Spielort und als Protagonist mit seiner Vielfalt an Szenen und Menschen – ich habe das als großen Vorteil empfunden.
Nina Rubin und Robert Karow sind einfach cool. Meret Becker als Rubin verkörpert mit ihrer Mischung aus Schnodderigkeit und Seele auf besondere Weise die Stadt Berlin, das habe ich beim Schreiben jedenfalls so empfunden. Und Mark Waschke als Karow ist faszinierend und unergründlich, auch das ist Berlin, eine Stadt, die sich immerzu im Wandel befindet: Obwohl ich schon lange hier lebe, werde ich wahrscheinlich nie sagen können, dass ich sie so richtig kenne.