Russlands Präsident Wladimir Putin. Bild: Sergei Karpukhin/Pool Sputnik Kremlin
Pool Sputnik Kremlin
Bild: Pool Sputnik Kremlin

- Putins Krieg: Soldaten als menschliche Munition

Gefesselt an einem Baum, eingepfercht in Erdlöchern, nackt bei Minustemperaturen – so sollen russische Soldaten gefügig gemacht werden. Es sind brutale Bilder aus dem Innenleben der russischen Armee, die Kontraste vorliegen. Derartige Gewalt habe System in Putins Krieg, sagen russische Menschenrechtsaktivisten. Soldaten werden wie menschliche Munition eingesetzt. Das kurzfristige Kalkül offenbar: Der Ukraine geht schneller die Munition aus als Russland die Menschen. Russen, die nicht für Putin an der Front kämpfen wollen und in Deutschland Schutz suchen, werden hierzulande oft im Stich gelassen. Nur wenige bekommen Asyl.
 
Beitrag von Pune Djalilevand, Daniel Laufer und Carla Spangenberg

Anmoderation: Oft wird der Krieg in der Ukraine als Materialschlacht beschrieben, die wohl von dem für sich entschieden wird, dem zuletzt die Munition ausgeht. Wer aber - wie unsere Reporter - ins Innenleben der russischen Armee blickt - der bemerkt, wie wenig das Kriegsgeschehen mit dem Pomp und der Ehrerbietung von Putins Paradeauftritten zu tun hat: Sein Militär geht nahezu verschwenderisch mit der kostbarsten Ressource überhaupt um: Denn ein Menschenleben zählt dort wenig. Man behandelt die eigenen Soldaten oftmals fast so, als wären sie die Feinde…

Vor einem Jahr: Der inzwischen tote Söldnerführer Prigoschin verkündet die Einnahme Bachmuts. Sie geht mit hohen Verlusten einher: Prigoschin behauptet, er habe in diesem Kampf allein 20.000 Wagner-Söldner verloren.

Heute, ein Jahr später, verläuft die Front nur wenige Kilometer weiter westlich.

Russlands Vormarsch geht nur langsam voran und wird mit einem hohen Blutzoll erkauft.

In Massenangriffen werden russische Soldaten reihenweise wie menschliche Munition verheizt, erklärt Militärökonom Marcus Keupp:

Marcus Keupp, Militärökonom Militärakademie Zürich

"Wenn vorne 100 Leute draufgehen, kein Problem, dann schicken sie die nächsten 100 nach und die heben dann die Gewehre und die Waffen der gefallenen Vorgänger auf und dann die nächsten 100 und dann die nächsten 100 usw., so lange, bis irgendwelche Leute durchdringen und sich dann vorne an der Front eingraben(...) Wenn ich es auf einen Satz bringen möchte, dann ist das Kalkül, der Ukraine geht schneller die Munition aus als uns, die Menschen."

Viele Soldaten, die heute auf russischer Seite kämpfen, waren vor wenigen Monaten noch Häftlinge. Einer von Ihnen: Michail Maltsew. Im September 2023 soll er begnadigt und dann an die Front in den Südosten der Ukraine geschickt worden sein. Diese Bilder zeigen ihn dort offenbar als Teil der Luftlandetruppen. Drei Monate später nimmt er diese Videobotschaft auf.

Maltsew

"Die Verwundeten werden nicht mal abtransportiert, sie werden höchstens zusammengenäht und dann nach einer Woche wieder in die Schlacht geschickt. Die Leichen unserer Jungs liegen hier rum, sie werden nicht abgeholt, sie verrotten. Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie deren Leichen verwesen. Jungs, bleibt besser zu Hause, sitzt eure verdammte Zeit im Knast ab."

Nur wenige Tage nach Veröffentlichung seiner Videobotschaft soll Maltsew wie Viele seiner Einheit gefallen sein.

Wer sich nicht auf diese Weise verheizen lassen will, ist in der Russischen Armee häufig heftiger Gewalt ausgesetzt. Kontraste hat zahlreiche teils extrem brutale Videos gesichtet und analysiert.

Das Onlinemedium ASTRA konnte mehrere solcher Keller und Erdlöcher ausfindig machen. Russische Soldaten sollen dort eingepfercht worden sein, weil sie sich weigerten an der Front zu kämpfen.

Dieses Video zeigt einen Soldaten, der als Strafe an einen Baum gefesselt wird. Aufgenommen Ende vergangenen Jahres in der Nähe von Donezk. Tatjana Chepsakarowa erzählt, ihr Schwager sei auf ähnliche Weise gefoltert worden, weil er nicht an der Front kämpfen wollte.

Tatjana Chepsakarowa

"Sie haben meinen Schwager in Unterwäsche an einen Baum gefesselt und ihn dort eine ganze Nacht stehen lassen, bei Wind und Schneeregen. Seine Schuhe waren voller Wasser. Er hat dann nachgegeben und gesagt, dass er an die Front gehen wird, weil er eine weitere Nacht nicht überleben würde."

Ben Hodges war früher Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa. Heute lebt er in Frankfurt und arbeitet für eine Menschrechtsorganisation. Er kennt die Bilder der Gewalt innerhalb der russischen Armee.

Ben Hodges, ehemaliger US-General

"Well, of course, the most common thing is just beating people. (…) But also, I saw one just last week where they talk about being forced to commit sexual acts on each other. So I think there's everything from being shot to being threatened to being beaten and to being humiliated."

"Das Häufigste ist, dass Menschen geschlagen werden. Aber ich habe letzte Woche auch ein Video gesehen, in dem sie darüber sprechen, dass sie gezwungen werden, sexuelle Handlungen aneinander auszuführen. Also ich denke, es reicht von Schüssen über Drohungen bis hin zu Schlägen und Erniedrigungen."

Bilder wie diese: Bei Minustemperaturen werden vier Soldaten von ihren Kameraden vor laufender Kamera gedemütigt.

"Du verdammter Hund"

"Und ihr bewegt euch jetzt in die Grube, um zu ficken, verdammt. Beweg Dich, Du fette Schlampe"

Eine Vergewaltigung auf Befehl, wohl als Strafe für mangelnden Gehorsam.

Aufgenommen worden sein soll das Video Ende vergangenen Jahres im Südosten der Ukraine, unweit der Front. Erstmals darüber berichtet hat das russische Investigativ Medium Verstka.

Die Gewalt an der Front habe System, sagt Elena Popowa. Sie setzt sich für Kriegsdienstverweigerer ein.

Elena Popowa, Koordinatorin "Bewegung bewusster Kriegsdienstverweiger"

"Wenn jemand sagt, dass er körperlich und moralisch nicht mehr in der Lage ist an der Front zu kämpfen, dann fangen sie an ihn zu schlagen, ihn in einen Keller zu sperren, ihm physisches Leid zuzufügen. Eigentlich ist das Folter mit dem Ziel den Menschen zu brechen, sodass er sich bereit erklärt an die Front zu gehen."

Und die russische Armee scheint zu noch heftigeren Gräueltaten bereit zu sein. In einer Nachricht an Popowas Organisation, berichtet ein Soldat, was mit denjenigen passiert, die von der Front weglaufen.

"Ein Mann wurde mit dem Gewehr halb totgeschlagen und dann wurde ihm in den Kopf geschossen. Was für ein Albtraum. Wo bin ich bloß gelandet. Bitte helfen Sie mir."

Diese Aufnahmen ukrainischer Drohnen aus dem vergangenen Sommer sollen russische Soldaten auf der Flucht von der Front zeigen. Sie werden daran gehindert und daraufhin erschossen – von den eigenen Leuten. Eindeutig verifizieren lässt sich dieses Video nicht, doch auch das britische Verteidigungsministerium berichtet von solchen sogenannten Sperreinheiten.

Im Staatsfernsehen lässt Putin sich von Verteidigungsminister Shoigu über vermeintliche russische Erfolge an der Front unterrichten. Wie viel Blut auch für die kleinsten Erfolge vergossen wird, findet hier keine Erwähnung.

Nikolai Goriachev möchte nicht für Putin und dessen völkerrechtswidrigen Krieg kämpfen. Der 37-jährige Fitnesstrainer aus Moskau hat Russland kurz vor der Mobilmachung im Herbst 2022 verlassen.

Goriachev ist politisch aktiv und Nawalny Anhänger. Er hat in Deutschland Asyl beantragt, lebt inzwischen in Berlin:

Nikolai Goriachev

"I don't want to fight for Putin because I, think he's a bloody dictator, who wants to profit from this war. I don't support this war. I do not support any war, which has this purpose to invade the neighbouring country, to invade peaceful people."

"Ich möchte nicht für Putin kämpfen, weil ich finde, er ist ein verdammter Diktator, der von diesem Krieg profitieren will. Ich unterstütze diesen Krieg nicht. Ich unterstütze keinen Krieg, der zum Zweck hat, ein Nachbarland zu überfallen, friedliche Menschen zu überfallen."

Mindestens 250.000 Militärdienstpflichtige haben Russland seit Kriegsbeginn verlassen – auch in Richtung Deutschland. Wo ihnen die Bundesregierung eigentlich eine Aussicht auf Asyl versprochen hat.

Nancy Faeser (SPD), Innenministerin, 23.09.2022

"Wenn es jetzt Menschen gibt, die in Russland sich gegen die Teilmobilisierung von Putin wenden und eben nicht in den Krieg gegen ihr Nachbarland die Ukraine ziehen wollen, (…) ist es wichtig, dass sie hier auch Asyl beantragen können."

Seit dem 24. Februar 2022 haben mehr als 3.500 russische Männer im wehrfähigen Alter Asyl in Deutschland beantragt. Einen Schutz bewilligt bekamen bisher nur wenige hundert.

Nikolai Goriachevs Asylantrag wurde abgelehnt: Der Fitnesstrainer habe keine militärische Ausbildung und sei daher nicht zum Wehrdienst geeignet. So die Begründung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Außerdem drohe ihm trotz seiner politischen Aktivität als Oppositioneller keine Verfolgung in Russland, denn er sei in der Vergangenheit erst einmal bei einer Demonstration festgenommen worden.

weitere Themen der Sendung

Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl. Bild: Sebastian Kahnert/dpa
Sebastian Kahnert/dpa

Alternative für Deutschland: Diener fremder Mächte?

Es riecht nach Landesverrat, was zurzeit an Vorwürfen im Umfeld von AfD-Politikern im Raum steht. Die AfD-Spitze gerät dadurch zu Beginn des Europawahlkampfes mächtig unter Druck. Immer wieder hat Kontraste die Nähe der Partei zu autoritären Regimen wie Russland offengelegt. Doch nun werden die Indizien einer fremden Einflussnahme erdrückender: Die AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl Maximilian Krah und Petr Bystron sind Vorwürfen der Bestechung durch pro-russische Quellen ausgesetzt, ein Mitarbeiter von Krah wird der Spionage für China verdächtigt. Beide Politiker bestreiten die Vorwürfe. Nach Recherchen von Kontraste und der ZEIT soll sich auch im Arbeitskreis Außenpolitik der AfD-Fraktion im Bundestag das Who is Who der China- und Russlandfreunde tummeln. Ist die politische Ausrichtung der AfD von fremden Mächten erkauft?

Beitrag von Andrea Becker, Daniel Donath, Georg Heil, Susett Kleine, Markus Pohl, Martin Schmidt, Daniel Schmidthäussler und Carla Spangenberg