Konzertkritik | The Notwist - So einen wilden Mix kriegt man auch in Berlin nicht alle Tage

Di 23.04.24 | 08:37 Uhr
Archivbild: The Notwist bei einem Live-Konzert. (Quelle: dpa/Camara)
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Audio: rbb24 Inforadio | 23.04.2024 | Jakob Bauer | Bild: dpa/Camara Download (mp3, 4 MB)

Die Band "The Notwist" aus Weilheim gehört immer noch zu den großen, deutschen Indie-Gruppen. Am Montag haben die Oberbayern im Berliner Columbia-Theater gespielt, Jakob Bauer würde glatt nochmal hingehen.

Auf der Bühne des Berliner Columbia-Theaters steht alles bereit, was man für ein klassisches Rock-Konzert halt so braucht: Schlagzeug, Gitarre, Bass und – hier wird’s dann schon ein bisschen ungewöhnlicher – ziemlich viele Synthesizer und anderer Elektronik-Kram. Dazu: So eine Art Harmonium in einem Koffer, ein Alt-Saxofon und ein Riesen-Vibraphon.

Der Bühnenaufbau gibt die Richtung vor, das hier wird offensichtlich mehr als ein klassisches Rock-Konzert. Und als The Notwist zu siebt, ganz unauffällig und leise, die Bühne betreten und beginnen, ihr erstes meditatives Klang-Gebilde aufzubauen, ist es eher eine sanfte Willkommens-Umarmung als ein lautes "Hier sind wir".

Christoph «Cico» Beck (l-r), Micha Acher und Markus Acher sind die Mitglieder der Band The Notwist. (Quelle: dpa-Bildfunk/Gerald von Foris)
Bild: dpa-Bildfunk/Gerald von Foris

Nougat in den Ohren

The Notwist haben in den 90ern als schrammelige Indie-Rock Band begonnen, aber seit Anfang der 2000er haben sie einen bestimmten Sound entwickelt, der sie seit Jahrzehnten zu Lieblingen deutscher Musik-Fans und des Feuilletons macht. Eine Mischung aus pluckernder Elektronik und zittrigen Beats, leicht entrückte, melancholischen Melodie-Linien, das – vor allem live – immer präsente Vibraphon, das für die warme Grundstimmung sorgt und natürlich die Stimme von Frontmann Markus Acher. Eine Stimme wie warmer Nougat, der in die Gehörgänge reinfließt.

Vom Blubber-Bad zum Hardcore-Punk

Man kann da zunächst ganz wundervoll versunken mitschwingen, aber immer wieder auch mehr. Denn zum Konzept der Band gehört, dass das Sphärische, Sanfte regelmäßig von krachigen, ekstatischen Passagen gebrochen wird. Und das ist es auch, was dieses Konzert so einem Live-Erlebnis macht. Denn ungefähr nach einem Drittel des Abends denkt man sich vielleicht: Gut, jetzt plätschert es doch etwas sehr vor sich hin und sie verlieren sich in ihrem blubbernden Soundteppich, aber dann wird der eingerollt und aus dem samtenen Klang wird: Experimenteller Free-Jazz, dann kratzbürstiger Indie-Rock, bombastische Elektronik, wobbelnder Dub, Live-Techno und zum krachenden Höhepunkt des Abends haut die Band tatsächlich einen Song aus ihrer Frühphase raus – da haben sie noch Hardcore-Punk gemacht. Und so einen wilden Mix, der sich trotzdem zu einem großen Ganzen zusammenfügt, das kriegt man auch in Berlin nicht alle Tage.

Publikum und Band surfen die Welle

Die Sieben da vorne sind keine Rampensäue, sie sind konzentriert und dauernd in Absprachen miteinander, kucken sich an, die Blicke sagen wohl sowas wie: Wie lange steigern wir jetzt noch diesen Klang, wann lassen wir es wieder ruhiger werden, soll ich jetzt einsetzen? Aber trotz dieses Fokus‘ auf die Musik ist die Band nie verkrampft, sondern voller Spielfreude und voll drin. Jeder hat irgendwas zum Draufklöppeln, um noch eine Klangschicht mehr draufzupacken, regelmäßig wechseln sie Instrumente, der Elektroniker kann genauso sägende Gitarre spielen, wie wuchtige Sound-Wände bauen, das Vibraphon kann man mit einem Geigenbogen bespielen und manchmal kann man dann auch gar nicht mehr zuordnen, wo eigentlich welcher Klang gerade herkommt.

Und obwohl die Bandmitglieder kein einziges Mal wirklich von der Bühne heruntersprechen, kommunizieren sie trotzdem pausenlos: Das Publikum folgt dem Wellengang der Band, wiegt sich auf den Klangflächen, tanzt ruckartig zum Krautrock, wird wild zum Punk und ist am Ende ganz still und aufmerksam, wenn nach der fünften Zugabe dann doch wieder ein ganz sanftes Instrumental dieses Konzert beendet. Auf Platte kann man bei "The Notwist" zugegebenermaßen schonmal abschweifen. Live schillert diese Band so schön zwischen Schlafzimmer-Pop und Noise-Gemetzel, dass man eigentlich gleich morgen nochmal hingehen und neue Facetten dieser live so unglaublich guten Band finden will.

Sendung: rbb24 Inforadio, 23.04.2024, 7.00 Uhr

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