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"1986 bekam sie mich, 2022 bekam ich sie": Seit 15 Jahren lebt Inga in Berlin, nun kommt ihre Mutter auf der Flucht vor dem Krieg in der Ukraine hinterher. Die Filmemacherin zeigt die Rollenumkehr – jetzt kümmert sich die Tochter um die Mutter – und den neuen Alltag der beiden in einem Krieg, der fern und nah zugleich ist.
Es ist der 1. März 2022. Die Filmemacherin Inga Pylypchuk ist aus Berlin an die polnisch- ukrainische Grenze gefahren. Sie wartet auf ihre Mutter. Schon da dokumentiert die Kamera diese Ausnahmesituation: 6 Tage vorher hat Russland die Ukraine angegriffen und bombardiert die Heimatstadt der beiden - Kiew.
Inga Pylypchuk lebt da schon 14 Jahre in Berlin:
"Im Jahr 1986 hat meine Mutter mich bekommen. 2022 bekam ich sie."
Olha Yelisieieva
"In der Ukraine war ich unabhängig und habe gearbeitet. Mein Mann ist vor sieben Jahren verstorben. Jetzt ist meine Tochter zu meinen Ohren und Augen geworden und ich bin ihr dafür sehr dankbar. Ohne sie wäre ich wahrscheinlich auch nie nach Deutschland gefahren. Die meisten Leute in meinem Alter, die meisten Freundinnen sitzen in Kiew unter dem Bombenbeschuss."
Inga Pylypchuk, Filmemacherin
"Als meine Mutter nach Berlin kam, war es natürlich eine komplett neue Situation für mich. Auch weil ich viel mehr Verantwortung für sie gespürt habe, auch für meine anderen Verwandten. Auch für einige Freundinnen. Das war eine Situation, eine komplette Überforderung. Aber irgendwo war ich natürlich auch froh, helfen zu können."
Inga Pylypchuk filmte, wie es eng wurde in der Wohnung: Bis vor kurzem waren auch noch ihre Tante, Cousine und deren Sohn in Berlin.
Sie sind 4 von den 10.000 den, die damals am Hauptbahnhof in Berlin täglich ankamen. Der Film "How Far Is Close" - Wie Fern Ist Nah? - erzählt aus der Innensicht, wie sich der Alltag im Berliner Exil anfühlt. Das Glück, zusammen in Sicherheit zu sein und die Sorge um alle zu Hause – das zeigt der Film in Fragmenten, weil alles gleichzeitig passiert.
Inga Pylypchuk, Filmemacherin
"Tatsächlich hat unser Leben in dieser Kriegszeit sich sehr zerstückelt, angefüllt, aus verschiedenen Themen verbunden. Da ist man noch auf der Demo und da irgendwie ist man in einem intimen Familien Gespräch und dann hat man Nostalgie und erinnert sich an die Zeiten davor. Und alle diese Ebenen verbinden sich dann irgendwie eher assoziativ."
Der Film zeigt, wie aus der absoluten Notsituation eine neue Nähe zwischen Tochter und Mutter entsteht.
Bis heute – denn der Krieg – der Alptraum wie Olha Yelisieieva sagt, dauert nun seit 18 Monate. Längst aber spürt Inga Pylypchuk eine gewisse Ermüdung in der deutschen Gesellschaft, es gibt weniger Solidarität. Vielmehr wird über Begrenzung der Migration und Kürzungen der Gelder für Geflüchtete diskutiert.
Inga Pylypchuk, Filmemacherin
"Leider geht dieser Krieg weiter. Uns wäre es auch anders lieber. Aber Russland will nicht aufhören und da brauchen wir einfach einen langen Atem. Also das da haben die Ukrainerinnen jetzt auch keine Wahl und sind leider auch auf die Solidarität und Hilfe auch von Menschen in Deutschland angewiesen."
Mit den liebevollen Augen einer Tochter gibt uns "How Far is Close" einen seltenen, intimen Einblick in das Leben einer Geflüchteten in Berlin – ein Leben in der Warteschleife. Denn sobald auf Kiew keine Bomben mehr fallen, will Olha Yelisieieva zurück.
Autorin: Nathalie Daiber