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Wer ist gut, wer ist böse? Wer ist Täter, wer Opfer? Der Krieg in Gaza ist auch ein Krieg der Narrative und Zuschreibungen. Die Deutsch-Palästinenserin Jouanna Hassoun ärgert sich über die Debatte in Deutschland und versucht Auswege aus diesem Schwarzweißdenken zu finden – beispielsweise im Dialog mit Berliner Schülerinnen und Schülern.
Jouanna Hassoun
"Hallo, herzlich willkommen. Ich bin, um ehrlich zu sein, dankbar für jede Stimme, ob palästinensisch, israelischen, jüdisch, muslimisch, die bereit ist, miteinander im Gespräch zu bleiben, die bereit ist, zuzuhören und das Leid des anderen anzuerkennen."
Jouanna Hassoun ist Geschäftsführerin des Bildunsgvereins Transaidency. Wo immer sie kann, versucht sie Menschen ins Gespräch zu bringen. Wir treffen sie in ihrem Büro in Berlin Moabit. Ihr Thema aktuell: Der Krieg in Gaza. Gemeinsam mit dem Deutsch-Israeli Shai Hoffmann engagiert sie sich.
Shai Hoffmann
"Hallo und herzlich willkommen zum ersten Teil der Israel-Palästina Bildungsvideos. Mein Name ist Shai Hoffmann und ich bin einer der Moderatoren dieser Videos zusammen mit der wunderbaren..."
Jouanna Hassoun
"Jouanna Hassoun. Wir werden heute aus Berlin den ersten Workshop mit jungen TeilnehmerInnen durchführen, dabei geht es um ihre Bezüge, ihre Perspektiven und auch ihre Gefühle zum Thema Nahostkonflikt."
Seit dem Angriff der Hamas im Oktober gehen die beiden als palästinensisch-jüdisches Gespann an Schulen deutschlandweit. Der Konflikt ist längst hier angekommen. Sie haben hunderte von Anfragen.
Jouanna Hassoun
"Wir wussten, dass das schwierig wird. Wir müssen mit unseren Persönlichkeiten und unseren Narrativen an die Schulen, um mit den Schülern ins Gespräch zu kommen über ihre Gefühle. Weil kein Konflikt dieser Welt emotionalisiert, aus unserer Sicht, so sehr wie der Nahostkonflikt."
Diese Emotionen zulassen, zuhören, einordnen – darum geht es den beiden. Die Desinformation über Soziale Medien ist übermächtig. Die Botschaften, die die Jugendlichen erreichen werden immer radikaler. Für Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann schwer dagegen anzugehen.
Jouanna Hassoun
"Wir sind zwei Individuen, die versuchen, dort mit Haltung, mit persönlichen Narrativen zu zeigen "Hey, es ist auch anders möglich". Wir müssen uns nicht hassen. Ich arbeite mich nicht an den Menschen ab, die überhaupt nicht bereit sind, noch im Gespräch zu bleiben. Ich versuche, die Menschen zu erreichen, die wirklich große Augen bekommen, wenn sie uns zuhören."
Jouanna Hassoun fühlt sich den Schülerinnen und Schülern, die Familie in der Region haben, verbunden. Denn sie und Shai Hoffmann sind genauso betroffen.
"Ich wünschte, ich könnte heute sofort den Krieg beenden. Ich würde alles dafür tun, dass dieser Krieg endlich vorbei ist. Dass die Geiseln rauskommen, dass endlich eine Utopie, dass eine Zweistaatenlösung stattfindet und dass die Menschen in Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit leben können. Ich habe leider nicht die die Macht dazu. Aber ich kann sagen, für die Menschen, die hier leben, müssen wir eine Lebensgrundlage schaffen, wo die palästinensische Identität und die jüdische Identität gemeinsam anerkannt wird."
Jouanna Hassoun kennt selbst das Trauma des Krieges. Das hier ist das einzige Bild, das aus ihrer Kindheit noch existiert. Sie wächst in einem Flüchtlingslager im Libanon auf.
Jouanna Hassoun
"Unser Haus wurde zweimal zerstört. Zerbombt, in die Luft gesprengt. Ein Jahr lang hatten wir kein Zuhause, da haben wir in der Schule gelebt. Und immer wieder, wenn wir versucht haben, ein neues Leben aufzubauen, wurde dieses Leben wieder zerstört."
Mit 6 Jahren flüchtet ihre Familie nach Deutschland. Als Palästinenser sind sie staatenlos, lange sind sie hier nur geduldet. Mit 27 wird sie endlich eingebürgert.
Jouanna Hassoun
"Ich hatte meine Mutter mitgenommen und die war total schick angezogen. Und ich habe mich auch schick angezogen. Und dann hat sie gesagt Jetzt reiß dich zusammen. Ich kann nicht. Es ging nicht, konnte mich nicht. Ich habe die ganze Zeit geweint, weil ich einfach so glücklich war endlich, mit 27 ein vollwertiger Mensch mit Rechten zu sein."
"Endlich deutsch" stand auf den Keksen, die damals eine Kollegin für sie gebacken hat. Heute nutzt sie ihre Stimme, um zu vermitteln. Immer wieder kommt es aktuell auch an Berliner Universitäten zu Konflikten. Jouana Hassoun beobachtet, wie Aktivisten den Konflikt für sich instrumentalisieren. Die von links sind gerade besonders laut.
Jouanna Hassoun
"Wir haben so eine dermaßen große Spaltung mittlerweile, wo es nur noch ein Kampf gegeneinander ist und die wenigen Stimmen, die bereit sind, miteinander ins Gespräch zu kommen, zuzuhören, die werden total übertönt, weil nicht zugehört wird, weil den jüdischen Menschen nicht zugehört wird. Und weil den muslimischen Menschen nicht zugehört wird. Leid gegen Leid auszuspielen, gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, Rassismus gegen Antisemitismus, das schürt nur Hetze, das schürt nur Hass und das bringt uns nicht in den Dialog."
Autorinnen: Katharina Röben, Nathalie Daiber