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In der über 100-jährigen Bühnengeschichte des heutigen Friedrichstadt-Palastes Berlin ist die NS-Zeit das dunkelste Kapitel: Das 1919 vom jüdischen Theatergenie Max Reinhardt gegründete Große Schauspielhaus wurde 1934 Goebbelsʼ Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, sowie dem nationalsozialistischem Freizeitwerk "Kraft durch Freude" (KdF) direkt unterstellt. Die Historikerin Sabine Schneller hat die Geschichte des "Theater des Volks" jetzt erforscht und dokumentiert.
Wir bereiten eine Geschichtsstunde vor über Unterhaltung im Zwielicht. Der Friedrichstadt-Palast hat sein Archiv geöffnet – sogar etwas goldener Stuck von früher ist dabei. Und Programmhefte in alles sagender Ästhetik. Ein neues Buch beleuchtet die Jahre der NS-Zeit im Friedrichstadt-Palast. Intendant Berndt Schmidt hat das Projekt auch wegen des wiedererstarkenden Antisemitismus unterstützt.
Berndt Schmidt, Intendant Friedrichstadt-Palast
"Wir sind ein Unterhaltungstheater, aber zu Unterhaltung gehört auch Haltung. Und da wir jüdische Wurzeln haben mit Max Reinhardt als Gründer des Großen Schauspielhauses, war mir das ein großes Anliegen, auch dieses Haus so zu positionieren, dass wir Demokratie, Vielfalt und Freiheit stehen und den Mund aufmachen, wenn wir das Gefühl haben, die Demokratie ist in Gefahr."
Springen wir kurz zurück zu den Anfängen – "Am Zirkus" war die erste Adresse – gleich um die Ecke. Max Reinhardt lässt einen ehemaligen Zirkus in das spektakuläre "Große Schauspielhaus" umbauen – in den frühen 30ern werden dort Sensationserfolge gefeiert – "Das Weiße Rössl" – eine Revueoperette in der Inszenierung von Erik Charell – davon wird noch zu reden sein. Sogar ein Brettspiel als Werbeartikel gab es.
Sabine Schneller, Historikerin und Autorin
"Erik Charell war Anfang der 20er Jahre in den USA gewesen und hat vom Broadway im Grunde die moderne, große Schau mitgebracht – mit wirklich überwältigenden Tanzeinlagen und Gesangseinlagen. Und das war wirklich der neue Knaller in Berlin."
Erik Charell, Jude und homosexuell, sucht schnell das Weite, als die Nationalsozialisten an die Macht kommen. Am nun so genannten "Theater des Volkes" brechen neue Zeiten an. Auch Joseph Goebbels verschafft sich Zugriff. Man versucht es mit Klassikern – am Anfang steht Friedrich Schiller auf dem Spielplan.
Berndt Schmidt, Intendant Friedrichstadt-Palast
"Das "Theater des Volkes" wurde ja dem Juden Max Reinhardt gestohlen, durch hanebüchene Buchtricks hat man dem das weggenommen. Und dann eröffnen die Nazis am 18. Januar 1934 mit "Die Räuber" – das fand ich wirklich selbstverräterisch."
Sabine Schneller, Historikerin und Autorin
"Aber es hat nicht wirklich funktioniert. Die Leute sind erstmal reingegangen in diese ersten klassischen Stücke. Und dann war die Neugier vorbei und dann sagten die sich: wir wollen aber Spaß."
Ein bisschen Spaß muss sein – und in Diktaturen ist er systemrelevant. Die Nazis sind erstaunlich flexibel, wenn es darum geht, gute Stimmung zu verbreiten. Da greifen sie auch auf die eigentlich verfemte Revueoperette zurück.
Sabine Schneller, Historikerin und Autorin
"Im Krieg 1941, als man schon wenig Mittel hatte für die Erheiterung, weil einfach so viele Stoffe weggefallen waren, hat man nochmal eine Art Nachdichtung gemacht mit der Saison in Salzburg. Also wieder ein ganz ähnliches Stück, jeweils ein Alpenschwank."
Berndt Schmidt, Intendant Friedrichstadt-Palast
"Man konnte natürlich urjüdische Stücke von jüdischen Komponisten und Autoren nicht mehr machen, deswegen hat man versucht: schreib‘ doch mal ein Stück wie… Und da kamen dann eben beim "Weißen Rössl" so Ersatzthemen heraus."
Dass die besten Textdichter das Land schon verlassen hatten, merkt man allerdings an Zeilen wie dieser: "Wenn der Toni mit der Vroni Kuddelmuddel macht…".
"Wenn der Toni … einen Kuddelkuddelmuddel macht."
Ein jüdischer Vorfahr von Johann Strauss wird großzügig übersehen, jüdische Textdichter werden verschwiegen. Als Sinti und Roma schon längst in Lager gesteckt werden, spielt man "Zigeunerliebe", mit Geleitwort von Adolf Hitler.
Berndt Schmidt, Intendant Friedrichstadt-Palast
"Das absurdeste Programmheft des Dritten Reichs, würde ich mal sagen…"
Armes Berlin – auch dein Herzenskomponist Paul Lincke hat kräftig mitgemischt. Ein verführbarer Künstler.
Sabine Schneller, Historikerin und Autorin
"Paul Lincke war jemand, mit dem man sich schmücken konnte, als Regime, und er ließ sich schmücken. Sein Einkommen hat sich von vorher bis in die NS-Zeit hinein verdreifacht. Er ist überall eingeladen worden."
Die "Tropfsteinhöhle", die expressionistische Kuppel, wird glattgeklopft, der Saal umgebaut. Es gibt wenige Filmdokumente aus dem "Theater des Volkes". 1943 dreht Wolfgang Staudte dort seinen Film "Akrobat schöoon" – mit Charlie Rivel, damals auch ein erklärter Hitler-Fan. Dreharbeiten im Bombenkrieg.
"Akrobat schööön"
Wolfgang Staudte, Regisseur (1981)
"Es war immer dasselbe, jeder sagte: solange ich hier zu tun habe, bin ich abgesichert. Und dass die also anflogen, und dass Voralarm war und dass die ihre Bomben warfen – das können Sie sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen – da hat man sich langsam dran gewöhnt."
Das Ende vom Lied – ein Bombentreffer zerstört 1944 den Bühnenraum. Und danach? War was?
Berndt Schmidt, Intendant Friedrichstadt-Palast
"Viele Theater, nicht nur wir, haben versucht, die zwölf Jahre des Naziregimes als Betriebsunfall zu stellen. Man hat gesagt, es war ne Zäsur und jetzt machen wir es besser. Es war aber keine Zäsur, man hat sich zwölf Jahre in den Dienst des Regimes gestellt und man hat Dinge verdrängt. Und diese Verdrängung, die wollten wir einfach aufbrechen."
1980 erlebt der alte Friedrichstadt-Palast seine letzte Show, wird dann wegen Baufälligkeit abgerissen. Einzig die "Girlreihe", die gibt es immer noch.
Autor: Steffen Prell