Blumen wurden fuer ein Opfer eines Femizids niedergelegt. Bild: Caro / Sorge
Caro / Sorge
Bild: Caro / Sorge

Femizide - Wie können Frauen geschützt werden?

"Hinweis: Dieser Film beinhaltet Beschreibungen von Mord und Gewalt gegen Frauen."
 
Fast jeden zweiten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Gerichte und Strafverfolgungsbehörden sind teils nicht ausreichend auf solche Fälle vorbereitet – so werden diese Taten teils milder sanktioniert als andere Tötungsdelikte. Eine Auswertung hunderter Strafverfahrensakten liefert nun auch Erkenntnisse über Täterprofile und Motive. Kontraste zeigt das Schicksal hinter den Zahlen – was bedeutet es, wenn Eltern ihre Tochter, junge Frauen ihre Freundinnen verlieren?
 
Beitrag von Sascha Adamek, Clara Engelien, Anne Grandjean und Daniel Schmidthäussler

Überlebende von Tötungsversuchen fordern mehr Schutz und Prävention. In Deutschland ist ein Gewalthilfegesetz zwar in Planung, doch damit es noch in dieser Legislaturperiode durchs Parlament kommt, bräuchte es nun nochmal Anstrengungen. Spanien hängt das Thema schon seit Jahren politisch sehr viel höher – wie schafft das Land es, Frauen besser zu schützen?

Anmoderation: Fast jeden Tag versucht ein Mann in Deutschland seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten, weil er mit der Trennung nicht klarkommt, die Frau als Eigentum betrachtet, oder sich in seiner vermeintlichen Ehre verletzt sieht. Zwar hat sich die Bundesregierung schon vor Jahren verpflichtet, Frauen besser vor sogenannten Femiziden zu schützen, passiert ist jedoch wenig. Dabei zeigen andere europäische Länder, wie es besser gehen könnte. Doch in Deutschland, hat der Schutz von Frauen offenbar poltisch keine Priorität - mit tödlichen Folgen.

"Hallo Opa"

Das sind Kian und seine Mutter Derya. Als "selbstbewusst" und "lebensfroh" beschreiben ihre Freunde sie.

Hier rechts - freut sie sich über ein Geschenk zu ihrem 24. Geburtstag. Zehn Tage später wird sie nicht mehr leben. Kians Vater tötet sie und den Jungen.

Wir sind in Köln-Kalk zu Besuch bei Deryas Vater Ersin Seyhun, zusammen mit ihrer Mutter Rosi. Fast drei Jahre ist die Nacht her, in der Tochter und Enkel ihr Leben lassen.

Mutter Rosi Seyhun

"Und dann standen wir auf einmal bei der Kalker Kriminalpolizei auf dem Parkplatz und ich sah die komplette Familie von Ersin da stehen. Und er meinte dann auch unter Tränen heulend: unser Mädchen gibt es nicht mehr. Es gibt einfach unser Mädchen nicht mehr. Man hat sie uns genommen. Ich habe dann gefragt: einen Autounfall. Und dann hat er dann gesagt: Nee, das war Mord."

Vater Ersin Seyhun

"Ich dachte, das überlebst du nicht."

Derya und Kian leben bis zu ihrem Tod bei seinem Opa.

Während des Gerichtsprozesses suchen Freunde und Familie Halt beieinander. Auch Deryas beste Freundin Saskia. Sie treffen sich am Familientisch, sprechen über Kian und Derya, hören einander zu.

Vater Ersin Seyhun

"Man wollte niemanden alleine lassen, es sollte diese Situation ja nicht eintreten, dass irgendeiner alleine dann mit seinen Gedanken ist."

Viele Angehörige sind in dieser Situation, denn es gibt zahlreichen Fälle wie Deryas. Frauen, getötet von Partnern, Ex-Partnern, ihnen nahestehenden Männern. Dabei scheint ein Begriff allgegenwärtig zu sein: Femizid.

Aber was genau ist eigentlich ein Femizid? Innenministerin Nancy Faeser definiert es so:

Nancy Faeser (SPD), Bundesinnenministerin

"Wenn Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind, müssen wir diese Taten auch als das bezeichnen, was sie sind, nämlich Femizide."

Doch ausgerechnet Faesers eigene Behörde, das Bundeskriminalamt, erfasst in ihrer Statistik Femizide eben nicht als Tatbestand. Die "Motivation" werde "grundsätzlich" nicht erfasst, heißt es auf Anfrage beim BKA.

Eindeutige Zahlen gibt es nur für versuchten und vollendeten Mord und Totschlag in Partnerschaften. Im Schnitt sind seit Jahren 80 Prozent der Opfer in Partnerschaften Frauen. Die Tatverdächtigen: zu rund 80 Prozent Männer.

Vergangenes Jahr zählt das BKA 327 Fälle mit weiblichen Opfern. Fast jeden Tag versucht also ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten.

Die BKA-Definition einer Partnerschaft deckt andere Femizid-Fälle nicht ab. Das Problem ist für die Anwältin Christina Clemm viel größer. Die meisten Femizide würden zwar in oder nach einer Partnerschaft verübt. Aber:

Christina Clemm, Rechtsanwältin für gewaltbetroffene Frauen

"Das sind natürlich längst nicht alle, es gibt eben auch Tötungen in anderen Kontexten, die auch Femizide sind, zum Beispiel die Tötung einer Sexarbeiterin oder einer Hausangestellten oder eben einer fremden, unbekannten Person oder in einem politischen Kontext. Die gibt es auch alle."

Deryas Fall wird ebenfalls nicht von dieser Statistik erfasst. Sie ist 19, als sie schwanger wird – nach einer gemeinsamen Nacht mit einem Schulfreund. Vier Jahre lang hält sie geheim, wer der Vater des Kindes ist – auch vor ihren Eltern.

Doch irgendwann wird Kian nach seinem Vater fragen – das weiß Derya. Sie will seine Vaterschaft anerkennen lassen.

Saskia A.

"Als sie den Mörder damit konfrontiert hat und auch mit dem Unterhalt und der Verantwortung, hat er mit seiner falschen Vorstellung als einzige Lösung den Mord gesehen und hat das dann durchgeführt."

Wie diese Vorstellungen aussahen, stellt später das Gericht fest. Der Täter wollte

"verhindern, dass er seine Eltern durch das Bekanntwerden seiner Vaterschaft enttäuschte, [...], weil er gegen die ihm [...] vermittelten Wertvorstellungen verstoßen hatte".

Er wollte "eine Belastung seiner Beziehung vermeiden".

Und auch Unterhaltzahlungen kamen ihm

"zumindest ungelegen".

Hier am Rheinufer in Köln Niehl lockt der Täter Derya abends in eine Falle. Er gibt an, Kian kennenlernen zu wollen – an einem ungestörten Ort.

Doch dann überrumpelt er Derya, ersticht erst sie und dann den vierjährigen Kian. Das Gericht stellt später fest: Er sah die beiden als "Störfaktor für sein künftiges Leben an, den er um jeden Preis beseitigen wollte”.

Mutter

"Am Anfang hieß es ja nur, es ist Totschlag. Aber er hat geplant, mit Handschuhen, mit Tatwaffe, mit vorher zu googeln. Wie mache ich was? Das ist bei Gericht ja auch wirklich alles bewiesen worden. Später, nach so ungefähr 14 Tagen, wurde dann doch Mord draus."

So lautet auch das Urteil: zweifacher Mord, lebenslange Haftstrafe.

Denn: Mord ist eine Tat nur, wenn mindestens ein Mordmerkmal erfüllt wird – Heimtücke etwa. Die wird in Derya und Kians Fall festgestellt. Zusammen mit einem weiteren Mordmerkmal: "niedrige Beweggründe".

Es sind die "niedrigen Beweggründe” auf die es bei Femizid-Fällen oft ankommt. Aber diese zu erkennen, ist kompliziert.

Christina Clemm, Rechtsanwältin für gewaltbetroffene Frauen

"Da gibt es eine lange BGH-Rechtsprechung zu Femiziden und die sagt, wenn ein Mann eine Frau tötet, die aus einer intakten Beziehung ausgebrochen ist und er deshalb aus Verzweiflung diese Frau tötet, dann ist das kein niedriger Beweggrund. Das kann man natürlich auch ganz anders sehen. Was ist eine intakte Beziehung. Warum bricht sie da aus? Geht es nicht immer um Besitzansprüche des Mannes?"

Ein solcher Besitzanspruch gilt oft als niedriger Beweggrund, führt also zum Urteil: Mord.

Das entsprechende kontrollierende Verhalten der Täter wird von den Ermittlungsbehörden häufig aber nicht bedacht, Besitzansprüche nicht erkannt. In der Folge urteilen Gerichte bei Partnerinnentötungen häufig milder als bei anderen Tötungsdelikten. So eine Studie der Ruhr Uni Bochum.

Ist das bei anderen Femiziden auch so? Dafür fehlt es an Daten. Jörg Kinzig untersucht das an der Uni Tübingen gemeinsam mit dem Kriminologischen Institut Niedersachsen – die erste Großstudie zu Femiziden in Deutschland. Erste Erkenntnisse zum Täterprofil:

Prof. Jörg Kinzig, Direktor Institut für Kriminologie, Uni Tübingen

"Es sind tendenziell etwas ältere Männer insgesamt, was sich dann auch dadurch erklären lässt, dass die eine längere Vorgeschichte mit diesen Frauen auch haben. Es sind eher Personen aus prekären Verhältnissen. Wir haben auch festgestellt, dass es schon ein relativ hoher Ausländeranteil ist. Ja, das hat einerseits damit zu tun, mit der sozialen Schichtung und darüber hinaus kann natürlich auch hier noch mal eine patriarchale, besondere patriarchale Wertvorstellungen im Hintergrund stehen, also stärker Wertvorstellung, dass der Mann die Frau als Besitz betrachtet."

Tatsächlich haben laut BKA gut ein Viertel der Tatverdächtigen keinen deutschen Pass. Das ist überdurchschnittlich viel, denn insgesamt machen nicht-deutsche Einwohner zuletzt gut 15 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.

Kinzig und sein Team analysieren Strafverfahrensakten zu Tötungsdelikten an Frauen aus vier Bundesländern und ausgewählten Städten. Noch bis kommendes Frühjahr läuft die Studie.

Prof. Kinzig, Direktor Institut für Kriminologie, Uni Tübingen

"Was man vielleicht in Zukunft besser machen könnte, ist, dass schon die Staatsanwaltschaft vielleicht doch stärker dafür sensibilisiert wird, also zum Beispiel die Frage, ob über einen längeren Zeitraum kontrollierende Machtansprüche, Besitzansprüche, des Täters vorliegen, also ob der die Frau kontrolliert hat, ob er nicht wollte, dass die Frau aus dem Haus geht, ob er nicht wollte, dass sie andere Männer trifft."

Femizid-Fälle folgen oft Mustern. Svenja Beck ist Überlebende. Sie weiß: Kontrolle, Verbote, Gewalt – alles Anzeichen dafür, dass eine Beziehung lebensgefährlich werden kann. Sie war selbst in einer solchen Beziehung.

Svenja Beck

"Ich habe das überhaupt nicht gemerkt, dass ich kontrolliert werde. Erst im Nachgang, als er eigentlich alles so abgecheckt hat und er mir Vorwürfe gemacht hat. Er holt mich ab auf der Arbeit, weil er denkt, ich habe ein Verhältnis mit meinem Chef. Er bringt mich zu meinen Freundinnen, weil er denkt, da wartet ein Liebhaber auf mich. Solche Dinge waren an der Tagesordnung."

Svenja Beck und ihre drei Kinder – hier ihr Ältester – haben bereits Jahre an dauernder Gewalt durchgemacht, als ihr Partner sie 2016 erwürgen will. Es ist bereits der zweite Tötungsversuch, ihr jüngstes Kind damals ein Säugling.

Svenja Beck

"Mein Sohn lag im Bett, im gemeinsamen Bett, in der Mitte. Und das war das Einzige, was ich noch stammeln konnte: das Kind, das Kind, das Kind. Als er zugedrückt hat. Und als ich dann Wasser gelassen habe und ich Sternchen gesehen habe, hat er dann losgelassen und ist gegangen. Das war mein Glück."

Geschichten wie die von Svenja Beck gibt es immer mehr. Die Zahlen zu häuslicher Gewalt sind in den vergangenen fünf Jahren um beinahe 20 Prozent gestiegen.

Und das obwohl bereits 2011 die Mitglieder des Europarats die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt unterschreiben. Die sieht vor, dass Beratung und Schutz flächendeckend, niedrigschwellig und kostenfrei zur Verfügung stehen müssen. Deutschland verpflichtet sich 2018, das Übereinkommen umzusetzen.

Viel ist seitdem nicht passiert.

Besonders deutlich zeigen das fehlende Frauenhausplätze. Gut 21.000 (21.142) Schutzplätze sollte es in Deutschland laut Konvention geben. Tatsächlich gibt es aktuell nur ein Drittel davon.

Die Ampel hatte sich vorgenommen, den Anspruch auf einen Schutzplatz und Beratung gesetzlich festzuschreiben – und damit die Forderungen der Istanbul-Konvention zu erfüllen.

Dazu sagt uns die zuständige Ministerin Lisa Paus jetzt: "Das Gewalthilfegesetz ist ein dringend notwendiger Meilenstein zu mehr Schutz für gewaltbetroffene Personen."

Bis heute hat Paus jedoch nicht einmal einen Gesetzentwurf im Kabinett eingebracht. Experten und Verbände fordern mehr Tempo.

Christina Clemm, Rechtsanwältin für gewaltbetroffene Frauen

"Wir brauchen das sofort. Ehrlich gesagt, sieht es im Moment schlecht aus, dass das Gewalthilfegesetz durchkommt, weil es da massive Blockaden gibt, weil es eben wieder so viel Geld kostet."

Bis zu 1,6 Milliarden Euro jährlich würden Paus Pläne laut einer Studie wohl kosten. Geld, das Bund und Länder bereitstellen müssten. Doch davon ist man noch weit entfernt.

Vor sieben Jahren gelingt es Svenja Beck schließlich, sich von ihrem gewalttätigen Partner zu trennen. Heute klärt sie mit einem eigenen Verein über toxische Beziehungen auf, sensibilisiert in Kursen Behördenmitarbeitende, leitet Selbsthilfegruppen.

Svenja Beck

"Die Stellschraube der Bundesregierung wäre ganz klar, erst mal präventiv zu arbeiten, es auch zur Pflicht zu machen, dass man sich diesem Thema stellt, dass man sich damit auseinandersetzt, dass man versteht, was da passiert. Vor allen Dingen aber auch von sämtlichen Ämtern, die Frauen ernst zu nehmen. Das erlebe ich häufig in dieser Arbeit, dass das überhaupt nicht der Fall ist."

Es könnte anders sein – Beispiel Spanien. Der Schutz vor Gewalt gegen Frauen ist hier im gesellschaftlichen Bewusstsein stärker verankert. Machismus als Problem erkannt.

Seit 2004 gibt es hier ein eigenes Gesetz zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt. Vom Parlament zum "Staatsauftrag" erklärt – mit breiter Mehrheit.

Femizide werden seitdem spezifisch erfasst – auch von offizieller Seite.

Ausgelöst hatte dies die Geschichte von Ana Orantes – vor fast 30 Jahren. In einer Nachmittagstalkshow erzählt sie, wie sie 40 Jahre lang von ihrem Ehemann gequält und missbraucht wurde:

"Als ich gegen die Wand prallte, sah mein Gesicht so aus. Ich konnte nicht atmen."

13 Tage nach ihrem Fernsehauftritt übergießt ihr Ex-Mann die 60-jährige Orantes mit Benzin und zündet sie an.

Der Femizid hat erstmals ein Gesicht in Spanien. Das war 1997. Seitdem ist dort viel passiert.

Inzwischen gilt Spanien als Vorreiter in Europa im Kampf gegen Gewalt an Frauen. Im vergangenen Jahr stellt die Regierung 320 Millionen Euro dafür zur Verfügung. Problematische Geschlechterrollen werden schon in der Kita behandelt, in Rathäusern und Gesundheitszentren werden Beratungsstellen eingerichtet. Für Gewaltdelikte gegen Frauen gibt es eigene Gerichte.

Die Zahlen geben dem spanischen Weg recht. Laut UN ist die Wahrscheinlichkeit für eine Frau im Rahmen einer Partnerschaft getötet zu werden in Spanien bislang um 40 Prozent niedriger als in Deutschland.

Selbst wenn die Forderungen der deutschen Frauenverbände nach mehr Schutz und Prävention umgesetzt würden, dem aktuellen Gesetzentwurf zufolge wäre ein Rechtsanspruch auf Beratung und Schutz erst ab 2030 wirksam.

Für Tausende Frauen käme diese Hilfe dann zu spät.

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