Ist mein Partner glücklich? Ist mein Kunde zufrieden? Sieht die Frisur wirklich gut aus? Schwer zu sagen. Denn: Wir belügen uns selbst, und andere. Aus Angst und wegen des sozialen Drucks. Mehrmals am Tag. Ehrlich bleibt oft nur unsere Mimik. Wer Zucken, Blinzeln und Räuspern richtig interpretiert, kommt den Lügen auf die Schliche... Von Vanessa Reske
Ein Beispiel: "Willst du deine Brötchenhälfte noch essen oder kann ich die haben?", fragt Dirk Eilert seine sechsjährige Tochter beim Frühstück. Sie antwortet: "Ja, Papa", schüttelt dabei aber unterbewusst den Kopf. Ein Hinweis. Dirk Eilert fällt ein, dass seine Tochter das Wohl anderer oft vor ihr eigenes stellt. Zählt er diesen Charakterzug und die Mimik des Mädchens zusammen, kann er als Mimik-Experte mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen: Die Sechsjährige ist nicht ehrlich. Sie will die Brötchenhälfte doch behalten.
Lügner - die vier Typen
Der Angsthase
Verheimlichen von Emotionen
„Liebst du mich?“, fragt Anna. „Nein, wir sind doch Freunde.“, sagt Paul. Er lügt. Natürlich liebt er Anna - nur heimlich. Doch er möchte nicht, dass sie seine Gefühle kennt. Aus Angst vor ihrer Reaktion verheimlicht er seine Emotion.
Der Arschkriecher
Verfälschen von Emotionen
„Natürlich freue ich mich auf das Wochenende mit deinen Eltern, Liebling!“ Natürlich. Karl würde das Wochenende lieber mit seiner Freundin Julia allein verbringen. Um ihr ein gutes Gefühl zu geben, spielt Karl Freude vor. Er verfälscht seine Emotion.
Der Betrüger
Verheimlichen von Fakten
Sven hat mit Laura geschlafen. Dabei ist er mit Katrin zusammen. Natürlich erzählt er Katrin nichts davon. Fremdgehen macht sich nicht so gut. Er verheimlicht die Fakten.
Der Hochstapler
Verfälschen von Fakten
Jana hat zwischen Bachelor und Master zwei Jahre verstreichen lassen, ohne sich beruflich zu engagieren. Um bei der Jobbewerbung einen besseren Eindruck zu machen, macht sie im Lebenslauf falsche Angaben. Sie hätte sich in dieser Zeit sozial engagiert.
Faszination Durchschaubarkeit
Um einer Lüge auf die Schliche zu kommen, hat die Wissenschaft schon etliche Verfahren ausprobiert. Die Analyse der nonverbalen Reaktionen des Körpers gilt als erfolgreichste Entlarvungsstrategie. Man braucht keinen Lügendetektor, um Hinweise auf Unstimmigkeiten zu erkennen. Dirk Eilert ist fasziniert, wie leicht es geht, Menschen aus dem Gesicht zu lesen.
„Wer eine Lüge durch Mimikanalyse prüft, liegt mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent richtig“, betont er. Dabei entwickelte sich Eilerts Faszination für kleine Falten erst in späteren Jahren. Erst nach seinem Masterstudium der Wirtschaftspsychologie begann er, sich mit der Lehre des "FACS"-Coding auseinanderzusetzen. Die Fächer Sozialpsychologie, Statistik und Soziologie weckten seine Neugierde für Mikroexpressionen. Er hängte eine Coachingausbildung an und machte sich im Jahr 2002 als Mimikexperte selbstständig.
Facial Action Coding System
Das "Facial Action Coding System" (FACS) ist ein wissenschaftlich basiertes System, um Mimik zu decodieren. Der US-amerikanische Psychologe Paul Ekman veröffentlichte "FACS" im Jahr 1978. Auf dieser Basis werden weltweit wissenschaftliche Mimikanalysen durchgeführt. Mehr Infos gibt es hier.
Die Muskeln sind schuld
Wie wir uns fühlen, verraten die mimischen Muskeln. Diese Muskelgruppe ist direkt mit dem Emotionszentrum im Gehirn verbunden und spiegelt unsere innere Gefühlswelt wieder - wie ein offenes Buch. Wir lachen, weinen, schmunzeln, runzeln und blinzeln. Die sieben Basisemotionen, die dahinter stecken, hat der US-amerikanische Psychologe Paul Ekman empirisch nachgewiesen: Ekel, Ärger, Angst, Traurigkeit, Freude, Überraschung und Verachtung. Um zwischen den Falten zu lesen, hat er daraufhin mit Wallace Friesen jeden Gesichtszug, jede Furche und Falte 1978 wissenschaftlich bezeichnet. Mit ihrem „FACS - Facial Action Coding System“ entstand ein weltweit verbreitetes Codierungsverfahren zur Beschreibung von Gesichtsausdrücken. Es dient international als Grundlage für wissenschaftliche Studien in der Mimikforschung.
Kurz auf die Stirn geschrieben
Dass es bei der Mimikanalyse um Minimomente geht, wissen Emotionspsychologen seit der Studie von Ernest A. Haggard und Kenneth S. Isaacs im Jahr 1966. Beim Analysieren zahlreicher Filmaufnahmen von Therapiesitzungen entdeckten sie die Mikroexpressionen - Ausdrücke, die nur in Bruchteilen von Sekunden über das Gesicht huschen. Heute nutzt man Mikroexpression, um Lügen aufzudecken.
Versteckte Botschaften konnte Dirk Eilert so auch beim Flirten entdecken. Im rbb-Film "Reden ohne Worte – Wenn der Körper spricht" hat er damals gemeinsam mit dem rbb Fernsehen eine Flirtstudie durchgeführt. Hier geht's zur Flirtstudie.
Zwischen den Falten lesen – so geht's
Lügen stresst - Beruhigungsgesten
Bei den meisten Lügnern rast der Puls. Den entstehenden Stress unterdrücken sie häufig mit Beruhigungsgesten: Kratzen im Gesicht, Lippen lecken, mit den Händen spielen, das Gegenüber bei der Hand nehmen oder mit einem Stift rumspielen. Die Berührung von sich selbst, anderen Personen oder Gegenständen kann auch ein Zeichen von Langeweile sein, denn auch die löst Stress aus. Zeichen für Stress sind außerdem eine erhöhte Blinzelrate, gepresste Lippen und versteifte Bewegungen, die der Gestresste versucht zu kontrollieren.
Abweichungen im Normalverhalten
Seltsames Verhalten ist ein gutes Indiz für Täuschung. Lebhafte Quasselstrippen werden plötzlich ruhig. Oder schüchterne Mauerblümchen reden laut, schnell und holen verdächtig weit aus. „Wer sich anders benimmt als sonst, hat in der Regel etwas zu verbergen.“, sagt Eilert. Am einfachsten fällt das natürlich bei guten Freunden oder Bekannten auf.
Anstrengung - kognitive Ladungen
Eine ausgefuchste Lügengeschichte erfordert Konzentration. Man muss sich anstrengen, um die richtigen Worte zu finden und das kann man sehen. Zusammengezogene Augenbrauen, Anspannen der unteren Augenlider, Pressen und Schürzen der Lippen und eine verringerte Blinzelfrequenz (weniger als 10 Mal pro Minute) deuten auf den Anstieg der mentalen Anstrengung hin. Gut testen kann man Lügen durch unerwartete Nachfragen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit für extrem lange Sprechpausen und viele Füllwörter, die den Lügner verraten. Insgesamt nimmt die Gestik ab und man bewegt sich weniger.
Dirk Eilert
Meta-Emotionen: Angst
Emotionen, die beim Lügen oft ausgelöst werden sind: Angst, Schuld und Freude.
Angst, erwischt zu werden oder als Lügner dazustehen, ist die Emotion, die beim Lügen am häufigsten auftritt. Angsthasen werden oft panisch, beunruhigt, erschrocken, verängstigt, besorgt, angespannt oder nervös. Die prototypische Angstmimik sind nach oben und zusammengezogene Augenbrauen, hochgezogene obere Augenlider, angespannte untere Augenlider und nach außen gespannte Lippen. Genauso deutet Körpersprache auf Angst hin. Ängstliche Personen erblassen, atmen schneller, weichen mit Kopf und Körper zurück, sind in der Muskulatur angespannt und erstarren förmlich. Auffällig verändert sich dabei auch die Stimme. Sie wird höher, schneller und verändert ihre Sprechlautstärke.
Dirk Eilert
Meta-Emotionen: schlechtes Gewissen
Emotionen, die beim Lügen oft ausgelöst werden, sind: Angst, Schuld und Freude.
Je enger die Beziehung zum Gesprächspartner, desto größer das mögliche schlechte Gewissen bei einer Lüge. Schuldgefühle bewirken gesenkte Mundwinkel und gehobene Innenseiten der Augenbrauen. Oft hebt sich auch der Kinnbuckel. Wer sich schuldig fühlt, unterbricht häufig den Blickkontakt, senkt den Kopf oder versteckt das Gesicht hinter seinen Händen.
Dirk Eilert
Meta-Emotionen: Freude
Emotionen, die beim Lügen oft ausgelöst werden, sind: Angst, Schuld und Freude.
Wer bei Aprilscherzen versucht, seine Schadenfreude zu unterdrücken, verrät sich. Zum Beispiel durch Pressen der Lippen oder Herunterziehen der Mundwinkel. Auch im Ausdruck der Augen lässt sich Freude nicht verbergen.
Widersprüche in der Körpersprache
Ein typisches Beispiel für Widersprüche in der Körpersprache: "Ja" sagen und gleichzeitig leicht den Kopf schütteln. Asymmetrie zeigt sich bei aufgesetztem Verhalten auch im Gesicht: Ein echtes Lächeln ist symmetrischer als ein vorgetäuschtes. Bei der gespielten Geste machen nicht alle Muskeln mit. Zum Beispiel streiken beim künstlichen Lächeln die Augen. Ein Ausdruck ist aufgesetzt, wenn er abrupt ein- und aussetzt. Auch falsches Timing verrät, ob Gefühle echt sind. "Freuen wir uns über eine Begegnung auf der Straße, huscht die Freude über das Gesicht, bevor wir grüßen.", sagt Eilert.
Tarntracht, Kuckucks-Kinder, Nestraub - ganz schön hinterlistig, wie Tiere tricksen, lügen und betrügen. Wissen Sie, welches Tier fremd geht? Wer seine Artgenossen betrügt?
Pseudologen sind hochkreative, phantasiebegabte Menschen. Sie lügen zwanghaft - täuschen oft Persönlichkeiten vor. Viele haben kein Empfinden dafür, dass sie etwas Unrechtes tun. Von Vanessa Reske
"Lügen haben kurze Beine", sagt der Volksmund. Wer lügt, kommt also nicht weit. Und trotzdem macht es jeder. Mal sind es nur kleine Schummeleien und mal auch Lügen aus Verlegenheit oder um Konflikten aus dem Weg zu gehen.
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