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Mit viel Witz erzählt Samuel Finzi von seiner Jugend in Bulgarien und ganz nebenbei über das gelingende Leben im falschen System.
Auftritt Samuel Finzi – der homo ludens, der spielende Mensch, in seinem natürlichen Habitat. Wir sind am Deutschen Theater verabredet.
Samuel Finzi, Schauspieler
"Es wird sozusagen die Essenz des Lebens zusammengepfercht und man existiert anders, zwei, drei Stunden und das ist schon nicht schlecht."
In andere Existenzen abtauchen – komprimiert leben – Samuel Finzi tut das mit großem Erfolg.
"Hier geht es um Leben und Tod."
Wie hat das alles einmal begonnen? Samuel Finzi zitiert Nikolai Gogol.
"Der Satz lautet – jetzt sehe ich alles klar vor mir – wie auf der flachen Hand."
Und er erzählt uns jetzt davon. Er hat ein Buch geschrieben – über sein Aufwachsen in Bulgarien. Und wir haben ein paar Mitbringsel vorbereitet.
"… sind die alle für mich?"
"Lass mich raten – ist es ein deutsch-bulgarisches Wörterbuch? …"
"Reclamhefte!!!"
Ja, Reclamhefte. Denn Samuel Finzi besuchte ein altsprachliches Gymnasium in Sofia. Latein, Altgriechisch – ein außergewöhnliches Schulmodell im sozialistischen Bulgarien.
Samuel Finzi, Schauspieler
"Diese anderen Fächer, die wurden anders unterrichtet und schafften einen Geist, der etwas freier war, komischerweise, weil wir uns sehr viel mit der Antike befasst haben."
Ist noch was hängengeblieben?
"Nee, das ist peinlich, wenn ich das mache. Ich kann zum Beispiel das Ende von den Metamorphosen ganz schnell herbeirufen…."
"… das habe ich mir gemerkt!"
Mit der Antike hat er sich gerade erst wieder beschäftigt – auf internationalem Parkett in "Seneca", mit Weltstar John Malkovich.
"Seneca" Mit Samuel Finzi Aktuell im Kino
"Lasst ihn an den Knochen … den ich gegen ihn hege!"
Und mit Geraldine Chaplin, Tochter von… Charlie Chaplin!
Den verehrt er, ein Held seiner frühen Tage. Das Kino überhaupt wird ein magischer Anziehungspunkt. In Bulgarien laufen Filme im Original untertitelt.
Samuel Finzi, Schauspieler
"Verschiedene Sprachen, Sprache ist ja Musik – und das waren verschiedene Musiken, die da klangen, aus der Leinwand."
Und damit zum Höhepunkt der Kinoleidenschaft – dieses Hippiemusical sieht er sich 17-mal an.
Samuel Finzi, Schauspieler
"Die ganzen Tänze, die Mode, die langen Haare, die Art und Weise, wie sie freie Liebe gemacht haben – es war eben das, was uns vorenthalten wurde. Ein Film von einem Dissidenten - Milos Forman."
Mit der Freiheit ist es nicht allzu weit her im Bulgarien der 70er und 80er Jahre unter Staatschef Schiwkow. Für Samuel Finzi fühlt es sich zunehmend wie ein Gefängnis an. In seinem autobiografischen Roman schildert er, wie der Wunsch nach Freiheit immer größer wird. Geboren wird er in eine Künstlerfamilie – Pianistin die Mutter, Schauspieler der Vater.
Samuel Finzi, Schauspieler
"Die haben mir einen geschützten Raum geschaffen und mich in Ruhe gelassen. Dieser fanatische Respekt vor der Arbeit, haben sie mir auch weitergegeben – für die Sache, an der man gerade arbeitet, macht man alles."
Dem Vater gelingt es damals auch trotz vieler Hürden eine Familienreise nach Frankreich und Italien zu organisieren. Ganze drei Scheiben Parmaschinken sind drin – ein klitzekleines bisschen dolce vita.
Samuel Finzi, Schauspieler
"Da saßen wir mit Mama und Papa – wir hatten echt die letzten Lire da zusammengekratzt."
In "Samuels Buch" erzählt Finzi Geschichten vom Aufwachsen und vom Erwachsenwerden. Mal wie ein Filou, dann plötzlich wieder mit bitterem Ernst. So wie beim Thema Militärzeit.
"Oh, ja!"
Zwei Jahre verplemperte Lebenszeit.
Samuel Finzi, Schauspieler
"Die Pflicht war: man muss schon mit geschorenem Kopf antreten. Das war der größte Horror, weil: geschoren wurden die Köpfe im Gefängnis bis dahin, oder bei der Armee. Ja, war nicht lustig."
Am Ende: steht die Ankunft in Berlin – direkt nach dem Mauerfall. Ein neuer Weg beginnt – Finzi sieht alles klar vor sich, wie auf der flachen Hand. Für heute aber ist Schluss.
Autor: Steffen Prell