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2009 verließ Alnemr im alter von 12 jahren Syrien, um sich seinen Traum zu erfüllen: Er wollte Geiger werden. Alnemr hatte vorher schon in seiner Heimat Geigenunterricht genommen. Er ging nach Frankreich, erhielt Unterstützung einer privaten Klassikstiftung aus der Schweiz, gründete in Frankreich ein eigenes kleines Musikfestival und lebt jetzt in Berlin. Hier spielt er in Daniel Barenboims "West-Eastern-Divan-Orchestra" und will auch die Musik seiner Heimat in europäische Konzertsäle bringen.
Wer den Geiger Bilal Alnemr im Konzert erlebt – der hört als erstes nicht seine Violine. Er hört als erstes - seinen Atem.
Bilal Alnemr, Geiger
"Wenn ein Kind sein Leben beginnt – dann fängt es an zu atmen."
Bilal Alnemr, Geiger
"Gemeinsam atmen zu können, ist eine Form der Kommunikation zwischen Menschen. Es ist ein Willkommen, eine Ode an das Leben. Das gefällt mir."
Mit seiner Pianistin Martina Consonni spielt er ein Stück von Tschaikowsky. "Souvenir à un lieu cher". Erinnerung an einen lieben Ort – heißt das übersetzt.
Bilal Alnemr, Geiger
"Es gibt vieles, was mir an meiner Heimat fehlt. Es ist Nostalgie, Melancholie. Aber ich transportiere das in den Klang – ich baue ein Haus aus Klang."
Geboren ist Bilal Alnemr in Syrien, in Damaskus. Und schon früh begeistert er sich für Musik. Mit einer Spielzeuggeige fängt alles an, bis er das erste richtige Instrument in Händen hält. Ab und zu bekommt er Unterricht – aber er ist auch Autodidakt. Eine DVD mit einem Auftritt des Geigers Maxim Vengerov ersetzt ihm den Lehrer.
Bilal Alnemr, Geiger
"Ich habe die DVD endlos geschaut. Sie lief wieder und wieder, Tag und Nacht. Ohne Ton. Ich habe alles imitiert. Den Klang, die Bewegungen, die Grimassen – drei Jahre lang."
Ein Naturtalent. Dieses Capriccio von Niccolo Paganini eignet er sich selber an. Mit zwölf Jahren.
Bei diesem Auftritt in Thessaloniki entdecken ihn französische Lehrer eines Konservatoriums in Aix-en-Provence. Und wollen ihn als Schüler nach Frankreich holen.
Bilal Alnemr, Geiger
"Meine Eltern haben gesagt: nein, nein, er ist zu jung, das geht nicht.
Aber sie haben es dann akzeptiert, für mich war es die richtige Wahl. Und ich habe dann sehr ernsthaft Violine gelernt."
Musik kann ein Zuhause sein, für einen Menschen. 2015, als die Situation in Syrien immer dramatischer wird, fliehen seine Eltern und seine Schwester nach Frankreich. Die Gemeinde Vauvenargues in der Provence nimmt die vier auf. Zum Dank hat Bilal Alnemr dort vergangenes Jahr ein Festival gegründet – bei dem er viel syrische Musik vorgestellt hat.
Bilal Alnemr, Geiger
"Ich komme aus einer sehr alten Zivilisation die einen ausgeprägten Sinn für Kultur und Musik hat. Und das wollte ich teilen. Es kann schwer werden, wenn man immer das Gefühl hat, etwas zurückgeben zu müssen – anstatt gemeinsam etwas zu teilen."
Diese Kultur will er auch in Berlin teilen. Er spielt eine "hurritische Hymne", basierend auf den ältesten bekannten Musiknotationen der Menschheit.
3400 Jahre alt – gefunden in der antiken syrischen Stadt Ugarit.
Diese uralte Kultur wird auch den Krieg in Syrien überdauern, sagt Bilal Alnemr. Seit 2018 hat er hier in Berlin einen zweiten Wohnsitz und Daniel Barenboim hat ihn persönlich für das West Eastern Divan Orchestra ausgewählt, in dem Musiker aus verfeindeten Ländern zusammen musizieren. Warum das gelingt?
Bilal Alnemr, Geiger
"Wenn zwei Klänge sich mischen, entsteht eine Harmonie - es entsteht etwas Metaphysisches. Und man hat den Eindruck, nicht mehr in der Welt mit den Konflikten von heute zu sein."
Autor: Steffen Prell