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Für den 3. Februar haben über 1.300 Organisationen aufgerufen, eine menschliche Brandmauer um den Reichstag zu bilden. Wir haben Künstlerinnen und Künstler gefragt, warum sie mit dabei sind und warum "NIE WIEDER" ganz genau jetzt ist. Mit dabei Schauspieler Jonathan Berlin, Düzen Tekkal und die Intendantin des Hans-Otto-Theaters in Potsdam.
"Wir müssen jedwedem Ismus geschlossen als Bündnis der Mitte entgegentreten. Und wir sind das Bündnis der Mitte."
Düzen Tekkal am Brandenburger Tor. Die Autorin und Menschenrechtsaktivistin kämpft tagtäglich für die Rechte von Minderheiten. Die Vertreibungspläne der Rechtsradikalen machen ihr Angst. Jetzt aber sind es so viele, die ihr zuhören und sie fühlt sich nicht mehr so allein.
Düzen Tekkal, Autorin / Menschenrechtsaktivistin
"Der Kampf von Rassismus darf nicht nur Einzelnen und Betroffenen überlassen werden. Und deswegen hatte ich sogar mich dabei erwischt, dass ich ein Gefühl der Erleichterung verspürt habe, als diese Recherche-Netzwerke veröffentlicht worden sind und auch die Reaktion der Mehrheitsgesellschaft darauf."
Als Kind türkischer und jesidischer Eltern, in Deutschland aufgewachsen, ist Rassismus Teil ihres Lebens. Die Bedrohung von rechts spürt sie.
Düzen Tekkal, Autorin / Menschenrechtsaktivistin
"Es geht wirklich darum, dass wir nicht mit allem einverstanden sein müssen, was ein Mitdemonstrant vertritt. Aber dass wir geschlossen gegen Rassismus kämpfen müssen."
Lange hat sie geschwiegen, die Mitte der Gesellschaft. Als herauskam, dass AFD-Politiker, Neonazis und deutschnationale Unternehmer bei einem Geheimtreffen die Vertreibung von Millionen von Migranten und Andersdenkenden planten, war es damit schlagartig vorbei, das vertraute Gefühl von Sicherheit.
Bettina Jahnke, Intendantin Hans Otto Theater
"Man war so in seiner Wohlstandsblase gefangen. Apple hat das neue Produkt rausgebracht. Das war wichtig. Wird schon alles nicht so schlimm sein. Die Politik ist scheiße, ja. Die Ampel taugt nichts. Die Deutsche Bahn ist wie immer zu spät. Also es gab tausend Probleme, aber dass da rechts eine Gefahr heranwächst, die wirklich eine Gefahr ist, die hat man glaube ich, die bürgerliche Mitte, lange und zu lange, wie ich finde, unterschätzt."
Damit der Protest auch in Zukunft weitergeht, hat die Intendantin des Hans Otto Theater in Potsdam, Bettina Jahnke, mit 110 Organisationen das Bündnis "Brandenburg zeigt Haltung" gegründet. Es soll Menschen in der Region stärken, die sich für Demokratie und Zusammenhalt einsetzen.
Bettina Jahnke, Intendantin Hans Otto Theater
"Gerade im ländlichen Raum, wo das Haltung zeigen, das Gesicht zeigen wirklich Gesicht zeigen heißt, ja. Da weiß man eben: Aha, mein Nachbar, der Bäcker, der Handwerker…, ok zu dem gehe ich dann noch oder zu dem gehe ich nicht mehr, je nachdem wie meine politische Einstellung ist. Und das erfordert so wahnsinnig viel Mut in Brandenburg Haltung zu zeigen."
Düzen Tekkal, Autorin / Menschenrechtsaktivistin
"Unsere Demokratie wird nicht am Pariser Platz verteidigt, sondern in den ostdeutschen Kleinstädten. In den neuen Bundesländern wird mehr riskiert als hier, wenn zum Beispiel in Pirna auf die Straßen gegangen wird, wo die AFD den Bürgermeister stellt. Da legt man sich an mit seinem Umfeld. Und dann trotzdem zu sagen, ich will hier ein Zeichen setzen – das ist eine Form des Widerstands, die wirklich Mut macht."
Vergangenen Samstag brachte Bettina Jahnke eine Lesung der Correctiv Recherchen im Hans Otto Theater auf die Bühne. Wie übrigens auch andere Theater in Brandenburg. Und es kamen so viele, dass die Plätze im Saal nicht ausreichten.
Bettina Jahnke, Intendantin Hans Otto Theater
"Dieses Gefühl, was die Menschen hier hatten. Dieses Gefühl von: wir sind nicht allein, wir sind `ne große Masse – das finde ich das Allerwichtigste. Dass wir auch untereinander für die demokratische Gesellschaft sind, dass wir uns auch untereinander vernetzen, dass wir uns stärken und im wahrsten Sinne des Wortes uns ermutigen."
Auch der Schauspieler Jonathan Berlin will Verantwortung übernehmen. Die Correctiv-Recherchen haben ihn, wie so viele, schockiert.
Jetzt sucht er gemeinsam mit Kolleg*innen nach Möglichkeiten, um aus der Filmbranche heraus Aktionen zu starten, die die Bewegung gegen rechts unterstützen können.
Jonathan Berlin, Schauspieler
"Was uns ja in der Kulturbanche sehr sehr klar sein muss, ist einfach, dass wenn die AFD in die Regierungsbildung kommen würde, wir eine der ersten Branchen wären, die inhaltlich massiv davon betroffen wären. Was ja bis hin zur Änderung von Spielplänen, `ner Beschneidung von `ner Vielfalt und einfach von `ner künstlerischen Freiheit gehen würde."
Bei den Protesten kommen jetzt Menschen zusammen, die sich sonst nicht treffen – und das macht Hoffnung auf Veränderung.
Jonathan Berlin, Schauspieler
"Ich glaube, dass es extrem wichtig ist, dass einfach auch das Thema, dadurch jetzt so einen Raum bekommt. Dass der Druck so auch erhöht werden kann, dass ich hoffe, dass eben auch die politisch Verantwortlichen jetzt auch alle Register ziehen. Um sich für ein AFD-Verbot einzusetzen, um das Bundesverfassungsgericht zu stärken. Das sind alles Sachen, die ich hoffe, die daraus entstehen. Und das ist jetzt wirklich aller-allerhöchste Zeit."
Autorin: Lilli Klinger