Ein Brand - ausgelöst durch Sabotage? Bild: rbb
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Putins Krieg gegen uns - Brandanschläge und Sabotage der Meinungsbildung

Der Kreml eskaliert den hybriden Krieg gegen den Westen. Längst geht es nicht mehr nur um Fake News, Cyberattacken und die mutmaßliche Unterstützung Putin-treuer Parteien. Russlands Krieg gegen uns erreicht eine neue Qualität: Brandanschläge, Störung des Luftraums, Manipulation der öffentlichen Meinungsbildung. In ganz Europa kommt es seit Monaten immer häufiger zu Sabotageaktionen, die Russland zugerechnet werden. Während Frankreich deshalb bereits das Strafrecht reformiert hat, gibt es in Deutschland bislang kaum Antworten auf die neue Bedrohung. Die Justizminister der Länder fordern nun einhellig eine Reform des Strafrechts.
 
Beitrag von Silvio Duwe, Anne Grandjean und Daniel Schmidthäussler

Anmoderation: Wir haben es gerade gehört: viele Leute fürchten sich davor, dass dieser Krieg auch zu uns nach Deutschland kommt. Was aber, wenn wir längst mittendrin sind ohne es zu merken? Denn wir werden angegriffen - von Wladmir Putin und seinem Geheimdienstapperat. Es ist ein Krieg mit anderen Mitteln, ein hybrider Krieg, der darauf abzielt, uns Angst zu machen, unser Weltbild zu verschieben - zu den Waffen gehören Cyber Angriffe, Fake News - und inzwischen auch die ganz klassische Sabotage - wie viele Brandanschläge in Europa zeigen. Dieser Krieg wird buchstäblich immer heißer - und die Behörden sind so gut wie machtlos.

Ein Großbrand in Warschau, Mitte Mai. Eines der größten polnischen Einkaufszentren geht in Flammen auf.

Kurz darauf werden mindestens neun Personen festgenommen – wegen Brandstiftung und Sabotageplänen. Den Auftrag dafür sollen sie von einem russischen Geheimdienst bekommen haben.

Donald Tusk, Ministerpräsident Polen

"Es ist sehr wahrscheinlich, dass die russischen Dienste auch etwas mit dem großen Feuer in Warschau zu tun hatten."

Die Anschläge in Polen: offenbar Teil einer russischen Sabotagekampagne in ganz Europa.

Thomas Haldenwang, CDU, Präsident Bundesamt für Verfassungsschutz

"Wir erkennen, dass Russland nicht nur mit professionellen Agenten tätig wird, sondern dass man eben auch im Internet sozusagen Recruiting betreibt, einfache Kriminelle durch entsprechende finanzielle Anreize versucht zu gewinnen für entsprechende Anschläge. So ist es in Polen geschehen. Das ist eine ganz neue Form der Aggression und darauf muss eine Antwort gefunden werden."

Anfang Mai auch ein Großbrand in Berlin – an einem Standort des deutschen Rüstungskonzerns Diehl.

Eine dichte Rauchwolke zieht über die Hauptstadt. Per Katastrophen-App werden die Berliner aufgefordert, die Fenster geschlossen zu halten.

Anwohner

"Dit is dann nachher pechschwarz geworden und dann kamen diese ganzen Explosionen."

Diehl produziert des hochmoderne Flugabwehrraketensystem Iris-T, das Deutschland an die Ukraine liefert. Am Berliner Standort werden jedoch keine Waffen produziert.

Brandgutachten zufolge soll ein technischer Defekt das Feuer ausgelöst haben.

Doch auch hier gibt es inzwischen Hinweise auf Sabotage.

Das berichtet die "Bild".

Das "Wall Street Journal" schreibt: ein westlicher Geheimdienst habe Chat-Kommunikation abgefangen – daraus ergäbe sich russische Sabotage. Auch Diehl schließt Sabotage als Ursache des technischen Defekts nicht aus.

Der Brandherd habe an einem Ort der Fabrik gelegen, zu dem nur wenige Menschen Zugang hätten.

Die Berliner Polizei ermittelt, noch ist der Fall nicht geklärt. Ein mögliches Motiv für solche Anschläge habe der Kreml jedenfalls meint der Russlandexperte Stefan Meister.

Stefan Meister, Leiter Zentrum für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien

"Russland befindet sich im Krieg mit Deutschland. Das ist sozusagen die Wahrnehmung in Moskau. Und dass Russland hier alle möglichen Mittel einsetzt, um Deutschland zu schwächen und um damit auch Europa zu schwächen und die Unterstützung für die Ukraine. Und das muss man sich bewusst machen, dass dieses Land sich mit uns im Krieg befindet und wir uns damit ja auch im Krieg mit Russland befinden."

Grafenwöhr in der Oberpfalz. Hier befindet sich einer der größten Truppenübungsplätze der US-Armee in Europa. Auch ukrainische Soldaten werden hier trainiert.

Immer wieder wurden in den vergangenen Monaten in Deutschland Drohnen über Militäreinrichtungen gesichtet.

Der Verdacht: Spionage – als Vorbereitung für Sabotageaktionen.

Bayreuth, knapp eine Autostunde entfernt.

Anfang Mai stürmt ein Sondereinsatzkommando dieses Wohnhaus. Darin lebt der Deutschrusse Dieter S.

Laut Bundesanwaltschaft plante er Anschläge in Deutschland. Bei ihm wurden Drohnen gefunden.

Zusammen mit seinem Komplizen Alexander J. soll er US-Stützpunkte ausgekundschaftet haben – im Auftrag Russlands.

Nancy Faeser, SPD, Bundesinnenministerin

"Es ist ein besonders schwerer Fall der mutmaßlichen Agententätigkeit für Putins Verbrecherregime."

S. soll zwischen 2014 und 2016 für die Miliz der sogenannten "Volksrepublik Donezk" gegen die Ukraine gekämpft haben, die Bundesanwaltschaft wertet diese als "terroristische Vereinigung".

Seine Aufträge soll S. online aus Russland bekommen haben, von einer Person mit Geheimdienstverbindungen. Er wurde überführt, weil der Verfassungsschutz seine Kommunikation überwacht hatte.

Ziel der Aktionen: Verunsicherung schaffen, meint der Vorsitzende des parlamentarischen Kontrollgremiums im Bundestag.

Konstantin von Notz, Bündnis90/Die Grünen, Vorsitzender Parlamentarisches Kontrollgremium

"Das ist schon ernst zu nehmen und fügt sich ein in ein Bild eines hybriden Konfliktes, wo, unterstützt auch durch Cyberangriffe und durch Hacks und Leaks und durch die Unterstützung von extremen Parteien am rechten Rand hier eben die Gesellschaft verunsichert werden soll und man den Konflikt, den Russland jetzt in der Ukraine angefangen hat, fortführt."

Vor drei Wochen in Prag – ein weiterer möglicher Anschlag im Auftrag Russlands.

Ein Südamerikaner soll versucht haben einen Brandanschlag auf Linienbusse zu verüben.

Zwei Tage lang wird der sogenannte "Telegram-Agent" öffentlich gesucht. Dann gelingt die Festnahme.

Petr Fiala, Ministerpräsident Tschechien

"Alles deutet darauf hin, dass das aus dem Ausland organisiert und finanziert wurde. Unseren Sicherheitsbehörden zufolge ist es nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich, dass Russland in diesen Fall verwickelt ist."

Der tschechische Inlandsgeheimdienst hält es für möglich, dass der Verdächtige gar nicht wusste, für wen er arbeitete.

Auch das passt zu Beobachtungen des deutschen Verfassungsschutzes.

Thomas Haldenwang, Präsident Bundesamt für Verfassungsschutz

"Nun versucht man möglicherweise auch aus dem kriminellen Milieu Personen zu gewinnen, die eben gegen entsprechende Bezahlung, Sabotageakte begehen. Wir sprechen da von sogenannten Low-Level-Agents, die also tatsächlich ohne tiefere Ideologiebezüge einfach gegen Bezahlung Sabotageakte begehen."

Estland: hier gab es einen Anschlag auf das Auto des Innenministers.

Zehn Menschen werden daraufhin festgenommen – auch sie sollen ihre Anweisungen aus Russland bekommen haben.

Beim Nato-Außenministertreffen in Brüssel Ende Mai schlägt Generalsekretär Jens Stoltenberg Alarm.

Jens Stoltenberg, Nato-Generalsekretär

"Eine russische Kampagne feindlicher Aktivitäten gegen Nato-Alliierte. Wir haben diverse Fälle von Sabotage, versuchter Brandstiftung, Cyberangriffen und Desinforation gesehen."

Margus Tsahkna, Außenminister Estland

"Wir müssen verstehen, dass Russland seine Grenzen austestet und mit unseren Ängsten spielt."

Offenbar spielt Russland auch in Frankreich mit der Angst.

Unter dem Eifelturm tauchen Anfang Juni fünf Särge auf, beschrieben mit: "Französische Soldaten in der Ukraine". Kurz zuvor hatte Präsident Macron verkündet, dass er französische Militärberater in das Land schicken wolle.

Die Behörden nehmen wenige Tage später drei Männer fest. Für wenige hundert Euro hatten sie ihren Auftrag wohl aus Russland erhalten.

Stefan Meister, Leiter Zentrum für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien

"Man greift immer da an, wo Schwachstellen sind mit dieser hybriden Kriegsführung, mit diesen Desinformationskampagnen. Und Frankreich ist im Moment eines der polarisierten Länder in Europa. Und das heißt, hier ist die Chance wirklich, dass ein Machtwechsel stattfindet und dass prorussische Kräfte auch an die Macht kommen, jetzt mit Marine Le Pens Partei. In der Hinsicht sehen wir Frankreich als eines der Hauptziele."

Die französische Nationalversammlung hat Anfang Juni ein "Gesetz gegen ausländische Einmischung" beschlossen. Neben der Möglichkeit Vermögen einzufrieren, bekommen die Behörden nun auch mehr Überwachungsmöglichkeiten.

Frankreich verschärft seine Gesetze. Deutschland debattiert darüber.

Denn auch hier wird versucht, die öffentliche Meinung mit Desinformationskampagnen zu beeinflussen.

Wie hier: US-Popstar Taylor Swift soll gesagt haben

"Die Ukrainer verhalten sich wie Scharlatane."

Schauspielerin Diane Krüger, dass die Europäische Union zerfalle.

Und Schauspieler Matthias Schweighöfer soll dazu aufgerufen haben "nicht an die Ukraine zu denken."

Alles Fake News.

Laut EU steckt Russland auch hinter dieser Kampagne.

Ob FakeNews oder Sabotageakte: Russland dementiert, dahinter zu stehen.

Die Russlandexpertin der Körber-Stiftung kritisiert das in Deutschland nach wie vor fehlendes Problembewusstsein.

Sarah Pagung, Programmleiterin Berliner Forum Außenpolitik, Körber-Stiftung

"Ganz wichtig ist es, dass wir die Sachen erst mal benennen, als was sie sind, vor allen Dingen, wenn sie wirklich nachgewiesen sind, also als Sabotageakte, dass wir es auch stärker zum Thema machen, dass das passieren kann, einfach um das Bewusstsein für dieses Risiko zu erhöhen."

Berlins Justizsenatorin Badenberg sieht den Rechtsstaat angesichts der neuen Gefahr nicht gut aufgestellt:

"Wenn hier im Interesse eines fremden Staates gezielt falsche Informationen verbreitet werden mit dem Ziel der Spaltung der Gesellschaft, mit dem Ziel, den demokratischen Rechtsstaat anzugreifen, dann muss das strafrechtlich entsprechend auch sanktioniert werden."

Auf Badenbergs Initiative hin haben alle 16 Bundesländer den Bundesjustizminister aufgefordert, die sogenannte "Sabotage der öffentlichen Meinungsbildung" unter Strafe zu stellen.

Felor Badenberg, CDU, Justizsenatorin Berlin

"Hier geht es ja um eine aus dem Ausland gesteuerte Einflussnahme-Operation durch unterschiedliche Handlungen. Und das könnte man momentan mit unserem Strafrecht nicht sanktionieren.

Vieles von dem, was Russland hierzulande unternimmt, um unsere Demokratie zu schwächen, ist momentan noch legal – jetzt ist das Bundesjustizministerium gefordert."

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