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Es vergeht kein Tag, an dem Elon Musk nicht mit fragwürdigen Äußerungen auf seiner Plattform X auffällt – wird seine Einmischung in den US-Wahlkampf gar zur Gefahr für die Demokratie? Kritiker werfen ihm vor, Hetze, Fake News und Antisemitismus zu verbreiten. Einer der reichsten Männer der Welt besitzt eine der bedeutendsten Medienplattformen und macht daraus ein "Höllenloch aus Hass, Desinformation und Propaganda" – so warnen Experten. Wie wird dadurch der politische Diskurs verzerrt und was kann die EU mit ihrem Digital Service Act dem entgegensetzen?
Beitrag von Andrea Becker, Pune Djalilevand, Silvio Duwe, Antonia Lang und Markus Pohl
Anmoderation: Die Welt braucht Visionäre wie ihn - Elon Musk: Doch wie viel Macht sollte ein Mann wie er haben? Als einer der reichsten Menschen der Welt kaufte er vor zwei Jahren das soziale Netzwerk Twitter und sorgt seitdem bei vielen für Empörung: Denn inzwischen ist dort ein Sammelbecken entstanden - für Hassrede und Desinformation. Und Musk steht selbst an den Hebeln dieser mächtigen Meinungsmaschine.
Donald Trump im Wahlkampf. Er will im November wieder US-Präsident werden – und kann dabei auf einen mächtigen Unterstützer setzen: Elon Musk, ein schillernder Milliardär, der die Welt verändert. Mit Tesla hat er den Markt für Elektroautos überrollt, er schickt Raketen ins All, sein satellitengestütztes Starlink-System revolutioniert das Internet.
Musk pumpt hohe Beträge in Trumps Kampagne und sieht sich bereits an der Macht: DOGE steht für "Department of Government Efficiency", er stehe bereit als künftiger Minister für Regierungseffizienz.
Vor allem auf seinem Netzwerk X, vormals Twitter, trommelt Musk für Trump
Mal launig, wie in diesem Computergenerierten Video:
Meist aber mit wüsten Attacken gegen die Kandidatin der Demokraten, Kamala Harris. Die strebe eine kommunistische Diktatur an, sie und Präsident Biden seien nur austauschbare Puppen mächtiger Strippenzieher im Verborgenen.
Ohne Warnhinweis teilt Musk auch ein Fake-Video, in dem Harris das mit KI-generierter Stimme vermeintlich selbst eingesteht:
"I may not know the first thing about running a country, but remember, this is a good thing, when you´re a deep state puppet."
"Ich habe zwar keine Ahnung, wie man ein Land regiert, aber das ist gut, wenn man eine Marionette des Tiefen Staates ist."
Immer wieder verbreitet Musk haltlose Verschwörungserzählungen. Die Demokraten würden gezielt Flüchtlinge in umkämpfte Bundesstaaten schicken, wo sie als Wähler registriert würden. Selbst die Lüge von den Haitianern, die in Springfield Katzen und Hunde aufessen, trägt Musk weiter.
Hetze auf X, für Musks fast 200 Millionen Follower.
Chan-jo Jun, Anwalt für IT-Recht
"Elon Musk hat ein Medienunternehmen gekauft für viele Milliarden, um auf diese Weise seine eigene persönliche Agenda durchzusetzen. Und das macht er sehr wirksam. Er hat für Geld die Möglichkeit gekauft, Menschen zu beeinflussen."
Die Geschichte beginnt 2022. Damals ist Twitter zwar nicht das größte, aber das wohl einflussreichste soziale Netzwerk. Der US-Präsident, der Bundeskanzler, der Papst. Sie alle twittern.
Chan-jo Jun, Anwalt für IT-Recht
"Twitter war die wichtigste Plattform, mit der man Menschen erreichen konnte. Und zwar auch Menschen nicht nur mit eigener Reichweite, sondern Entscheidungsbefugnissen, Journalisten, Politiker. Man kann unmittelbar in eine Diskussion."
Auch Elon Musk ist dort aktiv, hat damals schon Millionen Follower. Ihm aber ist Twitter mit Sitz im liberalen San Francisco zu links, zu "woke". Das will er ändern.
Elon Musk, Unternehmer
"The general idea is just to reflect the values of the people as opposed to imposing the values of essentially San Francisco."
"Die grundsätzliche Idee ist, die Werte der Menschen widerzuspiegeln, statt ihnen die Ideologie von San Francisco überzustülpen."
Ursprünglich galt Musk selbst als eher liberal, er unterstützte Barack Obama als US-Präsident. Irgendwann aber radikalisiert er sich, entdeckt politische Korrektheit, die linke "Wokeness", als Feindbild.
Der Internetexperte und Publizist Sascha Lobo meint, einer der Gründe für diesen Wandel könnte ein persönliches Trauma von Musk sein:
Sascha Lobo, Autor
"Elon Musk hat eine Trans-Tochter, wo er gemerkt hat, dass die Entfremdung von dieser Trans-Tochter, die er bis heute als Sohn bezeichnet und betrachtet, ihn so schmerzlich getroffen hat und so sehr vernichtet hat in einem emotionalen Sinn, da gab es auch viele Aussagen von Leuten aus seinem direkten Umfeld, dass das zumindest beigetragen haben könnte zu einer Radikalisierung."
Wie groß Musks Ablehnung ist, ist ihm in diesem Interview förmlich anzusehen:
Elon Musk
"So my son Xavier is dead, killed by the woke-mind-virus. So I vowed to destroy the woke-mind-virus after that. And we´re making some progress.”
"Mein Sohn Xavier ist tot, getötet vom Wokeness-Virus. Danach habe ich geschworen, den Wokeness-Virus zu zerstören. Und wir machen Fortschritte dabei."
Das Vehikel dafür soll offenbar Twitter sein. Im Oktober 22 spaziert Musk mit einem Waschbecken in die Zentrale – ein Scherz, kurz bevor er die Firma für sagenhafte 44 Milliarden Dollar übernimmt. Musk lässt nicht nur den Namen in X ändern. Er entlässt einen großen Teil der Mitarbeiter – auch solche, die für Moderation und die Entfernung extremer Inhalte zuständig sind.
Das alles unter dem Banner der Meinungsfreiheit.
Musk twittert: "Wenn die Redefreiheit sogar in Amerika fällt, steht uns nur noch die Tyrannei bevor."
Nach einer Abstimmung der Nutzer lässt Musk Donald Trump wieder auf die Plattform, der wegen Gewaltaufrufen verbannt worden war. Und mit ihm etliche wegen Hassreden gesperrte Accounts:
Imran Ahmed, Geschäftsführer Center for Countering Digital Hate
"He indicated to people that he wanted people to be able to say whatever they wanted. And when you say that to racists, well, then they will be racist.”
"Er machte den Leuten deutlich, dass sie sagen können, was immer sie wollen. Und wenn man so etwas Rassisten sagt, nun, dann werden sie rassistisch sein."
Imran Ahmad vom US-Center for Countering Digital Hate hat untersucht, wie sich die Inhalte auf Twitter nach Musks Übernahme veränderten:
Imran Ahmed, Geschäftsführer Center for Countering Digital Hate
"We found that there was a tripling to three times as much hate speech against black people. There was a massive increase in hate against gay people, against women, against Muslims and Jews. And that research, which we called the Musk bump.”
"Wir haben herausgefunden, dass es zu einer Verdreifachung der Hassreden gegen schwarze Menschen kam. Es gab einen massiven Anstieg im Hass gegen Homosexuelle, gegen Frauen, gegen Muslime und Juden. Wir nannten das die Musk-Beule."
Musk, der die freie Rede angeblich so liebt, verklagt Ahmads Organisation. Nicht weil die Ergebnisse falsch waren: Sie hätten widerrechtlich Daten von Twitter genutzt. Die Klage aber wird abgewiesen.
Imran Ahmed, Geschäftsführer Center for Countering Digital Hate
"What he seems to be upset about is anyone saying anything which doesn't conform with his world view or that may actually undermine his business interests. He has a very narrow conception of what freedom of speech really means.”
"Worüber er sich aufzuregen scheint, ist, wenn jemand irgendetwas sagt, was nicht mit seiner Weltanschauung konform ist oder seine Geschäftsinteressen untergraben könnte. Er hat eine sehr enge Vorstellung davon, was Redefreiheit wirklich bedeutet."
Redefreiheit ist für Musk im Zweifel verhandelbar. Beispiel Indien: Als Premierminister Modi die Sperrung eines kritischen BBC-Dokumentarfilms über ihn forderte, kam X dem nach.
Und Musk rechtfertigte sich:
Elon Musk, Unternehmer
"The best we can do is really do keep close to the law in any given country. But it is impossible for us to do more than that or we will be blocked or we will get arrested.”
"Das Beste, was wir machen können, ist uns an die Gesetze jedes Landes zu halten. Mehr können wir nicht tun, sonst werden wir geblockt oder inhaftiert."
Eine Auswertung interner Daten zeigt: In den beiden Halbjahren vor Musks Übernahme setzte Twitter staatliche Lösch-Verlangen in etwa der Hälfte der Fälle vollständig um. Unter Musk stiegen die Löschbegehren dann massiv an und gleichzeitig gab Twitter diesen deutlich häufiger nach – in mehr als 80 Prozent der Fälle.
Chan-jo Jun, Anwalt für IT-Recht
"Wenn sich Elon Musk selbst als Free-Speech-Absolutist bezeichnet, ist das eine Farce und eine Heuchelei. Denn es gibt keine Plattform, die bereitwilliger Inhalte zu entfernen, egal von welcher Seite und egal, ob sie zulässig sind, wenn nur Ärger mit einer Behörde droht."
Bei einfachen Nutzern dagegen stelle man sich taub. Als erster deutscher Anwalt hat Chan-Jo Jun Twitter vor Gericht gezwungen, antisemitische Posts gegen einen Mandanten systematisch zu löschen. Zuvor hatte sich die Plattform geweigert.
Chan-jo Jun, Anwalt für IT-Recht
"Wir hatten gehofft, dass damit eine Signalwirkung entsteht, dass andere User auch ihre Rechte durchsetzen, aber vor allem, dass die Plattformbetreiber sich an das Recht halten würden. Das ist leider nicht passiert.
Wir machen die Probe und melden selbst mehrere Postings auf X, die offensichtlich rechtswidrig sind – und damit eigentlich innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden müssen.
"Alles für Deutschland" - die verbotene Parole der SA.
Auch die Verwendung und Verbreitung des Hakenkreuzes ist in Deutschland strafbar.
Und hier wird zum Lynchmord an Schwarzen aufgerufen.
Mehrere Tage lang gibt es keine Reaktion. Wir fragen bei der Pressestelle von X nach. Gestern dann sind einige der Tweets nicht mehr abrufbar. Das Hakenkreuz aber bleibt online.
Chan-jo Jun, Anwalt für IT-Recht
"Auf Twitter gilt Recht des Stärkeren. Theoretisch kann sich jeder äußern, aber nur, wenn er in der Lage ist, Beschimpfungen, aber auch Bedrohungen, auch Bedrohungen real live auszuhalten. Weil nämlich diejenigen, die zu solchen Dingen aufrufen oder anstacheln, auf Twitter freies und leichtes Spiel haben. Das führte dazu, dass viele Leute, die das eben nicht so gut aushalten können, die Plattform verlassen haben."
Freie Fahrt will Musk offenbar vor allem für seine eigene Meinung: Nach einer Recherche des Online-Magazins Platformer soll X die Verbreitung von Musks persönlichen Tweets künstlich verstärkt haben.
Und diese Macht nutzt Musk, um selbst verschwörungsideologische und antisemitische Inhalte zu befeuern.
Immer wieder greift Musk etwa den jüdischen Investor George Soros an, eine Hassfigur für Antisemiten weltweit.:
"Die Soros-Organisation will anscheinend nichts weniger als die Zerstörung der westlichen Zivilisation."
Elon Musk, Unternehmer
"Soros, I don´t know I mean. In my opinion, he fundamentally hates humanity.”
"Soros, meiner Meinung nach hasst er die Menschheit."
Prof. Christian Stöcker, Studiengangsleiter Digitale Kommunikation, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
"Das ist im Grunde sozusagen die aktuelle Ausgabe der jüdischen Weltverschwörung, das muss man schon sagen. George Soros als Chiffre auch für antisemitische Erzählung. Es gibt irgendwie dunkle, jüdisch konnotierte Mächte im Hintergrund, die irgendwie heimlich die Strippen ziehen. Eigentlich ist es immer die gleiche Geschichte. Und genau diese Geschichte erzählt Musk seinen mehreren 100 Millionen Followern jetzt eben auch."
Aus Angst um ihr Image flüchteten große Anzeigekunden von Elon Musks Plattform X. Zuerst beschimpft er die Werbekunden:
Elon Musk, Unternehmer
"Is somebody´s going to try to blackmail me with advertising, blackmail me with money? Go fuck yourself! Go. Fuck. Yourself. Is that clear?"
"Will mich jemand mit Anzeigen erpressen, mit Geld? Fickt euch!"
Kurz darauf besucht er das Vernichtungslager Auschwitz. Und liefert am Rande eine bemerkenswerte Erklärung, warum er gar kein Antisemit sein könne:
Elon Musk, Unternehmer
"I have twice as many Jewish friends as non Jewish friends. I'm like Jewish by association. I'm aspirationally Jewish. So I was like, what are people talking about with this anti-Semitism. I never hear it?"
"Zwei Drittel meiner Freunde sind jüdisch, ich habe doppelt so viele jüdische Freunde wie nicht-jüdische, ich bin sozusagen jüdisch per Verbindung, bestrebt jüdisch zu sein. Was also meinen die Leute mit diesem Antisemitismus?"
Doch mit seiner Reichweite verstärkt Musk mittlerweile weltweit radikal rechte Diskurse.
Anfang August kommt es in Großbritannien zu rechtsextremen Krawallen gegen Polizei und Migranten. "Bürgerkrieg ist unvermeidlich", schreibt Musk auf X. Die britische Regierung wirft ihm daraufhin vor, die Gewalt anzuheizen.
Immer wieder interagiert er auch mit der AfD und ihrem Umfeld, verschafft ihr so Reichweite. Er könne nichts Rechtsextremes an der Partei erkennen, postet Musk.
Sascha Lobo, Autor
"Ein Teil der großen Schwierigkeiten und der Gefahr, die von X ausgeht, die ist darin begründet, dass Elon Musk ganz offensichtlich kein Korrektiv duldet, ganz offensichtlich sich in eine Richtung entwickelt hat, wo er persönlich dafür verantwortlich ist, dass X zu einer Propaganda-Schleuder zu verkommen droht."
Längst gilt X als besonders anfällig für gezielte Meinungs-Manipulation – vor allem aus Russland. Eine Rostocker Sicherheitsfirma etwa entdeckte im Vorfeld der Brandenburg-Wahl ein Pro-AfD-Netzwerk von 2.500, offenbar automatisiert angelegten Accounts.
Stefan Pforte, Gründer Analysefirma Somtxt
"Die sind intensiv damit beschäftigt, Aussagen von Mitgliedern der Partei zu retweeten, so dass innerhalb von Twitter eine Reichweite erreicht wird, die ohne dieses Retweeten nicht erreicht werden würde."
Die Analysten vermuten russische Akteure dahinter.
Ganz ähnlich bei diesem Video, das seit Wochen auf X kursiert: Ein Fake, in dem eine junge Frau angibt, von Kamala Harris überfahren worden zu sein und seitdem im Rollstuhl zu sitzen. Die Frau: eine Schauspielerin, das Video wurde laut Microsoft-Recherchen von einer Kreml-nahen Propaganda-Agentur produziert.
Und auch das aus Russland gesteuerte Doppelgänger-Netzwerk, das mithilfe gefälschter Nachrichtenseiten Desinformation verbreitet, ist auf X aktiv.
Prof. Christian Stöcker, Studiengangsleiter Digitale Kommunikation, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
"Dieses Netzwerk hat vollkommen unbehelligt von den Regulierungs-Mechanismen von Twitter seine Arbeit verrichtet. Mittlerweile hat das FBI sich da eingeschaltet, aber Twitter selbst jedenfalls hat nichts gegen diese, gegen diese Bots unternommen, und das ist glasklar."
X schreibt uns dazu: "Unser Sicherheitsteam bleibt wachsam gegenüber jedem Versuch böswilliger Akteure und Netzwerke, die Plattform zu manipulieren." Man lösche routinemäßig solche Accounts.
2023 aber kommt eine Untersuchung für ausgewählte europäische Länder zu dem Schluss: Auf keiner Plattform ist Desinformation so leicht aufzufinden wie auf Twitter. Und in keinem anderen sozialen Netzwerk ist der Anteil von Desinformations-Accounts so hoch.
Hier in Brüssel führt man nun ein Verfahren gegen X – wegen möglicher Verstöße gegen das neue Gesetz für Digitale Dienste. Es geht um den Vorwurf mangelnder Transparenz, aber auch darum, dass X nicht genügend gegen Desinformation und rechtswidrige Posts auf seiner Plattform unternehme.
Thomas Regnier, Sprecher EU-Kommission
"Da haben wir Bedenken tatsächlich, dass wenn Nutzer illegale Inhalte an die Plattform notifizieren, dass die Plattform diese Inhalte dann wahrscheinlich nicht gründlich und sorgfältig entfernt."
Eine Verurteilung könnte Musk hart treffen. Nach EU-Recht droht eine Strafe von bis zu 6 Prozent des weltweiten Umsatzes von X – das dürfte eine dreistellige Millionensumme sein.
Musk gibt sich gewohnt provokant, den kürzlich zurückgetreten EU-Digital-Kommissar Thierry Breton griff er frontal an. Und twitterte, er freue sich auf eine "öffentliche Schlacht vor Gericht".