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Am 19. Februar 2020 verloren neun Menschen in Hanau innerhalb von zwölf Minuten ihr Leben, weil der rechtsradikale Täter sie als nicht deutsch einordnete und erschoss. Den Opfern dieses Verbrechens widmet das Maxim Gorki Theater an diesem Wochenende eine Reihe von Veranstaltungen. Das Stück "And Now Hanau" bereitet den Anschlag auf, weil es nie zu einem Gerichtsverfahren gekommen ist. Thema ist darin auch das strukturelle Versagen von Politik, Polizei und Medien "vor, während und nach" der Tat.
Am 19. Februar 2020 verloren neun Menschen in Hanau innerhalb von zwölf Minuten ihr Leben. Den Opfern dieses Verbrechens widmet das Maxim Gorki Theater jetzt eine ganze Reihe von Veranstaltungen und fragt: was können wir alle von Hanau lernen?
Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Said Nesar Hashemi. Der rechtsextremistische Täter von Hanau sucht sich für seinen Morde gezielt Menschen aus, die er als nicht deutsch einordnet. Die Zielorte beobachtet er vorher wochenlang. Es sind Cafés, Bars und Kioske, in denen mehrheitlich Menschen mit Migrationsgeschichte ihre Freizeit verbringen und sich sicher fühlen.
Theaterstück
"Bisher hat niemand die Verantwortung dafür übernommen. Die Nacht ist aufgrund eurer Nachlässigkeit geschehen. Ihr die Polizei, ihr die Staatsanwaltschaft, ihr die Waffenbehörde, ihr die Politiker: wieso hat keiner den Mörder gestoppt? Wieso übernimmt keiner Verantwortung? Wenn ihr Verantwortung übernommen hättet, dann wäre mein Kind noch am Leben."
In dem Stück "And Now Hanau" rekonstruieren vier Schauspieler:innen mit minimalen Mitteln die Tatnacht und fordern Antworten. Der Regisseur Tugsal Mogul nutzt die Bühne dabei wie einen alternativen Gerichtssaal, denn zu einer einer juristischen Aufarbeitung des Anschlags kommt es durch den Selbstmord des Täters nicht.
Tugsal Mogul
"Also verletzt und wütend gemacht hat mich vor allem auch, dass diese Versäumnisse und die Fehler, die von Seiten des Staates oder der Polizei jetzt natürlich im Speziellen oder der Staatsanwaltschaft nicht aufgearbeitet bzw. daraus keine Konsequenzen gezogen worden sind, dass so viel passiert ist, was man hätte weiter ermitteln müssen und ist eingestellt worden."
Diese unbeantworteten Fragen sind für die Angehörigen bis heute quälend. Weshalb besaß ein der Polizei einschlägig bekannter Rechtsextremist einen Waffenschein? Wieso kamen die Notrufe in der Tatnacht nicht durch? Warum konnten am Einsatz beteiligte SEK-Beamte zuvor unentdeckt in rechtsradikalen Chat-Gruppen unterwegs sein?
Tugsal Mogul
"Keiner von denen, die damit direkt verantwortlich waren, haben letztendlich eingesehen, dass sie einen Fehler gemacht haben. Warum die einzelnen Behörden und auch die Verantwortlichen, da die nicht die Größe haben, das zuzugeben, kann ich nicht beantworten. Das ist wirklich eine Blackbox. Aber ich bin der Meinung, natürlich spielt ein struktureller Rassismus oder institutioneller Rassismus in diesem Kontext auch eine große Rolle."
Gegen Rassismus, Zuschreibungen, Vorurteile wehrt sich auch Etris Hashemi, der in Hanau aufgewachsen ist. Im Maxim-Gorki-Theater nimmt er an einer Gesprächsrunde mit den Angehörigen teil. Er selbst gehört auch zu den Opfern des Anschlags und hat ihn schwerverletzt überlebt, trotz mehrerer Schusswunden. Sein jüngerer Bruder Said Nesar Hashemi hingegen stirbt in der Tatnacht - vor seinen Augen. In seinem gerade erschienenen Buch erzählt er seine Geschichte des Anschlags und seines Lebens davor.
Etris Hashemi
"Ich habe mein ganzes Leben lang mein Zimmer mit ihm geteilt. 23 Jahre meines Lebens war ich mit ihm in einem Zimmer. Und wir haben die Kindheit zusammen durchgemacht, die Jugend zusammen durchgemacht, waren in denselben Orten, im Jugendzentrum, im Fußballvereinen. Egal wo, man hat alles gemeinsam gemacht."
"Dieses Buch ist auch ein Stück weit Erinnerungsarbeit. Mir war es aber auch wichtig zu zeigen, wie mein Leben davor war, dass ich ein ganz normaler Junge war. Auch zu zeigen, mit was für Problemen, mit was für Herausforderungen wir zu kämpfen haben hier in diesem Land, als Flüchtlingskind erster Generation, der hier geboren und aufgewachsen ist."
Etris Hashemi schreibt auch, wie er nach der Tat zum Aktivisten gegen Rassismus wird. Wie er und die anderen Angehörigen der Opfer sich trotz zahlloser Demütigungen und ihrer Traumata zusammenschließen zu der Initiative 19. Februar und dafür kämpfen, dass die Opfer nicht vergessen werden.
Etris Hashemi
"Worauf wir sehr stolz sein können, auch als Gesellschaft, ist, dass wir mit Hanau eine komplett neue Erinnerungskultur geschaffen haben in Deutschland. Es ist das erste Mal, dass nicht der Täter im Vordergrund steht. Ganz im Gegenteil. Die Menschen, die an diesem Tag gestorben sind, deren Gesichter und Namen sind überall bekannt und deren Geschichten werden erzählt."
Damit sich in Zukunft solche Taten nicht wiederholen, will Tugsal Mogul mit seinem Stück "And Now Hanau" dahin, wo die politischen Entscheider:innen sitzen. In die Rathäuser, Gerichte und Polizeireviere. Genau deswegen feiert "And Now Hanau" seine Berlin Premiere auch im Rathaus Schöneberg, bevor es im Maxim Gorki Theater aufgeführt wird.
Autor: Ufuk Cam