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Die Geschichten von Sinti und Roma auf die Bühne bringen: Das haben schon viele Theater versucht. Doch wo verläuft die Grenze zwischen Selbstrepräsentation und kultureller Aneignung, zwischen Empowerment und Rassismus? Mit einer böse-lustigen Satire über die woke Theaterwelt geht der ungarische Regisseur Ádám Császi beim Filmfestival in Cottbus ins Rennen um die Preise.
Ein Dorf, irgendwo in Ungarn. Die Bewohner sind größtenteils Roma. Ihr Leben: geprägt von Ausgrenzung und Armut.
Doch dann wird ein ungarischer Theaterregisseur mit seinem Roma-Ensemble von einem renommierten deutschen Theater eingeladen, vom Leben dieser Minderheit zu erzählen. Also lässt er kurzerhand das brüchige Haus einer Familie abbauen – in 3000 nummerierte Einzelteile - und auf der Bühne in Deutschland wieder aufbauen. Plötzlich wird aus Armut: Kunst.
"Beautiful."
Die Geschichte von Ádám Császis Film "Three Thousand Numbered Pieces" – 3000 numerierte Teile – hat einen realen Hintergrund. 2019 wurde der Regisseur tatsächlich ans Deutsche Theater nach Berlin eingeladen: mit einem in Ungarn sehr erfolgreichen Stück und genau der Roma-Theatergruppe aus dem Film.
Ádám Császi, Regisseur
"Das Stück war vor allem bei liberalen, weißen Menschen aus der Mittelklasse erfolgreich. Sie wollten sehen, wie auch ihre liberale Einstellung und ihre Wokeness noch durchtränkt sind von Vorurteilen. Interessant am Deutschen Theater war dabei, dass die Zuschauer hier sehr viel mehr gelacht haben als in Ungarn. Der Armutsporno hat hier sogar noch besser funktioniert."
Im Lauf des Filmes gerät das Theater-Ensemble immer wieder in groteske Situationen - und wird konfrontiert mit den Vorurteilen des deutschen Publikums gegenüber Roma: zum Beispiel auf einer VIP-Premierenparty. Der Berliner Theaterdirektor führt die Truppe aus Ungarn vor wie Trophäen.
"Das sind Mario und Romeo – kommt zu mir: Leute mit wirklich autochthonem Talent. Heute haben sie die versammelte deutsche liberale Presse Nazis genannt."
Ádám Császi, Regisseur
"Die Minderheit der Roma wird in der Kunst ausschließlich durch widerliche Stereotype repräsentiert. Deshalb haben wir uns entschieden, einen Satire-Film zu machen. Die Zuschauer lachen, bis sie merken, worüber sie lachen. Bis sie merken, dass sie über die widerlichsten Vorurteile lachen. Und genau diesen Effekt wollten wir."
Dabei zeigt der Film nicht nur mit dem Finger auf das Publikum, sondern nimmt auch die Kultur-Macher ins Visier: insbesondere den weißen Regisseur – ohne Roma-Hintergrund.
Gespielt wird der Regisseur von Kristof Horvath, dem Gründer des ungarischen Theater-Ensembles "T6" – und selbst Roma.
Kristóf Horváth, Schauspieler
"Einerseits versucht der Regisseur im Film sein Bestes. Er sieht Ungerechtigkeiten und kämpft dagegen an. Aber er kann diese Ungerechtigkeit nicht besiegen, weil er Teil des Systems ist und auch seine Mittel ungerecht sind. Er baut wieder eine Hierarchie auf. Er versucht die Roma zu belehren, anstatt sie zu fragen. Er will ihnen sagen, wie es läuft, anstatt von ihnen zu lernen."
Kristóf Horváth
"Wir müssen immer die dunklen Seiten von dem sehen, was wir schaffen. Wenn ich einen Film mit denen aus dem Dorf drehe, dann bekomme ich die Likes auf Facebook. Dann werde ich ein guter Mensch genannt. Dann werde ich Retter genannt, aber das ist ein Fehler."
Was also haben die davon, um die es eigentlich geht? Wie werden Minderheiten selbstbestimmt sichtbar? Diese Fragen stellt "Three Thousand Numbered Pieces".
Die Zuschauer dürfen dabei laut lachen - falls sie können.
Autor: Ufuk Cam