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Die Afghanin Homeira Qaderi lebt als Professorin, Aktivistin und Autorin in Cambridge, Massachusetts. In "Dich zu verlieren oder mich" erzählt sie ihre persönliche Geschichte - ihr Leben als Mädchen und Frau in Afghanistan. Sie schreibt über ihre Heimat im Krieg; von der russischen Besatzungszeit, vom Bürgerkrieg und von der Herrschaft der Taliban. 2021 entführt sie ihren eigenen Sohn, um Kabul mit einem der letzten Flugzeuge zu verlassen. In Berlin hat sie ihre bewegende Autobiographie vorgestellt.
Homeira Qaderi
"Ich war immer eine Soldatin in eigener Sache, war eine Kämpferin für mein Leben. Es war mein Traum, eine Frau zu sein, eine Frau in einem Land mit diesen Traditionen. Ich habe oft laut widersprochen in Afghanistan und dafür bezahlt."
"Dich zu verlieren oder mich" heißt die Autobiografie von Homeira Qaderi. Darin beschreibt sie sich als ungewöhnliches 13-jähiges Mädchen: Sie gibt heimlich anderen Mädchen Unterricht und erfindet Kurzgeschichten. Das Kind Homeira kennt nur den Krieg: Selbstbewusst kämpft sie um ihre Rechte, schon während der russischen Besatzung, dann im Bürgerkrieg und dann unter der Schreckensherrschaft der Taliban.
Die 1980 in Kabul geborene Schriftstellerin wird verheiratet. Sie geht mit ihrem Mann in den Iran, wo sie studieren kann. Später wird sie Professorin für persische Literatur in Afghanistan. Sie bekommen einen Sohn - er ist Homeira Qaderis größtes Glück. Der heute Neunjährige Sziawash begleitet sie jetzt auf all ihren Lesetouren. Er kennt das Buch in und auswendig.
Siawash Tamanna
"Zunächst einmal war es sehr interessant. Alle Kapitel gefallen mir, weil sie von den Frauen aus Afghanistan, meiner Mutter und mir handeln."
In ihrer Autobiografie schreibt sie an ihn herzzerreißende Briefe, damit er sie nicht vergisst.
Denn sie muss ihren damals 19 Monate alter Sohn beim Vater lassen. Nach der Scharia hat er das Sorgerecht. Der Scheidungsgrund: Er will eine zweite Frau heiraten. Und nach der Scharia hat er auch dazu das Recht. Homeira will keine zweite Frau neben sich dulden. Sie ist total zerrissen, zwischen der Liebe zu ihrem Sohn und ihren Rechten als Frau.
Homeira Qaderi
"Ich konnte mit meinem Sohn vier Jahre lang nicht zusammen sein, und ich konnte nicht mit ihm sprechen, ihn sehen, ihn besuchen oder irgendwie mit ihm in Kontakt treten. Das letzte Mal sah ich ihn mit eineinhalb, als ich ihn wiedersah, war er fünf. Das sind viele Jahre."
Ab 2011 arbeitet Homeira Qaderi als Professorin in Kabul und als Beraterin für das afghanische Ministerium für Arbeit und Soziales. Sie unterrichtet, kämpft für die Rechte der Frauen und später um ihren Sohn. Sie geht vor Gericht. Nach mehr als 3 Jahren erwirkt sie das Recht, dass ihr Sohn auch bei Ihr Leben darf. Anfangs wird sie gezwungen sich beim Sohn als Verwandte vorzustellen. Erst später wird ihm das Familiengeheimnis offenbart.
Siawash Tamanna
"Zuerst sagte sie mir, sie sei eine meiner Verwandten und dann später sagte sie mir, sie sei meine Mutter, und ich war überrascht, und es fiel mir so schwer, das zu akzeptieren."
Mutter: "Warum, warum, warum war das so?"
Sohn: "Weil sie mir gesagt haben, meine Mutter ist gestorben."
Ein furchtbares Erlebnis für Mutter und Kind. Als die Taliban 2021 die Macht übernehmen, verliert Homeira Qaderi alle Rechte. Mädchen dürfen nur bis in die sechste Klasse zur Schule, Frauen dürfen nur in männlicher Begleitung auf die Straße. Sie empfindet ihr Land als Gefängnis. Homeira Qaderi geht trotzig trotzdem auf Straße. Als ihr Sohn mitkommen soll, ist er total verängstigt, traut sich nicht aus dem Haus.
Homeira Qaderi
"Er hatte viele Fragen, wo die Polizei ist, warum da Autos mit den Taliban sind. Die Polizei ist weg, wo sie ist? Und ich hatte keine Antwort, und ich erinnere mich, als er anfing zu weinen, weinte ich mit ihm, weil ich keine Antwort auf seine Frage hatte."
"Sein Stress, seine Sorge, seine Angst war vielleicht einer der Hauptgründe, warum ich wirklich zu diesem Ergebnis gekommen bin, ich kann nicht mehr in diesem Land bleiben."
Im August 2021 als Kabul fällt, entführt sie ihren Sohn und verlässt mit einem der letzten Flugzeuge das Land.
Homeira Qaderi
"Die Frauen in Afghanistan sind wie in einem Gefängnis. Was für ein Frieden soll das sein? Also ich würde gern in mein Land zurückkehren und weiterkämpfen."
"Dich zu verlieren oder mich" erzählt fesselnd und traurig zugleich. Ein herausragendes Buch über die Probleme der Frauen in Afghanistan, die zu schnell in Vergessenheit geraten.
Autorin: Margarete Kreutzer