Funktionaler Analphabetismus - Richtig lesen und schreiben lernen - mit 54 Jahren

So 21.04.24 | 08:11 Uhr
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Symbolbild:Eine Teilnehmerin eines Alphabetisierungskurses arbeitet an einer Sprachübung.(Quelle:picture alliance/dpa/M.Hitij)
Video: rbb|24 | 19.04.2024 | Material: rbb24 Abendschau, rbb24 Brandenburg aktuell | Bild: picture alliance/dpa/M.Hitij

In Brandenburg können laut einer Studie über 180.000 Menschen nicht richtig lesen oder schreiben. Das Verschleiern kostet Kraft, sich zu offenbaren enorme Überwindung. Ramona stand kurz vorm Burn-out, und hat sich getraut. Nun will sie anderen helfen.

Formulare ausfüllen, E-Mails lesen oder eine Geburtstagskarte schreiben - für Ramona Harzmann aus dem Kreis Elbe-Elster waren diese alltäglichen Dinge lange Zeit ein absoluter Spießrutenlauf. Über 50 Jahre hat es gedauert, bis sie offen darüber sprechen konnte.

Nur wenige Menschen wussten bereits davor, dass ihr Lesen schwer fällt und Schreiben große Probleme bereitet. Das lag vor allem an der Scham. Über die Jahre hatte Ramona verschiedenste Wege gefunden, damit niemand etwas mitbekommt.

Kleinere Texte ließ sie sich oft vorlesen. "Ich habe meistens gesagt, dass ich die Brille vergessen habe", erzählt die 54-Jährige. Eine Freundin half ihr bei wichtigen Formularen, bei der Arbeit lernte sie vieles auswendig. So habe auch ihr Chef jahrelang nichts geahnt, erzählt sie.

Doch das ständige Verheimlichen zehrte an den Nerven. Ein Burn-out zwang Harzmann zum Umdenken. Sie musste offen über ihre Probleme sprechen. "Mein Chef ist aus allen Wolken gefallen, weil er gar nicht geahnt hatte, dass es mir so schwerfällt", sagt sie. Er konnte demnach kaum glauben, dass Harzmann das alles so lange geheim halten konnte.

Hilfsangebote

Das ALFA-Mobil ist Projekt des Bundesverbands Alphabetisierung und Grundbildung e.V., wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und ist deutschlandweit unterwegs. Es ist vor allem für Erwachsene da, die ihr Lesen und Schreiben verbessern wollen.

Am 10. und 11. Juni macht es auch in Cottbus halt - Ort ist Messe Cottbus, Vorparkstraße 3, 03042 Cottbus, als Infostand auf dem 29. Deutschen Präventionstag

Beim ALFA-Telefon gibt es Hilfe zum Lesen und Schreiben lernen. Infos dazu gibt es kostenlos unter 0800 53 33 44 55.

 

Es beginnt meist in der Schule

Sabine Rau vom Grundbildungszentrum Elbe-Elster hat seit Jahren Kontakt zu funktionalen Analphabeten wie Ramona. Also zu Menschen, deren Fähigkeiten in Bezug auf Lesen und Schreiben zwar in Teilen vorhanden sind. Deren Fähigkeiten aber nicht ausreichen, um voll und ganz am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.

"Ich glaube, das große Problem liegt darin, dass Lesen und Schreiben ausschließlich in der ersten Klasse unterrichtet wird", sagt Rau. "Wer da als kleiner Zwerg den Anschluss nicht kriegt, dem fällt es in der Regel sehr schwer, mithalten zu können."

Auch Ramona Harzmann hatte als junge Schülerin Probleme im Unterricht. In der DDR sei sie auf eine Hilfsschule gegangen. "Da habe ich gesagt gekriegt, ich werde mal Toilettenfrau."

Doch die 54-Jährige konnte sich trotz der Stigmatisierung behaupten. Bis zu einer Krebsdiagnose vor einem Jahr war sie als Anlagenführerin angestellt. Jetzt holt sie das, was sie während der Schulzeit verpasst hat, an der Volkshochschule nach.

Gleichzeitig will Harzmann anderen Menschen helfen, ihren Weg zu finden, sich Hilfe zu suchen, um entspannter leben zu können. Dafür ist sie jetzt als Lernbotschaftlerin mit dem "ALFA-Mobil" unterwegs.

Das mobile Informationsangebot macht in unterschiedlichen Städten Halt, um Betroffene zu erreichen. "Ich will erzählen, dass es auch Hilfe gibt, dass man sich dafür nicht schämen muss", sagt Ramona Harzmann. Und: "Ich verheimliche nichts mehr, ich bin über diese Punkt hinaus."

Sendung: Antenne Brandenburg, 18.04.2024, 16:40 Uhr

18 Kommentare

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  1. 18.

    Richtig und genau das möchte ich doch nur, das Eltern ihre Kinder auch wirklich unterstützen beim Lernen, beim erklären von Rechenaufgaben z.B. nichts anderes habe ich geschrieben.

  2. 17.

    Hier gibts offenbar viele, die nicht arbeiten, aber ein Pädagogikstudium nebst Germanistik beendet haben - und die Kinder somit nachmittags unterrichten können, in der Schule machen sie ja dann singen und klatschen... nein! Es gibt SchulPFLICHT und dazu gehört ein Bildungsauftrag dieser unserer Bundesregierung und deren Vorgängern. Es wird sicher auffallen, dass ich des Deutschen mächtig bin, aber NICHT, Erstklässlern folgendes beizubringen:
    - 1. Schuljahr schreiben nach gehör, DRUCKschrift in Großbuchstaben, Tintenroller
    (Laufdiktate, Kreuzworträtsel, Floh-Tests, aber KEINE Anleitung, wie man liest/lesen lernt)
    - 2. Schuljahr schreiben nach Duden, SCHREIBschrift, Füller
    - 3. Schuljahr: neue Schreibschrift
    - 4. Schuljahr: egal welche Schrift... Förderunterricht, die Sch... der ersten Jahre auszubügeln.

    Schaffen die meisten Eltern übrigens nicht.

  3. 16.

    Es ist schade das es so viele Menschen gibt die nicht richtig schreiben und lesen können. Ich selbst kann es auch nicht richtig ich habe immer Angst wenn ich auf Arbeit etwas ausfüllen muss, Man muss immer aufpassen das es keinen aufhält, Das ist ganz schön schwer!
    Meine Eltern haben sich nicht darum gekümmert das wir lesen oder schreiben können, Bei meinen Kindern habe ich es aber geschafft das sie es können.

  4. 15.

    Stimmt alles, dennoch sind Eltern nun mal keine Lehrer. Sie können nur üben, was in der Schule gelehrt und gelernt wurde. Kinder, die andere Schulsysteme und andere Sprachen gewohnt waren, benötigen zudem eine spezielle Förderung, die Eltern oft nicht leisten können.

  5. 14.

    Bin mal brutal ehrlich, wenn Eltern es nicht hinkriegen oder es verweigern ihren Kindern mithilfe der Schule (Die Eltern sehen ja wie die Kinder die Schulaufgaben erledigen in Arbeitsheften, oder auf Arbeitsblättern), die Unterrichtsinhalte der ERSTEN Klasse beizubringen, oder dabei zu helfen dann sollten diese Eltern keine Kinder kriegen.

    Ich finde es auch sehr schade das Bücher nicht mehr den gleichen Stellenwert haben wie früher, sobald bei Kindern zuhause, als auch in Kitas.

  6. 13.

    Ja na klar haben Kinder erst einmal Glück bzw. Pech gehabt, wenn ihre Eltern die notwendigen Fähigkeiten haben oder eben nicht. Die Frage ist was macht man aus diesen Unterschiedlichen Grundvoraussetzungen als Kita, als Schule, als Hort oder sonstigen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen.
    Sie haben Recht, Schulen haben diesen Bildungsauftrag, aber es wird nur erfolgreich sein wenn die Eltern partnerschafftlich mithelfen. Wenn sie allerdings sagen würden z.B. Hausaufgaben machen muss mein Kind nicht, oder wenn mein Kind erst zur 2. Stunde kommt ist das auch in Ordnung, oder wenn Eltern untereinander schlecht über die Lehrer reden und das die Kinder hören dann ist das nicht hilfreich.
    Das waren Beispiele die Eltern mir so gesagt haben. Bin kein Lehrer, sondern nur Horterzieher

  7. 12.

    Nehmen Sie Kontakt mit Betroffenen auf. Das ist der einfachste Weg zum Verständnis.

  8. 11.

    Die gen.Zahl der 180T schwer- oder nicht-Lesen-u-Schreiben-Könnenden Erwachsenen allein im BL Bbg sind quasi schon eine Großstadt! Hinzu kommt, dass jedes Jahr allein in der BRD ca. 200 T Schüler die Schule ohne Schulabschluss verlassen. Man kann sich fragen warum. Ich denke schon, dass man die Ursachen nicht außerh.der Famiie suchen sollte, sondern sich selbst als Eltern fragen muss, was habe ich meinem/meinen kind/ern mit auf den Weg ins Leben gegeben? Jeder kann sich in der Dokumentationsreihe "Die Kinder von Golzow" des Regisseurehepaares Junge ansehen, was bereits am ersten Schultag in der DDR-Schule passierte, die Kinder konnten immerhin schon A in die Luft malen. Nicht so viel Bedenken haben: Fordern! Und Fördern, das ist das A und O. Wenn ich natürl. die ständig steig. Kindergeldzahlungen für sonst'was investiere, aber nicht in die Bildung der Kinder, dann braucht man sich nicht zu wundern. Früher musste es pro Kind sogar mit nur 20 Mark/Euro gehen. Dennoch sind die eV wichtig!

  9. 10.

    Natürlich sind auch die Eltern in der Pflicht, ihre Kinder beim Lernen zu unterstützen. Das setzt allerdings voraus, dass die Eltern selbst entsprechende Kompetenzen haben, und das ist leider nicht immer der Fall. Zudem wurden in den letzten Jahrzehnten vielfach neue Lehr- und Lernmethoden ausprobiert. Mal lernten die Kinder zum Beispiel Lesen durch Buchstabieren und mal dadurch, das Schriftbild zu erfassen. Da wird es auch schwierig, wenn die Eltern selbst es auf andere Weise gelernt haben als es gerade in ist.
    Schade finde ich, dass das Buch bei Kindern gegenüber anderen Medien immer mehr in den Hintergrund rückt. Durch Vorlesen und selbst zu lesen erlernt man Fähigkeiten und festigt sie.

  10. 9.

    Nach Ihren Vorstellungen sind Kinder von den Ressourcen ihrer Eltern abhängig. Kinder mit Eltern, die sehr gut lesen können und die Fähigkeiten besitzen sich besonders um Ihre Kinder zu kümmern, haben großes Glück. Kinder, deren Eltern nicht gut lesen und rechnen können, die vielleicht weniger empathisch und nicht sehr geduldig sind, haben dann Pech gehabt?
    Es gibt eine Schulpflicht. Es gibt Lerninhalte und die Ziele des Erwerbs verschiedener Kompetenzen, genau für diese sind die Schulen verantwortlich. Diese Verantwortung ist in Gesetzen, Verordnungen usw. dargelegt. Die Eltern sollen im Rahmen dieser Verantwortung auf partnerschaftlicher Ebene (ja, so steht es im Gesetz in Brandenburg) zusammenarbeiten.

  11. 8.

    Erst einmal das ihr Kind krank wurde wünscht man keinem. Hat allerdings rein gar nichts mit meiner Nachricht zu tun.
    Ja die Schule ist dazu da IHREM Kind Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen, ABER sie MÜSSEN genauso wie die Schule dazubeitragen, das ist ihre PFLICHT.

  12. 7.

    Das sehe ich auch so. Schreiben nach Gehör und ähnliche Faxen in der Schule sind kontraproduktiv. Gleiches gilt für Gendersternchen. Wer schon Probleme hat - angesichts der Zahlen sind das nicht wenige Menschen, sondern vielleicht mehr, als die Anzahl von Genderfanatikern - der wird es dadurch mit dem Lesen und Schreiben noch schwerer haben. Ich wünsche den Menschen viel Erfolg, die sich nochmal mit Ausdauer und Willen dieser Herausforderung stellen und den anderen Menschen eine ordentliche Portion Empathie. Es schadet nicht, wenn man fragt, ob man helfen kann und es es auch dann weiterhin versucht, wenn man abblitzt.

  13. 6.

    Ich habe glücklicherweise schon vor der Schule lesen gelernt. In meiner DDR-Stadt gab's keine Vorschule. Mir ist es vollkommen unerklärlich, wie man ohne Lesen und Schreiben durchs Leben kommt. Der Aufwand, dieses zu verschleiern, scheint mir erheblich größer, als es irgend und irgendwann zwischendurch zu lernen. Kann das jemand erklären?

  14. 5.

    Falsch, auch Eltern haben die Pflicht, ihren Kindern auch in Sachen Bildung, Lesen, Schreiben und Rechnen auf ihrem Weg ins Leben zu helfen. Scheinbar ist es in D zur Mode geworden, Kinder in die Welt zu werfen und alle Verantwortung dann auf den Staat zu schieben. Dann sollten solche Leute besser keine Kinder mehr machen und sich ihrem eigenen kaputten Ego widmen.

  15. 4.

    Was ist denn Ihrer Meinung nach die Aufgabe der Eltern? Für die Erziehung oder und die Unterstützung beim Lernen? Vielleicht sollte man mal vom Gedankengut die Schule muss alles übernehmen runterkommen. Wer keine Unterstützung im Elternhaus bekommt wir nicht weit kommen.

  16. 3.

    Nein! Eltern sind nicht dafür da, den Kindern lesen und schreiben beizubringen, weil es Schulen genau deswegen gibt!! Das ist der Job der Schule!

    Mein Kind erkrankte nach 4 Wochen Schule in der 1. Klasse schwer. Als sie viel später wieder zur Schule kam, konnten die anderen bereits lesen und rechnen. Die Lehrer haben sich null Gedanken dazu gemacht, es war ein jahrelanger Spießrutenlauf für Kind und Eltern! Ich bin froh, dass DAS nächstens nach dem Abi endlich ein Ende hat. Übrigens ohne je GUT lesen zu können. Ich selber bin in der 1. Klasse in 3 Schulen in NRW wg. Umzügen gewesen, in der 1. nur Schwungübungen, in der 2. konnten alle bereits lesen und schreiben, in der 3. Ganzwort-/Ganzheitsmethode. Ein WUNDER, dass ich (gerne) lese, Rechtschreibung habe ich nach dem Abi mit Deutsch LK anhand des Dudens gelernt.
    Ich kenne leider die Klippen des Lesenlernens und wünsche daher allen Spätanfängern ganz viel Erfolg und Nerven, Ihr schafft das!!

  17. 2.

    Kürzlich hätte ich bei Günther Jauch garantiert als Schulabgänger 1951 eine falche Antwort bei einer Rechtschreibfrage eine falsche Antwort gegeben. In den vielen Jahren wurde der Duden als Rechtschreibgrundlage so oft aktualisiert, dass man vieles nicht mehr richtig schreibt. Diese Problematik erschwert das Lernen bei älteren Menschen zusätzlich. Hinzu kommen immer wieder neue Wörter, deren Inhalt ich leider auch nicht erklären kann. Muss das sein? Ich habe Achtung vor den Älteren,die sich trotzdem noch das Lesen und Schreiben aneignen,um besser im Leben voranzukommen(voran zu kommen).

  18. 1.

    "Ich glaube, das große Problem liegt darin, dass Lesen und Schreiben ausschließlich in der ersten Klasse unterrichtet wird".

    Diese Aussage macht mich echt wütend, sollen die Kinder in der 10. Klasse noch lesen üben... wie wäre es denn wenn wir nicht ständig die Schulen für alles verantwortlich machen würden. Die Eltern sollten sich endlich mal um ihre Kinder kümmern und ihnen die wichtigen Dinge beibringen...

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