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"Schlamassel" spielt Ende der 90er in Brandenburg und Johannas Zukunft scheint so grau wie der Winterhimmel. Ihre Familie ist voller Konflikte, über die keiner spricht. Der Film beobachtet genau, erzählt sehr nah und direkt von der Nachwendezeit und davon, dass man manchmal in die Vergangenheit zurück muss, um mit der Gegenwart klarzukommen.
Es ist das Jahr 1997, die Welt feiert ein geklontes Schaf. In Brandenburg schlägt sich Johanna als Fotografin durch. Auch mit schmierigen Jobs im neuen Autohaus.
Oma ist tot, damit fängt es an, das Schlamassel, von dem dieser Film erzählt.
"Wie war die Beerdigung? Traurig?"
- "Keine Zeit für traurig"
Die Regisseurin Sylke Enders hat auch das Drehbuch zum Film geschrieben, der das Lebensgefühl der Nachwendezeit spiegelt. Prägende Jahre für die Regisseurin, die in Brandenburg an der Havel geboren und in Kleinmachnow aufgewachsen ist.
Sylke Enders, Regisseurin
"Man konnte da schon sehen, das Alte hat nicht funktioniert, das Neue womöglich auch nicht so gut für Jedermann. Da wurde ja leicht die Wende als Entschuldigung herbeigerufen. So nach dem Motto: Die anderen sind schuld, dass ich mich so oder so fühle. Tatsächlich ist die Welt komplexer."
Sylke Enders Erzählung nimmt uns mit in den Mikrokosmos Familie.
"Hast Du mit Oma gesprochen?"
Schnell wird klar: hier liegt einiges im Argen.
"Weil es vielleicht wehtut, wenn der eigene Bruder sich das Erbe unter den Nagel reißt Arschloch."
Johanna wird von ihrer Mutter vorgeschoben, an der Beerdigung teilzunehmen. Sie ist der Blitzableiter für all die geballte Frustration, die sich um sie herum entlädt.
Ihre Geschichte scheint sich zu wenden, als ihr das Foto einer ehemaligen KZ-Wächterin in die Hände fällt: Vielleicht eine Chance, als Reporterin die ganz große Story auszugraben.
Sylke Enders ist bekannt für ihr Gespür, provokante Figuren zu zeichnen, nicht leicht verdauliche Geschichten zu erzählen.
Sylke Enders, Regisseurin
"Der Auslöser dieser Geschichte. Es war tatsächlich die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Ich stieß auf Täterinnen, Protokolle. Aber das war noch nicht das Spannendste. Unsere Suche nach Stunden ergab, dass es auch Kassetten gab. Und dann hörte ich diese Protokolle. Die Stimmen, die Pausen."
Die Begegnung mit dem Bösen gestaltet sich anders als erwartet. Wieder begegnet sie einer Familie, die wenig voneinander wissen will.
"Mutti dit will jetzt keiner wissen"
- "Sind wir bei der Stasi oder watt?"
Die Auseinandersetzung mit der KZ-Wärterin lässt sie nicht los. Immer wieder sucht Johanna Anneliese Deckert auf, wird von ihr eingeladen. Klagt nicht an, hört zu.
"Der Himmler schaut immer auf die Hände."
Sylke Enders, Regisseurin
"Ich hatte alle diese Gefühle. Ich fand sie furchtbar. Ich fand sie widerwärtig. (…) Diese Fremdheit. Gleichzeitig aber mich erinnerte, so fremd ist so einiges doch nicht. Also eigentlich kenne ich diese Art des Runtermachens, das Sich-gesund-Stoßens am Leid anderer."
Johanna bricht das Schweigen in der fremden Familie. Gleichzeitig wird ihr bewusst, welche Leerstellen es in der eigenen gibt.
"Meine Oma war auch verschlossen. Sie ist grade verstorben, Affenliebe war das zwischen uns... Sie hat auch unschöne Dinge getan."
Obwoh Sylke Enders eine Geschichte aus den 90ern erzählt, ist sie berührend aktuell. Es geht um unaufgearbeitete Traumata, die über Generationen weitergegeben werden. Ein Film, der aufwühlt und fordert.
Sylke Enders, Regisseurin
"Das ist das Schwierige. Wir müssen Dinge aushalten. Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir Menschen in unserer Nähe haben, die uns sehr wichtig sind und die trotzdem so einigen Dreck am Stecken haben. Und in dieser Widersprüchlichkeit wäre es für mich wünschenswert, dass wir die Dinge trotzdem benennen dürfen und nicht als Nestbeschmutzer gelten."
Autorin: Charlotte Pollex