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Dass Berlin heute einer der bedeutendsten Sammlungen von Munch-Grafiken besitzt, ist das Verdienst eines Mannes, der nur noch Kunstspezialisten bekannt ist: Curt Glaser. Dabei war der Mediziner und promovierte Kunsthistoriker im Berlin der 1910er und 20er Jahre eine bekannte Persönlichkeit, berühmt für seine Kunstsammlung und die eleganten Salons, die er mit seiner Frau Elsa gab. Früh freundet er sich mit dem norwegischen Maler Edvard Munch an, besucht ihn in Oslo und macht seine Bilder in Berlin bekannt. 1933 dann, werfen die Nazis den jüdischen Kunstkenner aus Job und Wohnung. Im Mai 1933 verkauft er einen Großteil seiner Kunstwerke, flieht mit seiner zweiten Frau in die Schweiz, später nach Amerika, wo er 1943 stirbt. Jahrzehnte später erst entdecken seine Nachfahren seine Geschichte.
Valerie Sattler besucht das Kulturforum. Sie ist in New York geboren, heute lebt sie in Nürnberg. Sie ist eine der Erbinnen von Curt Glaser, der in den 1920er Jahren im Kupferstichkabinett und an der Kunstbibliothek gearbeitet hat und eine große Kunstsammlung besaß. Curt Glaser ist der Großonkel von Valerie Sattler.
Valerie Sattler, Erbin von Curt Glaser
"Meine Mutter hat gesagt, er war ein ziemlich introvertierter Mensch. Sie sagte, er war ganz weich, ganz sanft. Aber eben dieses Blitzen in den Augen. Also, dass er Humor hatte und Freude hatte."
Immer montags traf sich die Kulturprominenz bei den Glasers. Bis 1933. Weil sie Juden waren, flohen Curt Glaser und seine zweite Frau Maria erst in die Schweiz dann in die USA: Dort stirbt Curt Glaser schon 1943.
Valerie Sattler, Erbin von Curt Glaser
"Die Großtante, die Maria Glaser wohnte in New York, und wir haben sie besucht. In ihrer Wohnung hingen noch Kunstschätze, unter anderem eine Postkarte von Chagall, ´an meinen Lieben Curt´ adressiert. Also die Postkarte war von Chagall natürlich selbst gemalt und ein Modigliani Akt, so kleine Sachen. Und meine Mutter hat erzählt, dass Curt Glaser ein Kunstsammler war, aber so viel mehr habe ich nicht gewusst."
"Die Einsamen" und "Der Kuss" von Edvard Munch. Schätze des Kupferstichkabinetts, die einst Curt Glaser gehörten. Eins hat er 1927 dem Museum geschenkt. Das andere kam Ende 1933 in die Sammlung. Auch der Kirchner ist erst seit 1933 hier. Unrechtmäßig, wie die Anwältin Anja Studzinski herausgefunden hat. Sie hat recherchiert, dass Curt Glaser damals als Direktor der Kunstbibliothek entlassen wurde, weil er Jude war.
Anja Studzinski, Rechtsanwältin
"Bei Kurt Glaser ist es so, dass man aus der Entschädigung entnehmen konnte, dass er einen Großteil seiner Sammlung, aber auch seine Kunstbibliothek, seine Wohnungseinrichtung in zwei Auktionen in Berlin im Frühjahr 33 veräußert hat, veräußern musste, weil er verfolgt war als Jude und mit seiner Frau, mit Maria Glaser. Und weil sie Deutschland verlassen mussten, weil sie fliehen wollten. Es musste alles schnell gehen, der Besitz musste veräußert werden und für uns war das, gab es gar keine Frage, dass es ein NS-Verlust ist."
Curt Glaser hat nicht nur die Bilder von Edvard Munch gesammelt – er war mit dem Norweger befreundet und schrieb ihm regelmäßig Briefe.
Valerie Sattler, Erbin von Curt Glaser
"Am 19.05.1933, das war der Tag der letzten Auktion, schreibt Curt Glaser an Edvard Munch: ´Ich musste meine Wohnung aufgeben, ich habe mein Amt verloren, da ich es sinnlos fand, jetzt eine neue große Wohnung zu mieten, habe ich mich von all meinem Besitz freigemacht, um wieder ganz neu anzufangen.´"
"Da merkt man ein bisschen mehr, was in einem Mensch los ist, in einem Brief, mehr als nur aus einer Erzählung."
Heute erinnert die Topografie des Terrors an die Verbrechen von Gestapo und SS, die hier ihren Sitz hatten. Bis 1933 wohnte hier Curt Glaser. Damals war es die Prinz Albrecht Straße. Und in der Nummer 8 hatte er seine Dienstwohnung. Er musste raus – damit die Gestapo einziehen konnte.
Valerie Sattler, Erbin von Curt Glaser
"… und da ist die Nummer Acht, Geheime Staatspolizei."
Anja Studzinski, Rechtsanwältin
"Prinz Albrecht Straße 8, also hier war die Kunstbibliothek und hier war auch die Dienstwohnung. Curt Glaser war nicht nur Jude, Curt Glaser verkörperte all das, was den Nationalsozialisten verhasst war. Die Kultur, die Kunst, die Moderne Kunst. Alles, was er liebte und kommunizierte war konträr zu dem, was die Nationalsozialisten wollten und verfolgten."
Valerie Sattler, Erbin von Curt Glaser
"Es war eine große Kampagne gegen Juden in der Presse. Und es war ihm klar, dass er nicht mehr hier arbeiten kann, dass er kein keine Zukunft hier hat. Und ich glaube, er hat mit seine junge, viel, viel jüngere Frau versucht, irgendwas zu retten, an Leben."
Trotz intensiver Detektivarbeit, unter anderem auch im Zentralarchiv in Berlin, wissen Anja Studzinski und Valerie Sattler bis heute nicht, wie groß die private Sammlung von Curt Glaser wirklich war. Darunter Bilder - natürlich von Munch - aber auch von Kokoschka, Beckmann, Kirchner, Matisse.
Die Berliner Museen haben sich aufgrund der Recherchen mit Valerie Sattler und den anderen Erben geeinigt. Vier Bilder wurden zurückgegeben, die restlichen konnten in Berlin bleiben.
Valerie Sattler, Erbin von Curt Glaser
"Doktor Glaser, Berlin, Prinz Albrecht str. 8. Es ist tragisch, wenn Menschen vergessen werden. Es ist tragisch, wenn das, was sie geschaffen haben, vergessen wird. Und Kurt Glaser ist in Vergessenheit geraten nach dem Krieg."
Geblieben ist das Portrait von ihm, gemalt von Max Beckmann. Eines der wenigen Bilder, die Curt Glaser auf seiner Flucht in die USA retten konnte.
Autorin: Nathalie Daiber