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Die in Wismar geborene und in Berlin lebende Dramatikerin und Autorin Anne Rabe ist mit ihrem neuen Roman gerade für den deutschen Buchpreis nominiert worden. Sie erzählt in "Die Möglichkeit von Glück" die autofiktionale Geschichte von Stine, die in der DDR in einer systemtreuen Familie aufwächst und deren Koordinatensystem durch die Wende durcheinandergerät. Anne Rabe erzählt damit auch von den langfristigen Folgen eines totalitären Gesellschaftssystems auf jeden Einzelnen.
Die Erinnerungen an das Land, das meine Geburt beurkundet sind blass. Die DDR lag 1986 in ihren letzten Zügen, aber davon wusste ich nichts in meinem Kinderbett.
Ich weiß noch, einmal, da hing die Stadt voller Fahnen. Es muss um den siebten Oktober gewesen sein, dem Tag der Republik.
»Leben wir in Deutschland?«, fragte ich Mutter und sie sah mich streng an und korrigierte, »nein, wir leben in der DDR.« So als hätte ich etwas furchtbar Dämliches, Verkehrtes, etwas der Kategorie »Ich-geb-dir-gleich-ne-Kopfnuss«-Falsches gefragt.
Fragen stellen, genau darum geht es Anne Rabe in ihrem Roman "Die Möglichkeit von Glück". Die Erzählung einer jungen Frau, die sich gezwungen sieht, die DDR-Vergangenheit ihrer Familie aufzuarbeiten. Für Anne Rabe ein sehr persönliches Anliegen.
Anne Rabe, Autorin
"2019, als es schon mal politisch so ähnlich aussah wie jetzt. Dass die AfD drohte, einen ostdeutschen Ministerpräsidenten zu stellen oder zur stärksten Kraft zu werden, das war so der Moment, wo ich mir darüber Gedanken gemacht habe - Warum ist mir das eigentlich so vertraut und so zwangsläufig kommt mir das vor. Und andererseits natürlich, warum ist das so? Warum ändert sich da nichts in diesem Osten? Wie bin ich eigentlich aufgewachsen?"
Anne Rabe ist 1986 in Wismar geboren und beschreibt eindrücklich, wie es sich anfühlt zwischen Diktatur und Demokratie aufzuwachsen.
Anne Rabe, Autorin
"Ich glaube auch, es ist durchaus eine Generation, die keine geliebte Generation ist, einfach weil sie in der Agonie der DDR geboren wurde, dort hineingeboren wurde. Viele der Eltern waren sehr jung. Das hatte auch was mit dem Versuch der DDR zu tun, die Geburtenrate anzukurbeln, indem man da eben Programme aufgesetzt hat, dass man dann eine Wohnung bekommt. Und dann kommt dieser Bruch 89´ und dann hat das ja wiederum auch zu Spannungen geführt, denn jeder, der damals kleine Kinder hatte, hatte viel größere Probleme auf einmal, als wenn man alleine losgehen kann in die Welt."
Woher kommt die Gewalt, die sie als Kind und Jugendliche allgegenwärtig empfindet, als normal, alltäglich. Die Auswüchse, die es in die Nachrichten schaffen, der Fremdenhass, die Brutalität. Für Anne Rabe sind das die Folgen von unaufgearbeiteten Erfahrungen, die über Generationen weitergegeben werden.
Anne Rabe, Autorin
"Und Ich kann mir ganz schwer vorstellen, dass das nichts ist, was nur auf der Straße entsteht, sondern was auch schon in den Familien steckt und was dort eine lange Tradition hat. Das ist etwas, was mich selber überrascht hat bei der Recherche, dass das bei ganz vielen eine Rolle spielte. Und zwar ganz unabhängig davon, ob die Eltern systemtreue Familien waren oder ob es Oppositionsfamilien waren oder Dissidenten-Familien."
Anne Rabe blickt zurück auf drei Generationen Familiengeschichte, die beim Opa beginnt. Sie versucht die Lücken zu schließen, nach dem "Un-Erzählten" zu forschen. Er hat das Trauma des 2. Weltkriegs erlebt, später am Aufbau der DDR mitgearbeitet, als Propagandist und - Lehrer.
Anne Rabe, Autorin
"Die Rolle der Pädagogik ist für mich eine, die enorm wichtig ist und unterbeleuchtet, weil man ganz oft in Diskussionen dazu neigt zu sagen - Na ja, gut, aber es gab doch ganz viel Kinderbetreuung oder es gab, da waren doch immer alle beschäftigt. - Also das war auch eine Sache, sozusagen in der Nachwendezeit, wo es immer hieß: Ja, weil wir jetzt die FDJ nicht mehr haben, sind die jetzt alle Nazis, weil sie wissen nichts mehr mit sich anzufangen."
Ausschnitt Unterrichtsfilm DDR
"Ich melde die Klasse zum Unterricht bereit."
- "Danke!"
Anne Rabe, Autorin
"An erster Stelle bei den Pionier-Geboten zum Beispiel ist die Liebe zum Vaterland und nicht die Liebe zu den Eltern. Und das sind eben Dinge, wo natürlich viele immer so drüber hinweggehen und hinweg wischen und sagen: ´Ja, aber das haben wir alle nicht so ernst genommen.` Aber das hatte einen enormen Einfluss auf die, Menschen, auf die Kinder und auch auf das Gesellschaftsbild."
"Die Möglichkeit von Glück" ist keine kalte Abrechnung mit der DDR. Gerade deshalb geht das Buch so unter die Haut. Anne Rabe lässt uns miterleben, wie schmerzhaft die Aufarbeitung der Vergangenheit ist: weil es um Menschen geht, die sich nahestehen.
Gleichzeitig hat das Buch auch eine Antwort auf die Frage, wie der Kreislauf der Gewalt gebrochen werden kann: Durch den Mut, Fragen zu stellen.
Autorin: Charlotte Pollex