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Aufwachsen am Rand von Berlin - im Osten der Stadt, zu DDR-Zeiten - davon erzählt Torsten Schulz in seinem Roman "Nilowsky". Eine melancholische und witzige Coming-of-Age-Geschichte - die man nicht nur lesen kann, sondern jetzt auch anschauen - in einer neuen Graphic Novel.
Hier ist Berlin nicht hip. Hier ist Berlin, wie es schon immer war. Eine Arbeitergegend. Bezirk Köpenick. Torsten Schulz läuft durch seine Vergangenheit, vorbei an dem Häuserblock, in dem er seine Jugend verbrachte. Als 14-jähriger zog er mit seinen Eltern von Prenzlauer Berg nach Spindlersfeld. Anfang der 70er Jahre. Ein paar Jahrzehnte später hat er über diese Zeit einen Roman geschrieben. Und ein Drehbuch. Doch ein Film ließ sich schließlich nicht finanzieren. Torsten Schulz fand einen anderen Weg, seine Geschichte in Bilder zu übersetzen.
Der führte ihn zu dem Zeichner und Grafik-Designer Niels Schröder. Nun gibt es die Geschichte von Nilowsky als Graphic Novel.
Torsten Schulz, Schriftsteller
"Für mich ist die Graphic Novel eine absolute Entdeckung. Also man hat da auf eine elegante und gleichsam preiswerte Art künstlerische Möglichkeiten, die man anderweitig nicht hat."
Niels Schröder, Illustrator
"Für mich war das Projekt deshalb so spannend, weil ich niemals selbst auf diese Thematik gekommen wäre. Dieses Zusammenspiel mit Torsten Schulz, das war für mich die Berührung mit einer Vergangenheit, die ich nicht kannte, die ich nicht hatte, und einer Geschichte, die ich mir nicht selbst hätte ausdenken können."
"Im Grunde habe ich erstmal das Drehbuch ausgedruckt und hab dann einfach angefangen, visuell erste Skizzen zu machen. Man nennt das Daumennagel-Skizzen oder thumbnails. Also praktisch in das Drehbuch direkt hinein gezeichnet. Im Grunde ist es so: Man macht sich ein Bild von der Sache und versucht die Atmosphäre einzufangen. Das ist zum Beispiel die Szene, wo Markus, dessen Eltern ja umgezogen sind mit ihm, in der neuen Schule anfängt und überhaupt nicht begeistert ist. Das ist die Szene, wo er in die Kneipe reinschaut und zum ersten Mal den Nilowsky hinten als Thresenkraft sieht."
Die Keipe gibt es noch immer. Hier lernt Markus den drei Jahre älteren Reiner Nilowsky kennen, Sohn des brutalen und dauerbetrunkenen Kneipiers.
Die Gegend zwischen Kneipe und Bahngleisen wird zum Abenteuer-Revier einer ungewöhnlichen Freundschaft, in der die Phantastereien von Nilowsky den Ton angeben.
Torsten Schulz, Schriftsteller
"Nilowsky ist eine Gestalt aus meiner Jugendzeit. In dieser Figur sammeln sich mehre authentische Personen, Jungs, junge Männer, die so zwei drei Jahre älter waren als ich, der Pupertierende. Das waren Jungs, die einen mitgenommen haben ins Leben. Das waren auch Abenteurer. Sex, Drugs and Rock n Roll im Rahmen der DDR gab es ja sehr wohl. Insofern ist Nilowsky ein kleines Denkmal für die alle."
Nils Schröder, Illustrator
"Man hat ein ungefähres Bild von den Charakteren. Und oft ist es so, dass sich bei Zeichnen die Charaktere entwickeln."
"Hier ist Nilowsky noch nicht ganz so, wie er dann später aussieht."
"Hier schon ein bisschen eher."
"Das ist alles das sogenannte Einzeichnen, man zeichnet sich warm. Hier sieht er noch sehr athletisch aus. Hier hat er noch einen eigenartigen Kopf…"
"Hier kommt er schon dichter dran, hier habe ich ihn schon am Wickel, hier sieht er schon aus wie Nillowsky."
"Hier ist die Szene, wo Nilowsky ganz am Anfang die Schwefelabgase verherrlicht. Für ihn sind das ja Gesundheitsabgase."
Wenn eine Schwefelwolke vom nahe gelegenen Chemiewerk herüberzieht, atmet Nilowsky tief ein. Absurde Phantastereien. Doch so verrückt wie Nilowskys ist, so anziehend ist er für Markus. Auch wenn er dem Gestank des Chemiewerkes nichts Gutes abgewinnen kann. So wie der Autor Thomas Schulz damals in seiner Jugend.
Torsten Schulz, Schriftsteller
"Da wurden nämlich Tabletten hergestellt gegen Kopfschmerzen. Und der Gestank von der Herstellung löste Kopfschmerzen aus."
In Spindlersfeld ist es drei Grad wärmer als sonstwo in Berlin. Zwei Grad wegen des Chemiebetriebes. Das dritte Grad haben die Vertragsarbeiter aus Mosambique mitgebracht. Und noch etwas: Voodoo-Zauber. Der verspricht Nilowsky tausend Kinder, Kommunismus und das Glück der Liebe. Denn da ist ja noch Carola.
Nils Schröder, Illustrator
"Ich habe immer Schwierigkeiten Frauen zu zeichnen, junge Mädchen gut hinzukriegen. Da muss ich immer aufpassen. Es kommt ja hier auch die Carola vor. Von der hatte ich jetzt nicht gleich so ein starkes Bild, weil sie auch ein bisschen hintergründig bleibt. Aber dann im Verlauf der Geschichte auch viel Wut entwickelt, sehr willensstark auch ist. Da geht es schon ein bisschen in die Richtung."
Die 17-jährige Carola hat bereits mit 13 beschlossen, nie älter als 13 zu werden. Und deshalb auch nie zu heiraten.
Torsten Schulz, Schriftsteller
"Dieses Mädchen Carola will keinen. Denn Markus, der sich auch in sie verliebt - und das macht ja den Konflikt Markus-Nilowsky aus, den will sie auch nicht."
Das Leben am Rande der Stadt, trostlos und überschwänglich zugleich.
Torsten Schulz hat seinen Coming of Age-Roman über eine Jugend in der DDR um eine lesens- wie sehenswerte Variante ergänzt. Dank Nils Schröder.
In ihrer Liebe zu Carola bleiben Nilowsky und Markus unerfüllt. Es gibt kein Happy End, nur den Weg ins Erwachsenwerden. Zwischen Verrücktheit und Melancholie.
Autor: Lutz Pehnert