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Valery Tscheplanowa ist Schauspielerin, bekannt aus Kino und Fernsehen. Geboren wurde sie 1980 in der Sowjetunion im Kurort Kasan. Mit acht Jahren kam sie nach Deutschland, heute lebt sie in Berlin. Jetzt erzählt sie in ihrem ersten Roman "Das Pferd im Brunnen" von einer Deutsch-Russin, die ihre russische Familie in Kasan besucht, vor allem von den Frauen und deren Kämpfen um persönliche Unabhängigkeit. Ein sprachlich spannender Roman, der Alltagsdetails schildert und auch davon erzählt, wie die russische Geschichte und Politik in die Familien hineinwirkt.
Wir haben ja kaum zu fragen gewagt. Mit Valery Tscheplanowa, in Russland geboren, in der Russischen Siedlung zu drehen – ist das nicht… ziemlich plump? Reines Klischee? Aber Valery Tscheplanowa bestellt Pfefferminztee und sieht es locker.
Valery Tscheplanowa, Schauspielerin und Autorin
"Was man als Klischee beschreibt, Tee trinken mit Marmelade und Apfelbäume und Holzhäuser, das war tatsächlich meine Kindheitsrealität. Also, so sah das aus."
In ihrem hochgelobten Debüt-Roman "Das Pferd im Brunnen" erzählt Valery Tscheplanowa von vier Frauen, vier Generationen. Ein Roman - mit viel Autobiographischem. In diesem Holzhaus wohnte ihre Urgroßmutter – sie konnte noch das Wetter aus den Wolken ablesen.
Valery Tscheplanowa, Schauspielerin und Autorin
"Für mich steht das für die Fähigkeit, selbständig die Dinge zu beobachten, ohne jemanden zu Rate zu ziehen. Ich habe ja auch beschrieben, dass sie zwar religiös war, aber nicht lesen konnte und auch nicht wirklich in die Kirche ging und sich deswegen auch die Religion selbst vorgestellt hat. Und all das, was sie eben selbständig konnte."
"Ich glaube, das ist 1930. Und das sind Urgroßmutter und Großmutter."
"Großmutter mit kahlrasiertem Kopf und Kette, wahrscheinlich Lausbefall. Was mir als erstes ins Auge fällt sind die asiatischen Gesichtszüge. Bei mir ist es schon relativ wenig aber diese breiten Wangenknochen, die eher schmalen Augen."
Valery Tscheplanowas Familie und auch sie selbst, stammen aus Kasan, dem tatarischen Teil Russlands. Ihr Buch handelt von Lebenslinien – und dem steten Wunsch, sich zu behaupten. War die Urgroßmutter noch Analphabetin – wird die Großmutter Krankenschwester.
Valery Tscheplanowa, Schauspielerin und Autorin
"Vielleicht gibt es eine Verbindung zwischen den Frauen, dass das Frauen waren, die sehr viel gemacht haben. Meine Großmutter war dann von sehr viel mehr Ehrgeiz getrieben oder entdeckte in sich den Willen, Ärztin zu werden. Was dann nicht funktioniert hat, aber sie hatte dieses Wollen."
"Ich gehe auch ins Bad und schaue mir mein Gesicht an. Wenn ich in den Spiegel sehe, erkenne ich unter meiner Haut ihre Haut. Sie hat sich in mich verwandelt, ich erzähle sie weiter, bin ihr Echo."
Politik spielt eine Nebenrolle in ihrem Roman, aber eine prägende. Den Putschversuch gegen Michail Gorbatschow 1991, das Auftreten Boris Jelzins beschreibt Tscheplanowa ausführlich – die Tage, in denen die UdSSR sich auflöst.
Valery Tscheplanowa, Schauspielerin und Autorin
"Es war ein sehr großer Umbruch, der in sehr kurzer Zeit passiert ist. Man verfolgt so lange eine Idee und wirft sie dann innerhalb von drei Tagen über Bord. Und dieser schnelle Wechsel war für mich wie so ein exemplarisches Bild für wie man versucht, auf Menschen Ideologien zu legen."
"Wie eine schützende Decke ist der Kommunismus über ihren Köpfen weggerissen worden und nun ist Selbständigkeit gefragt. Woher aber Selbständigkeit nehmen, wenn man ein Leben lang Gehorsam gelernt hat? Eine kleine freche Gruppe teilt das große Russland in große Stücke und macht großes Geld, während der Rest den Kopf einzieht und in seiner Erinnerung wohnen bleibt."
So versteht man das, was danach kommt, besser – auch ohne, dass es im Buch eigens beschrieben wird.
Valery Tscheplanowas Mutter hatte schon 1988 die Sowjetunion verlassen – da war Valery sieben, sie waren nach Deutschland gegangen. Sicherlich nicht wegen der großen Liebe. Hauptsache, raus.
Valery Tscheplanowa, Schauspielerin und Autorin
"Ich habe meine Mutter erlebt als eine, die einfach nur ihr Kind retten wollte. Sie wollte mich einfach nur in Sicherheit bringen, wie, war ihr relativ egal."
Für Valery Tscheplanowa wird deutsche Literatur in der Fremde eine zweite Heimat.
"Schau – auf uns!"
Heute ist sie eine gefeierte Schauspielerin an renommierten Bühnen, in Fernsehen, Film, im "Jedermann" in Salzburg. Ein weiter Weg vom Holzhaus bei Kasan. Doch in ihrem poesievollen Mütterportrait geht es auch um ganz Handfestes, das alle Systeme übersteht. Bratkartoffeln. Ihr Geheimrezept, nach Interviewende heimlich aufgenommen.
Valery Tscheplanowa, Schauspielerin und Autorin
"Recht viel Butterschmalz und darin ganz in Ruhe die Kartoffeln. Die brauchen Zeit! Bisschen Zucker, ganz bisschen, Salz spät, ganz wenig Pfeffer und relativ spät die gedünsteten Zwiebeln, damit sie n bisschen Farbe kriegen."
Die Großmutter, von der sie so liebevoll schreibt, hat sie nach der Ausreise nach Deutschland nur noch viermal gesehen. Die verschränkten Arme hinterm Rücken beim Gehen, die hat sie von ihr.
Autor: Steffen Prell