-
Das zentrale Werk der großen Gerhard Richter Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie ist der aus vier Bildern bestehende Zyklus "Birkenau", der 2014 entstand. Er ist das Ergebnis einer langen und tiefen Auseinandersetzung Gerhard Richters mit dem Holocaust und dessen Darstellbarkeit. Grundlage der Werke sind vier Fotografien aus dem KZ Auschwitz-Birkenau. Der Zyklus gilt als eines der wichtigsten Werke von Gerhard Richter, der schon in den 1970er Jahren anfing, sich mit Fotografien zu beschäftigen. Benjamin Buchloh, ein Kunsthistoriker, Weggefährte und Freund von Gerhard Richter, blickt auf die Karriere von Deutschlands berühmtestem Maler.
Benjamin Buchloh und Gerhard Richter sind selten einer Meinung und vielleicht deshalb so gute Freunde. 1972 lernt Buchloh als junger Galerie-Mitarbeiter den aufstrebenden Maler kennen, der 1961 aus der DDR übergesiedelt war. Kunst hatte damals für Benjamin Buchloh politisch zu sein. In Gerhard Richter sah er einen anti-bourgeoisen Maler. Aber Richter verweigert sich diesen Ansprüchen – bis heute – gebrannt von der Staatsdoktrin des "Sozialistischen Realismus."
Gerhard Richter, 1969
"Politisch wirksam kann man ja anders besser sein, als mit Bildern."
Benjamin Buchloh, Kunsthistoriker
"Ich würde mich als Sozialisten bezeichnen, damals insbesondere, aus der Studentenbewegung kommend. Und Richter hatte nichts als phobische Verachtung für die Geschichte der DDR. Für mich war es eine ganz andere Betrachtungsweise."
Buchloh und Richter streiten oft über Kunst. Auch über die EINE Frage der 68er: Was kann Malerei, Kunst leisten nach dem Verbrechen des Holocaust? Buchloh findet Konzept-Kunst toll, die Anti-Kunst-Bewegung! Mit Malerei kann er wenig anfangen. Gerhard Richter malt weiter, unscharfe Bilder, oft grau.
Benjamin Buchloh, Kunsthistoriker
"Für ihn konnte ein Abstraktionsbild eine Rettung der vergangenen Schönheit bedeuten, das es einem leichter macht, die unerträglichen Bedingungen der Alltagswelt sowohl zu kritisieren als auch zu ertragen."
Wie Richter um eine künstlerische Zeitdiagnose ringt, kann Buchloh nun in Berlin sehen. Ein Leben lang hat er sich als Kunsthistoriker mit diesem Werk beschäftigt: wie Richter die Gegenwart und die deutsche Vergangenheit ergründet: Mit "Onkel Rudi" zum Beispiel, dem Wehrmachtssoldaten. Entstanden 1965 – eine Auseinandersetzung mit den Tätern in der eigenen Familie! Richter hat es einem Gedenkort gestiftet, der an die Gräueltaten der Wehrmacht erinnert.
Benjamin Buchloh, Kunsthistoriker
"Das macht "Onkel Rudi" eben ganz besonders wichtig, weil das eine ganz andere Form des Eingedenkens ist, als die offizielle Gedächtnis-Kultur es haben wollte, die es zu der Zeit ja in Gang bringt und eigentlich am liebsten als Verdrängungskultur funktioniert hätte, statt als Erinnerungskultur."
Immer wieder setzt sich Richter mit der NS-Zeit auseinander. Doch erst 2014, mit dem Birkenau-Zyklus, wagt er es, ein Werk den Opfern des Holocaust zu widmen. Angeregt durch diese Fotos: 1944 aufgenommen von einem unbekannten Häftling in Ausschwitz. Richter kannte sie lange, bevor er sich als Künstler mit ihnen befasst. Zögernd.
Benjamin Buchloh, Kunsthistoriker
"Dann hat er über ein Jahr lang die Skizzen, die ich auch gesehen habe, bei Atelier-Besuchen - über ein Jahr lang Skizzen gemacht, die er dann nach sehr langer Bedenkzeit überwischt hat, ausgewischt und übermalt hat."
Benjamin Buchloh hat erlebt, wie sehr Richter mit diesen vier Bildern kämpft, jahrelang: In jedem Pinselstrich entdeckt er den Zweifel.
Benjamin Buchloh, Kunsthistoriker
"Hier würde ich sagen, gibt es eigentlich keine einzige große, zügige Geste, sondern alles wird immer gleich, sowohl vertikal als auch horizontal unterbrochen. Das ist ein Stammeln oder ein Stottern."
"Und das ist eben sehr verteufelt, dass man da auch gleich in die Falle geht und sagt: Na ja, Rot ist nun mal Blut. Und ist das Rot eine Referenz zur Natur? Ist das Rot eine Referenz zur deutschen Weimarer Fahne? Oder ist das Rot einfach rot? Das kann ich selber nicht beurteilen. Das kann jede Betrachterin und jeder Betrachter alleine überlegen und entscheiden."
Jegliche Darstellung der Opfer erschien Gerhard Richter obszön. Trotzdem sucht das Auge, unwillentlich, nach verbliebenen Spuren der Fotos.
Benjamin Buchloh, Kunsthistoriker
"Das ist eine falsche Fährte. Bestimmt kann man der erliegen, aber das lässt man besser hinter sich, glaube ich, sobald als möglich."
Es gibt nur die Übermalung. Die "Auslöschung" – wie Buchloh sagt. Und vier riesige, graue Spiegel, die Richter seinen Gemälden gegenüberstellt.
Benjamin Buchloh, Kunsthistoriker
"Die Konfrontation mit sich selbst im Spiegelbild hier ist schon genau eine Aufforderung zu sagen okay, ich liefere hier keine Ersatzfunktion. Das ist deine Aufgabe, darüber nachzudenken, was du hier siehst."
Der Birkenau-Zyklus ist düster und unfassbar. Diese Malerei stellt Fragen – vielleicht die wichtigste Arbeit von Gerhard Richter.
Autorin: Petra Dorrmann