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Es ist noch immer das beliebteste Fernseh-Weihnachtsmärchen in Ost und West. Dabei lief vieles bei den Dreharbeiten anders als geplant - der Film sollte eigentlich im Sommer spielen, aber die Studios waren nur im Winter frei - und als dann im Winter gedreht wurde, weigerte sich die Kostümabteilung, angepasste Kostüme herzustellen. Nicht nur das Wetter war unterkühlt, sondern auch die politische Stimmung - der tschechische Drehbuchautor František Pavlíček hatte Arbeitsverbot und wurde durch eine Stroh-Frau ersetzt. Der damalige Drehort, das Schloss Moritzburg, ist heute ein Publikumsmagnet. Gerade hat der Darsteller des Prinzen, der inzwischen 73jährige Pavel Trávnicek, hier seine Autobiografie vorgestellt.
"Unser Aschenbrödel! Unser Aschenbrödel!"
Dann reitet sie wieder durch den Tiefschnee, kein bisschen gealtert, kein bisschen veraltet: fast noch ein Kind und doch mit verblüffenden Fähigkeiten, wunderschön und zugleich voller Selbstbewusstsein und Eigensinn. 1973 strahlte sie das erste Mal auf der Leinwand und betörte die Zuschauer in Ost und West.
Rolf Giesen, Filmwissenschaftler
"Die Augen der Darstellerin, der Libuše Šafránková, die haben mich fasziniert. Das war ein Film, der über die Augen ging, und das war im deutschen Märchenfilm selten. Sowohl im West- als auch im ostdeutschen Märchenfilm. Das war etwas, was mir damals, vor nun 50 Jahren, aufgefallen ist."
Den Filmwissenschaftler Rolf Giesen wurmt, dass dieses Aschenbrödel nicht längst zu den weltweit bedeutendsten Spielfilmen zählt. Dabei lief vieles bei der Produktion anders als geplant. Es sollte ein Sommerfilm werden, aber die Studios waren nur im Winter frei. Also wurde umgeplant - die sommerlichen Kostüme blieben.
Heute kann man an einem der Drehorte, dem Schloss Moritzburg, selbst in die Haut der Darsteller schlüpfen. Die alljährliche Winterausstellung ist längst zu einem Wallfahrtsort geworden. Libuše Šafránková selbst äußerte sich nur einmal im deutschen Fernsehen zu ihrer Rolle, vor fast 20 Jahren, an der Seite ihres damaligen Regisseurs.
Libuše Šafránková, Interview von 2005
"Das klingt jetzt wahrscheinlich unglaubwürdig, aber das war mein Lieblingsmärchen. Als ich 4 oder 5 Jahre alt war, da habe ich meine Großmutter jeden Abend gebeten, es mir zu erzählen. Wenn sie dann schon fast eingeschlafen ist, und angefangen hat, mir das Märchen falsch zu erzählen, weil sich das alles bei ihr mit ihren Träumen gemischt hat, dann habe ich immer so an meiner Oma gezerrt und gerufen: Oma, so ist das doch gar nicht!"
- "Aber ich bin doch nicht Deine Oma!"
Das Aschenbrödel, das sie schließlich mit 19 selbst spielen sollte, war ganz anders als das aus dem Oma-Märchen von Božena Němcová. Ihr Aschenbrödel sollte nicht duldsam und bescheiden, sondern stark und emanzipiert sein, - beinahe hätte man sie sogar aufs Motorrad gesetzt – das Studio war zum Glück dagegen. Aber – und das ist ein Grund für ihren Erfolg, modern und vor allem Obrigkeits-resistent geriet sie in jedem Fall.
Ausschnitt "3 Haselnüsse für Aschenbrödel", 1973
"Das war alles?"
- "Wie Du siehst, mehr ist es nicht."
…
"Sieh mal einer an. Sie will mit uns raufen"
- "Da könnt ihr warten, bis ihr schwarz werdet, Dummköpfe."
Nicht nur für Libuše Šafránková war dies der Anfang einer märchenhaften Karriere - auch für den Darsteller des Prinzen, Pavel Trávnicek. Vor kurzem bat er aufs Schloss Moritzburg, um seine Autobiografie vorstellen. Auch nach 50 Jahren ist er hier der unbestrittene Traumprinz, dem man gern beim Erzählen der alten Anekdoten über die Schwierigkeiten beim Dreh zuhört.
Pavel Trávnicek liest aus "Drei Haselnüsse für den Prinzen"
"Jan Líbíček, ein bekannter Schauspieler, spielte den Präzeptor der königlichen Familie. Sein 100-Kilogramm Übergewicht brachte einige Probleme mit sich. Fiel er vom Pferd, brauchte es mehrere starke Männer, um ihn aus dem kniehohen Schnee zu befreien."
Der Kampf mit dem Schnee war eine Kleinigkeit, gegen andere Kämpfe, die die tschechischen Macher auszufechten hatten.
Filmausschnitt
"Du faulenzt ja schon wieder. Auskehren sollst Du!"
Aschenbrödel wurde Symbolfigur der Selbstermächtigung und Befreiung von willkürlichen Bevormundungen und Rollenzuschreibungen.
"Hör sofort auf!"
Rolf Giesen, Filmwissenschaftler
"Plötzlich waren die Märchenfilm auch Filme, die Widerstand zeigten. Damals, das war ja nach dem Prager Frühling, waren zeitkritische Filme verboten in Prag, das konnte man nicht machen. Und der Autor dieses Films durfte ja nicht genannt werden."
Václav Vorlíček, Regisseur "3 Haselnüsse für Aschenbrödel"
"Dr. Pavlicek war nach 1968 auf der schwarzen Liste des Regimes, denn er hatte öffentlich gegen das protestiert, was die Sowjets uns hier angetan hatten. Er verlor seinen Posten als Theaterintendant und hatte plötzlich keinerlei Einkünfte mehr. Als er das Aschenbrödel geschrieben hatte, übergab er es Dramaturgin Bohumila Zelenkowa."
Sie gab das Honorar an den eigentlichen Autor, František Pavlíček, weiter. In seiner Adaption verwandelte er Personen aus seinem vergifteten Umfeld und der tschechischen Geschichte zu komödiantischen Märchenfiguren – und ließ sie zeitlos und allgemeingültig werden.
Filmausschnitt
"Ich erwarte Bescheid, wenn sie am Wald auftauchen."
- "Ja"
Rolf Giesen, Filmwissenschaftler
"Das interessante ist ja, dass die böse Stiefmutter von einer Deutschen gespielt wird.“
Filmausschnitt
"Macht schon, verschwindet!"
- "Das wird wieder Aschenbrödel sein."
Rolf Giesen, Filmwissenschaftler
"Das ist auch ein bisschen Berechnung. Die Guten und die Bösen. Das hat das tschechische Publikum schon erkannt, damals hat man ja zwischen den Zeilen nicht nur gelesen, sondern gesehen. Der Prinz konnte natürlich wieder nur ein… Tscheche sein."
Und alles wird von einer komödiantischen Luftigkeit getragen, die leichte und schwere Missverständnisse mit einem Lächeln auflöst.
Filmausschnitt
"Wie ich sehe, habe ich den Geschmack des Prinzen bisher überhaupt nicht gekannt…"
Rolf Giesen, Filmwissenschaftler
"Man kann es heute nicht besser machen. Man hat heute bessere Technik, man könnte bessere Effekte machen aber man kann den Film nicht mehr so gut machen, wie er war, weil er unter einer ganz besonders speziellen Situation entstanden ist."
Auch nach 50 Jahren strahlt gerade dieser Film inmitten der weißen Kälte die schönste Wärme aus, weil es nicht nur um Schönheit geht, sondern um Menschlichkeit.
Autor: Dennis Wagner