Vor dem Eingang zum Polizeirevier in der Wolfgangstrasse steht ein Foto von Oury Jalloh und eine Trauerkerze an einem Kellerfenster. Bild: IMAGO/Christian Schroedter
IMAGO/Christian Schroedter
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Revier in Dessau - Der Fall Rose: Tod durch Polizeigewalt?

Bald 30 Jahre ist es her, dass Hans-Jürgen Rose schwerverletzt ins Krankenhaus kommt und kurz darauf stirbt. Zuvor war der 36-Jährige in jenem Dessauer Polizeirevier, das Jahre später wegen des qualvollen Todes von Oury Jalloh in den Schlagzeilen war. Es ist dasselbe Polizeirevier, auf dem drei Jahre vor Jallohs Tod ein weiterer Mann in seiner Zelle stirbt – mit einem Schädelbasisbruch. Das alles mag Zufall sein, doch der Tod von Hans-Jürgen Rose weckt bei den Angehörigen bis heute Zweifel. Sie fragen sich: Wer hat ihm diese schweren Verletzungen zugefügt? Und warum? Vor Kurzem haben sie vier Polizisten wegen Mordes angezeigt. Die Ermittlungen in dem Fall weisen nach Kontraste-Recherchen erhebliche Unstimmigkeiten auf.
 
Beitrag von Kaveh Kooroshy, Paul Salut, Anna Isabel Schwarzer und Carla Spangenberg

Anmoderation: Die Polizei – von Freunden und Helfern wollen wir gar nicht anfangen. Aber: Sie sind diejenigen die uns schützen sollen, die einzigen, die Gewalt anwenden dürfen in diesem Land. Sie sind die, auf die wir uns im Ernstfall verlassen müssen. Ohne Vertrauen in sie und ihre Entscheidungen ist alles nichts. In einem Dessauer Polizeirevier allerdings haben sich immer wieder Dinge abgespielt, die dieses Vertrauen stark erschüttern: Auch der mittlerweile berühmte Tod von Oury Jalloh ist hier geschehen. Aber er war nicht der erste und nicht der letzte Todesfall dort, der Fragen aufwirft. Und die Tatsache, dass vieles Jahre oder Jahrzehnte her ist, macht die Sache eigentlich nur noch bedrohlicher. Denn das Schweigen derjenigen, die damals dabei waren ist erschütternd beharrlich.

Dessau, 07. Dezember 1997. Ein 36-jähriger Familienvater liegt am frühen Morgen vor einem Wohnhaus ganz in der Nähe der Polizeistation Dessau. Sein Name: Hans-Jürgen Rose. Mitten im Winter im T-Shirt, ohne Jacke. Schwerstverletzt und dadurch querschnittsgelähmt.

Später wird ein Polizist aussagen:

"Die Person röchelte und verdrehte dabei die Augen."

Das, was ihm in dieser Nacht widerfahren ist, wird er nicht überleben. Sein Tod ist bis heute nicht aufgeklärt. Wem auch immer Hans-Jürgen Rose 1997 zum Opfer gefallen ist – seine Verletzungen deuten auf einen Gewaltexzess hin.

Den Leichnam Roses hatte damals Rechtsmedizinerin Dr. Uta Romanowski untersucht.

Dr. Uta Romanowski, Rechtsmedizinerin

"Wir haben also diese Verletzungen als Tritte oder auch Schläge, Faustschläge zum Beispiel, jedenfalls als stumpfe Gewalteinwirkung gedeutet. Und das alles insgesamt stellte sich als Bild einer Misshandlung dar."

Im Rechtsmedizinischen Gutachten steht später:

"Derartige Verletzungen entstehen typischerweise durch Stockschläge (...)"

Polizisten hatten Hans-Jürgen Rose in jener Nacht wegen Alkohol am Steuer mit aufs Revier genommen. Warum aber lag er Stunden später schwerstverletzt am Boden – nur etwa 200 Meter entfernt vom Polizeirevier?

Dr. Uta Romanowski, Rechtsmedizinerin

"Es liegt ja eine gutachterliche Äußerung von mir vor, dass also dieser Polizeiknüppel geeignet gewesen wäre. Und natürlich der Tenor war: Wir möchten doch gerne wissen, was sich da auf dem Polizeirevier abgespielt hat."

Das fragen sich seit nun bald 30 Jahren auch seine Frau und drei Kinder. Die Tochter und ihre Mutter sammeln alle Berichte zum Tod von Rose.

Iris Rose, Witwe

"Man kann sich das nicht in den Kopf rufen, das durchmachen, was der die letzten Stunden ... das geht nicht. Da wird man verrückt im Kopf, das geht nicht. Man versucht das einfach zu verdrängen, weil ich wusste, wenn es wirklich Polizei ist und das ja und so, da komm ich nicht an?"

Schon früh kommt der Verdacht auf, Polizisten hätten den Familienvater verprügelt und verletzt in der Straße abgelegt.

Wir wollen herausfinden, was Hans-Jürgen Rose wirklich passiert ist, und fahren nach Dessau. Die damaligen Polizisten leben größtenteils noch dort. Rose ist nicht der einzige Tote, der im Zusammenhang mit dem Polizeirevier Dessau steht.

2005 starb hier auch Oury Jalloh. Er habe sich in seiner Zelle selbst angezündet, so die Beamten. Die Umstände konnten trotz mehrerer Verfahren nicht aufgeklärt werden.

Im Oury Jalloh Prozess stellt ein Gericht später fest: damals wurden Betrunkene von Streifenbeamten dieser Wache "aus dem Bauch heraus" auf das Revier Dessau gebracht und freiheitsentziehende Maßnahmen galten hier als "probates Erziehungsmittel".

2002, drei Jahre vor Jallohs Tod, wurde auf dem Polizeirevier Dessau auch Mario Bichtemann in derselben Zelle tot aufgefunden, Ursache: Schädelbasisbruch.

Drei Männer sterben innerhalb von acht Jahren. Alle unter ungeklärten Umständen.

In Dessau angekommen versuchen wir, die Nacht zu rekonstruieren.

Rose verursacht gegen ein Uhr einen Unfall. Er ist alkoholisiert – der Atemalkoholtest ergibt knapp 2 Promille.

Zwei Polizisten nehmen ihn mit aufs Revier. Was in den nächsten vier Stunden passiert, bleibt bis heute unklar. Gegen fünf Uhr findet ein Bewohner der Wolfgangstraße Rose mit schwersten Verletzungen auf. Er ruft die Polizei.

Ein Polizist vor Ort, hat den Eindruck, dass zwei seiner Kollegen nervös wirken.

"Dann habe ich (…) gefragt, ob sie die Person von irgendwo her kennen. Das verneinten sie (…) sie schienen sichtlich sehr nervös. Das äußerte sich dahingehend, dass sie ständig ziellos hin und her liefen."

Später wird sich herausstellen: Genau diese beiden Polizisten hatten Hans-Jürgen Rose zuvor aufs Polizeirevier Dessau mitgenommen. Haben sie den Mann tatsächlich nicht erkannt? Oder verschweigen sie etwas?

In seiner Aussage gab der Polizist zudem an, er habe auf dem Revier einen Kollegen sinngemäß sagen hören:

"(…) der wollte mir doch da ein paar auf die Fresse hauen, da hab' ich ihm aber eine eingezogen."

Die anderen Polizisten der Nachtschicht bestreiten, diese Äußerung gehört oder gesagt zu haben.

Was passierte also wirklich mit Rose auf der Polizeiwache?

Der sogenannte Lagefilm müsste Aufschluss geben. Es ist eine Art Logbuch, das alle Einsätze, Anrufe und Anwesenheiten auf dem Revier protokolliert. Doch die Uhrzeiten darin passen nicht zusammen.

Das Gutachten eines renommierten britischen Schriftforensikers besagt nun, der Lagefilm wurde wahrscheinlich manipuliert.

Thomas Feltes ist Kriminologe und Polizeiwissenschaftler. Für ihn sind diese Widersprüche erheblich – die Manipulation hätte auffallen müssen.

Thomas Feltes, Kriminologe und Polizeiwissenschaftler

"Das ist für mich einer der tatsächlichen Skandale in diesem Verfahren, weil das eine Urkundenfälschung ist durch Amtsträger, die nachträglich Aufzeichnungen geändert haben. Das hätte in meinen Augen ein Staatsanwalt, der die Ermittlungsunterlagen sich gründlich ansieht, merken müssen."

Auch der Verlauf der Ermittlungen wirft Fragen auf:

Sie fokussieren sich zunächst auf die Polizisten der Nachtschicht: Der Ermittler sammelt Schlagstöcke ein, nimmt DNA-Proben aus dem Speisesaal, weil Rose sich dort offenbar aufgehalten hat.

Doch in Richtung möglicher Polizeigewalt wird nur halbherzig ermittelt. Zwei der Polizisten, die in der Nacht mit Rose in Kontakt standen, werden zunächst gar nicht vernommen. 2002 wird das Verfahren eingestellt.

Rund zehn Jahre später taucht der Name Hans-Jürgen Rose zufällig im Oury-Jalloh-Prozess auf – ein Zusammenhang zwischen den Toten scheint möglich. Unter dem Druck der Öffentlichkeit ermittelt die Staatsanwaltschaft erneut. Doch 2014 stellt sie das Verfahren wieder ein, da es "keine neuen Erkenntnisse" gebe.

Thomas Feltes, Kriminologe und Polizeiwissenschaftler

"Das heißt für mich, unterm Strich, im Grunde genommen ist die entscheidende Stelle die Staatsanwaltschaft gewesen, die hier dieses Verfahren in meinen Augen viel zu schnell wir sagen tot gemacht hat, also einfach eingestellt hat. Aus welchen Gründen auch immer."

Bei der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau ist man zu keinem Interview bereit. Schriftlich heißt es, man könne die Fragen nicht beantworten, weil die Akte derzeit beim Generalbundesanwalt liege.

Hier haben die Hinterbliebenen nun vier Polizisten angezeigt. Gemeinsam mit der Initiative "Recherche Zentrum". Denn in den Ermittlungsakten konnten sie zahllose Unstimmigkeiten finden. Der Verein hat sich auf die Aufklärung von Polizeigewalt spezialisiert.

Der Anwalt der Familie Rose fordert, das Verfahren wiederaufzunehmen – auch wegen der Parallelen zu den anderen Todesfällen:

Sebastian Scharmer, Anwalt der Familie Rose

"Wir gehen von mindestens drei Tötungsverbrechen aus, die jeweils in der Nachtschicht dieses Reviers teils auch mit personellen Überschneidungen von einzelnen Beamten begangen worden sein könnten. Und wenn das so ist, wenn sich die Beamten zurücklehnen konnten, weil sie gesagt haben, hier ermittelt sowieso keiner richtig, wir können eigentlich machen, was wir wollen, dann wäre das ein echter Grund, das Vertrauen in den Rechtsstaat endgültig zu verlieren."

In Dessau versuchen wir auch mit den Polizisten zu sprechen, die von Roses Familie angezeigt wurden. Einen von ihnen treffen wir im Treppenhaus an.

"Kooroshy mein Name."

"Ja?"

"Von der ARD, Kontraste. Wir würden gerne mit Ihnen…"

"Nein! Nein!"

"…über den Todesfall Rose sprechen."

"Nein. Darf ich Sie bitten, das Haus zu verlassen. Verlassen Sie das Haus, ansonsten ruf ich meine Kollegen. Bitte, raus."

Schriftlich antwortet er später. Auch er sei

"(…) sehr daran interessiert, dass der Tod von Jürgen Rose aufgeklärt wird."

und

"Ich werde zu gegebener Zeit (…) Antworten geben."

Zu gegebener Zeit?

Dann treffen wir einen der Polizisten, der 1997 am Fundort nervös gewirkt haben soll.

"Wir haben Fragen zum Todesfall Rose, wir würden gerne mit Ihnen sprechen…"

Auch hier keine Antwort. Später schickt er uns eine SMS: Wir sollen ihn in Ruhe lassen. Auf die Bitte, unsere schriftlichen Fragen zu beantworten, schreibt er:

Träumt weiter.

Der Polizist scheint sich seiner Sache sicher. Ohne Antworten kehren wir zurück aus Dessau. Mit ihrer Anzeige hofft Familie Rose, doch noch Antworten zu bekommen.

Iris Rose, Witwe

"Ich mache das für Jürgen noch mal, ich mach das für seine Mutti. Ich macht das für die Kinder. Ich mach das für uns, für alle und vielleicht für andere noch, die dann eben auch irgendwas dort erlebt haben, in diesem Polizeirevier, ne, vielleicht haben die dann Mut und sagen Jawohl, wir melden uns auch noch."

Der Generalbundesanwalt kann nun entscheiden, ob der Fall noch ein drittes Mal aufgerollt wird. Für das Vertrauen in den Rechtstaat ist es wichtig festzustellen, was in dieser Nacht passiert ist.

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IMAGO/Justin Brosch

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