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Vor 85 Jahren brannten Häuser, Synagogen und Geschäfte in der Reichspogromnacht. Wenig später verloren Jüdinnen und Juden in Berlin ihr Zuhause und wurden in sogenannten "Judenhäusern" in der ganzen Stadt zusammengepfercht. Oft war es die letzte Station vor der Deportation und dem Tod. Daran erinnert das Projekt Zwangsräume in einer digitalen Ausstellung.
Die Fassaden sind unscheinbar, die Schicksale dahinter sind häufig selbst den heutigen Nachbarinnen und Nachbarn nicht bekannt. Ab 1939 mussten jüdische Menschen in sogenannten "Judenhäusern" leben. Akim Jah will erinnern, hat die Geschichte der Bewohnerinnen und Bewohner in der Zehdenicker Straße 25 erforscht.
Akim Jah, Historiker
"In der damaligen Zehdenicker Str. 24/25 gab es 19 Wohnungen, ein Ladenlokal, insgesamt gab es 4 Zwangswohnungen davon, mit insgesamt 29 Menschen und die alle in den Jahren zwischen 41 und 43 deportiert wurden und eine Person hat überlebt."
Ein Plakat gegenüber des Hauses macht die Menschen sichtbar. Einer davon Theodor Jüttner und seine Familie.
Akim Jah, Historiker
"Die Familie Jüttner zog hier Anfang 1939 ein, in die Erdgeschosswohnung, was eigentlich keine Wohnung war, sondern ein Ladenlokal, zwar mit Küche, aber ohne Bad. Insgesamt gab es in dieser Wohnung drei Räume, die Familie hat dort zu siebt gewohnt. Alle Erwachsenen mussten Zwangsarbeit leisten, unter anderem in den Rüstungsbetrieben. Und die gesamte Familie wurde am 29. Januar 1943 nach Ausschwitz deportiert und dort ermordet."
Nazideutschland nahm den jüdischen Familien nach und nach alles, auch das Zuhause. Die Propaganda hetzte, Juden und Jüdinnen seien Schuld an fehlenden Wohnungen, Wohnungsbaugesellschaften warfen jüdische Mitglieder raus, Mieterschutz gestrichen.
Auch der Baubeginn für Hitlers "Welthauptstadt Germania" verschärfte die Not. Dort, wo riesige Bauten entstehen sollten, wurden Häuser abgerissen – Wer sein Zuhause verlor, bekam als Ersatz eine Wohnung, aus der jüdische Familien verdrängt wurden.
Akim Jah stieß als Doktorand auf Deportationslisten der Nazis. Dabei fielen ihm auch immer wieder Adressen auf, die er aus seiner Nachbarschaft kannte.
Für das Aktive Museum haben Historiker und Laien solche Adressen gesammelt, um an die Schicksale der jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner zu erinnern und sie nachfühlbar zu machen. Damit will das Projekt "Zwangsräume" eine Erinnerungslücke schließen.
Akim Jah, Vorstand Aktives Museum
"Für mich ist es ein Stück weit unerträglich von dieser Geschichte zu wissen aber sie ist nicht begriffen, sie ist nicht erforscht. Zurecht stehen die ehemaligen Konzentrationslager wie Ausschwitz, Theresienstadt, Bergen-Belsen für die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. Aber diese Orte in Berlin gehören natürlich genauso dazu."
Auch die Mitwisserschaft der nicht-jüdischen Nachbarinnen und Nachbarn ist Thema in der Ausstellung.
Akim Jah, Historiker
"Mit wenigen Ausnahmen war es so, dass die Zwangswohnungen in Mietshäusern waren, mit anderen Bewohnern, die natürlich den Wechsel der Wohnungen mitbekommen haben."
Nicht nur digital, auch auf Spaziergängen durch die Kieze wird die Geschichte der Zwangswohnungen sichtbar. Dabei berichten Berlinerinnen und Berliner von ihren eigenen Häusern. Und wer dort früher lebte.
Lars Ulrich erzählt die Geschichte von Egon Heysemann, der zunächst mit einem Kindertransport entkommen war, dann aber zu seiner Mutter nach Schöneberg zurückkehrte.
Lars Ulrich, Schöneberger
"Die letzten vermutlich nur Monate haben sie dann hier, im Haus, wie sie wahrscheinlich auch schon gehört haben, untergebracht immer bei anderen jüdischen Familien, die hier schon wohnten, zugebracht und ist dann mit seiner Mutter und dem Stiefvater deportiert worden."
Der Ausstellung öffnet den Blick hinter die Fassaden gewöhnlicher Berliner Mietshäuser. Und sie ist eine Mahnung für die Gegenwart.
Akim Jah, Historiker
"Es ist wichtig, sich als Gesellschaft mit dieser Geschichte zu beschäftigen. Genauso gehört es dazu, sich gegen Antisemitismus heute zu verhalten und es ernst zu nehmen, dass es Antisemitismus noch gibt und Jüdinnen und Juden bedroht sind."
Autorin: Marie Röder