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Als Pianist hat Artur Rubinstein das letzte Jahrhundert geprägt - und das letzte Jahrhundert ihn. Geboren in Lódz, begeistert er die Menschen in Berlin schon als Kind während seiner Klavierausbildung. Aus Paris flieht der Musiker 1939 mit seiner Familie vor den Nazis nach Amerika. Mitnehmen kann er nur einen einzigen Koffer. Zurücklassen muss er auch Notenblätter und Partituren, die weltberühmte Komponisten für ihn geschrieben haben. Was ist danach mit ihnen geschehen?
In der Piotrówskaja in Lodz steht ein Denkmal für ihn, für Artur Rubinstein. Filmen Sie das bloß nicht, hat sie uns noch gesagt, so ein misslungenes Ding!!! Sie - das ist Eva Rubinstein. Mit 90 Jahren ist sie von New York aus wieder einmal auf Besuch in der Heimat ihres Vaters, eines der größten Pianisten aller Zeiten. Im Stadtmuseum von Lodz ist ihm eine Ausstellung gewidmet.
Eva Rubinstein, Tochter von Artur Rubinstein
"Er war eine sehr komplexe Persönlichkeit. Er war ein Wunderkind. Er hatte ein ziemliches Ego, das manchmal sehr viel Platz in Anspruch nehmen konnte."
Nicht, dass Artur Rubinstein für sein großes Ego keinen Grund gehabt hätte.
"Thomas Mann nannte Artur Rubinstein einen glückhaften Virtuosen. Und Albert Einstein sagte, als er ihn gehört hatte: "Jetzt weiß ich, dass es einen Gott im Himmel gibt.""
Und er war ein umfassend interessierter und gebildeter Mensch.
Eva Rubinstein, Tochter von Artur Rubinstein
"Mein Vater liebte Bücher. Er las einfach alles!"
Artur Rubinstein, 1966
"Ich liebe Bücher! Sagen sie niemals Hobby… Passion! Bücher, Bücher, Bücher!"
Eva Rubinstein, Tochter von Artur Rubinstein
"Das ist ein Foto aus der Vorkriegszeit. Ein Teil der Bibliothek in dem großen, schönen Haus auf der Avenue Foch in Paris."
Der Weltstar der Klassik lebt mit seiner Familie schon länger in Paris, als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbricht. Artur Rubinstein ist sofort alarmiert - er ist Jude.
Eva Rubinstein, Tochter von Artur Rubinstein
"Hier ist er in Jerusalem. Er war sehr stolz, Jude zu sein. Aber er war komplett unreligiös. Das hier war wohl die religiöseste Geste seines Lebens."
Die Familie packt die Koffer, schließt das Haus an der Avenue Foch ab und geht. Eva Rubinstein ist damals sechs Jahre alt.
Eva Rubinstein, Tochter von Artur Rubinstein
"Ich wusste natürlich nicht genau, was ein Krieg ist. Aber mir war klar, dass wir in Gefahr waren und fliehen mussten. Mit Hilfe des amerikanischen Botschafters gelangten wir auf die USS George Washington. Jeder von uns durfte nur einen Koffer mitnehmen. Als wir im Hafen von New York ankamen, hörte ich die Geräusche. Ich schaute durch ein kleines Bullauge und sah die Freiheitsstatue. So begann unser Leben in den USA."
Eva Rubinstein, Tochter von Artur Rubinstein
"Die Bücher und die Notensammlung en meines Vaters blieben in Paris zurück. Ich verstehe nicht, warum er nicht einige Autographe einfach in den Koffer gepackt hat. Er besaß Noten von Strawinsky, Prokofjew und Villa-Lobos, dem Brasilianer. All das blieb leider zurück."
Artur Rubinsteins Bibliothek und seine Notensammlung haben den irrwitzigen Weg des zwanzigsten Jahrhunderts genommen – die Berliner Staatsbibliothek spielt eine Hauptrolle dabei. Regine Dehnel ist dort Provenienzforscherin und Expertin für Handschriften.
Regine Dehnel, Provenienzforscherin Staatsbibliothek Berlin
"Im Juni 1940 marschiert die deutsche Wehrmacht in Frankreich ein, dringt sehr schnell bis Paris vor und quasi zeitparallel nimmt der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg seine Tätigkeit auf. Benannt nach Alfred Rosenberg, er war einer der Chefideologen des Nationalsozialismus. Der Einsatzstab wird von 1940 bis 1944 unzählige Bibliotheken plündern und ebenso Kunstwerke, Musikhandschriften, Kulturgüter stehlen und nach Deutschland bringen."
Im Keller des beschlagnahmten Freimaurerhauses in Berlin-Wilmersdorf werden die Notenhandschriften gelagert – nach dem Krieg nehmen russische Truppen Noten und Bücher mit nach Moskau. In den späten 50er Jahren werden sie an die Staatsbibliothek gegeben, lange kann offenbar niemand die Herkunft nachvollziehen. Restituiert wird erst 2006.
Regine Dehnel, Provenienzforscherin Staatsbibliothek Berlin
"Die Kontexte gehen ja aber immer verloren. Es ist ja nicht ein- und dieselbe Kiste, die hin und her bewegt wird – so dass oft etwas, was im Nachhinein bei der Rekonstruktion völlig verständlich aussieht, in dem Moment nicht zu verstehen ist."
Die Familie Rubinstein spendet die Noten an die New Yorker Juilliard School – sie sind digitalisiert und für jedermann einsehbar.
Artur Rubinstein selber war ab 1939 in Sicherheit – doch seine polnische Familie wurde ausgelöscht.
Eva Rubinstein, Tochter von Artur Rubinstein
"Nach dem Krieg sagte er einmal, dass 100 Familienmitglieder umgekommen seien. Ich weiß nicht, ob es wirklich 100 waren oder ob er es so formuliert hat. Aber es waren viele."
Ausschnitt NDR
"Leider wird Artur Rubinstein in Deutschland wohl nie mehr öffentlich auftreten."
Artur Rubinstein, 1965
"Wie viele leben noch, die doch sehr schuldig sind. Es sind doch Hunderte, Tausende, ich will sie nicht zählen, ich will nichts davon wissen. Aber die sind doch da!"
Eva Rubinstein, Tochter von Artur Rubinstein
"Über solche Dinge haben wir nie gesprochen. Es war wohl zu schmerzlich und wahrscheinlich empfand er eine Überlebensschuld. Wir konnten emigrieren, weil er berühmt war. Wenn er unbekannt gewesen wäre, hätten wir all das vielleicht nicht überstanden. Offiziell sagte er immer: "Ich bin der glücklichste Mensch der Welt.""
Artur Rubinstein, 1974
"Ich bin doch der glücklichste Mensch, den ich getroffen habe, wissen Sie? Für mich ist alles Mirakel. Ist das nicht ein Mirakel? Ist Musik nicht ein Mirakel? Ist die Liebe nicht ein Wunder? Ist die Musik nicht ein Wunder?"
Autor: Steffen Prell