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Curt Bloch ist eine Wiederentdeckung: Der deutsch-jüdische Autor versteckte sich in den Niederlanden und fertigte von Sommer 43 bis Frühling 45 Woche für Woche Heftchen mit Gedichten über Nazis, Verbrechen, Kollaborateure und den Kriegsverlauf an. Jetzt widmet ihm das jüdische Museum Berlin eine Ausstellung in der er, sein Leben und seine Mitstreiter geehrt werden. Seine Arbeit wird erstmals einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.
Heute ist ein großer Tag, für Simone Bloch. Die Presse ist da, Interviews stehen an – viel Aufmerksamkeit, alles wegen Daddy. Ja, heute ist ein großer Tag.
Simone Bloch, Tochter von Curt Bloch
"Ich glaube, dass er stolz auf sich wäre und auch auf mich. Es ist schön, als ältere Dame seinen Papa stolz zu machen."
Curt Bloch, also Simones Daddy, hätte damals, in den dunklen Jahren, gerne Großes geleistet – aber was konnte er schon ausrichten?
Simone Bloch, Tochter von Curt Bloch
"Mein Vater wäre gerne ein linker Goebbels gewesen – jemand mit sehr viel Macht. Aber er hatte halt nur Klebstoff, etwas Papier und einen Stift."
Diese Bücher standen jahrzehntelang bei den Blochs in New York im Regal. Die Familie hat sie jetzt dem Jüdischen Museum geschenkt. Durch sie lernen wir einen Widerstandskünstler kennen. Curt Bloch muss als deutscher Jude in den Niederlanden untertauchen, in seinem Versteck fertigt er ab Sommer 1943 kleine Magazine an – Auflage: ein Stück, jede Woche ein Heft. Collagen, Satiren, Gedichte – und da ist die Hoffnung, dass irgendwann einmal die Öffentlichkeit davon erfährt.
Gedichtrezitation
"Vielleicht kommen euch die Gedichte,
die ich in eurer Sprache schrieb,
in späteren Zeiten zu Gesichte,
und täten sie‘s, wär’s mir recht lieb."
Diese Geschichte beginnt in den Niederlanden – das Haus, in dem sie sich abspielt, stand kürzlich zum Verkauf. Ein Bau aus den 30er Jahren in Enschede, gleich hinter der deutschen Grenze. Hier, in der Dachstube, wird Curt Bloch von Helfern versteckt. Zu dritt sind sie hier untergebracht. In seine Leidensgenossin Karola Wolf verliebt sich Curt – und mit seinen politischen Satireheften will er wohl auch seiner Verehrten imponieren.
Simone Bloch, Tochter von Curt Bloch
"Es gab den aggressiven Teil: Fickt euch, Nazis! Und es gab den Teil: "Ich bin schlau, warum liebst Du mich nicht?""
Um es kurz zu machen: es wird nichts mit den beiden. Und natürlich ist der intellektuelle Balztanz nur ein Teil der Geschichte.
Simone Bloch, Tochter von Curt Bloch
"Ich glaube, dass er dadurch das Gefühl der Hilflosigkeit bekämpfen konnte. Er musste sich verstecken – das Haus zu verlassen wäre Selbstmord gewesen. Das war es wert, dafür am Leben zu bleiben – das ist viel."
Aus deutschen und niederländischen Zeitschriften schneidet Curt Bloch Bilder aus – collagiert sie, kommentiert mit beißendem Witz, was er über die Weltpolitik erfährt. Nach dem Attentat vom 20. Juli nennt er seine Collage "Die deutsche Verbunden-heit".
Ulrike Kuschel, Kuratorin
"Und hier hat Curt Bloch ne ganz besondere Arbeit gemacht, er hat ein Hitlerportrait mit winzig kleinen Stückchen Pflaster beklebt. Eine Technik, von der er ein bisschen scherzhaft an Karola Wolf schrieb, dass er nicht wüsste, ob er sie "Fotoplastik" oder "Leukoplastik" nennen sollte.
Er hat sich vielleicht nicht selbst als Künstler bezeichnet, aber das sind wirklich hervorragende und sehr spannende Arbeiten. Vor allem wenn man bedenkt, unter welchen Bedingungen er im Versteck gearbeitet hat und wie wenig Material er zur Verfügung hatte und was er daraus gemacht hat, also auch welche Phantasie er hatte."
96 Hefte entstehen so, für nur eine Handvoll Leser. Der Titel: "Das Unterwasser-Kabarett". Denn unter Wasser trifft man die Untergetauchten. Eines der ersten Hefte enthält ein Gedicht, dass Curt Bloch an seine Schwester schreibt. Da ist sie schon ermordet – doch er weiß es nicht.
Gedichtrezitation
"Und geht der Krieg einmal zu Ende,
dann wird‘ ich auf die Suche gehen.
Im Geiste drück‘ ich Deine Hände
Und sage still "Auf Wiedersehen".
Ich möchte gerne zu Dir sprechen,
Gedanken fliegen zu Dir hin.
Und oft will mir das Herz wohl brechen,
das kommt, weil ich so traurig bin."
Curt Bloch lernt nach der Befreiung seine spätere Ehefrau Ruth kennen, geht mit ihr nach Amerika, wird Antiquitätenhändler. Über das, was damals passiert ist, wird in der Familie wenig gesprochen – das "Jetzt" ist wichtiger. Curt Bloch stirbt 1975, als Simone noch Teenagerin ist.
Simone Bloch, Tochter von Curt Bloch
"Er liebte Wortspiele, er war sehr interessiert, an dem was auf der Welt geschah und war offen für Gespräche mit jedermann. Er war einfach überhaupt kein Snob."
Heute ist ein großer Tag – sogar Curt Blochs Urenkel ist aus den USA angereist. Auch wir können seinen Vorfahren nun kennenlernen, als einen, der halt doch etwas Großes geleistet hat – und uns sehr viel zu sagen hat.
Gedichtrezitation
"Ihr wähnet euch endgültig entfloh’n,
den Schatten der Vergangenheit,
und denkt nicht dran, dass euch bedroh’n,
der gleiche Schmerz, das gleiche Leid.
Wenn man euch eure alten Fehler
nun wiederum vergessen lässt,
so führt ein neuer Puppenspieler
euch zu ´nem neuen Schlachtefest"
Autor: Steffen Prell